J. U. Gowski

Die Harry Brown Liste


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selbst entgegenzunehmen. Und dass, obwohl er telefonieren hasste. Mürrisch griff Koslowski zum Hörer.

      »Koslowski«, meldete er sich.

      »Al-Sharif«, tönte es aus dem Hörer.

      Koslowski sah irritiert auf das Display. Die angezeigte Nummer bestätigte es. Er hatte sie vor zwei Jahren eingespeichert.

      »Was willst du?«

      »So kenn ich dich, immer freundlich zu jeder Tag- und Nachtzeit.«

      Koslowski schwieg, wartete.

      »Du kennst meinen Anwalt, Bommer. Er ist Freitagabend bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Die Brandenburger Polizei möchte es als gewöhnlichen Verkehrsunfall zu den Akten legen.«

      »Und woher weißt du das?«, fragte Koslowski, um sich im selben Moment darüber zu ärgern, die Frage gestellt zu haben. Er kannte die Antwort eigentlich schon.

      »Ach Koslowski, jeder von uns hat so seine Maskottchen. Die einen halten sich einen Rapper als Gangsterimitat und ich eben für dasselbe Geld ein paar hilfreiche Geister. Jeder wie er es braucht.«

      Nasser Al-Sharifs Stimme klang selbstzufrieden.

      Koslowskis Verständnis hielt sich in Grenzen.

      »Und was sagt dein Polizist aus Eberswalde?«

      »Scheinbar wirklich nur ein Unfall. Allerdings ist seine Aktentasche nicht gefunden worden!«

      »Ja und?«

      »Er hat sich nie von ihr getrennt. Und wenn du bei seiner Geliebten nachfragst, wird sie dir sagen, dass er die Tasche noch dabei hatte, als er ins Auto stieg.«

      »Ist das so?«, fragte Koslowski ironisch. »Und weiter?«

      Nasser Al-Sharif grunzte verärgert. Koslowskis Spielchen. Er tat wieder so, als ob er nichts kapiere.

      »Du schuldest mir noch einen Gefallen, Koslowski.«

      Koslowski runzelte verärgert die Stirn. »Ich schulde dir einen Scheißdreck, nur um das mal klar zustellen.«

      Sie schwiegen sich eine Weile an.

      Dann sagte Koslowski: »Ich werd mir die Sache ansehen.«

      »Nichts anderes hab ich gewollt.«

      Die Erwiderung hörte Koslowski schon nicht mehr. Er hatte aufgelegt. Koslowski saß kurz schweigend da, überlegte. Dann griff er erneut zum Hörer. Er ließ sich mit dem Polizeipräsidium Eberswalde verbinden. Schon beim zweiten Versuch hatte er den richtigen Mann in der Leitung.

      »Es gab Freitagabend bei euch einen Verkehrsunfall mit tödlichem Ausgang von dem wir gern die Akte zwecks einer Überprüfung hätten.«

      Der Mann am anderen Ende der Leitung lachte kurz auf. »Einer reicht da nicht«, kam es trocken. »Am Wochenende ist hier das reinste Fliegenklatschen.«

      Koslowski murmelte etwas in den Hörer, was der andere als Zustimmung auffassen konnte.

      Dann sagt er: »Es geht um einen Dr. Bommer. Hellblauer alter BMW. «

      »Was wollt ihr mit der Akte?«

      »Der Typ war der Anwalt einer Gangstergröße hier in Berlin.«

      »Ist dafür nicht das Dezernat für Bandenkriminalität zuständig?« Mehr Feststellung als Frage.

      »Wir arbeiten Hand in Hand«, antwortete Koslowski leichthin.

      »Schickt uns eine schriftliche Anforderung. Dann bekommt ihr sie.«

      Koslowski verdrehte die Augen. Immer diese Machtspielchen und wen meinte der Typ mit uns? »Geht es nicht mal ausnahmsweise auf dem kurzen Dienstweg?«

      »Nein!«, kam die schroffe Antwort und das Gespräch war beendet. »Ey, ihr Provinzheinis geht mir so was von auf die Nüsse.«

      Koslowski saß noch mit dem Mobiltelefon in der Hand da, als Meyerbrinck wieder das Büro betrat. In der Hand zwei Becher Kaffee. Er lachte, als er Koslowskis finsteren Gesichtsausdruck bemerkte. »Was gibt es für ein Problem?«

      Koslowski antwortete nicht, starrte nur abwesend vor sich hin, als ob er Meyerbrinck nicht wahrnehmen würde. Meyerbrinck zuckte mit den Schultern und stellte Koslowskis Kaffee auf dessen Schreibtisch ab. »Dann eben nicht«, sagte er gleichmütig und setzte sich an seinen Tisch. Er hatte sich daran gewöhnt, dass Koslowski am frühen Vormittag noch nicht der Gesprächigste war. Man musste ihm Zeit geben und Meyerbrinck gab sie ihm. Er sah auf Koslowskis Schreibtisch die Akten und wies mit dem Finger auf die mit dem gelben Zettel.

      »Was für uns?«

      Koslowski sah ihn an. Er schien erst jetzt Meyerbrinck zu bemerken.

      »Tschuldigung Tom, was hast du gesagt? «

      »Ob das was für uns ist.« Er wies mit dem Kinn wieder in Richtung der Akte mit dem gelben Zettel.

      »Vielleicht, bin mir nicht sicher. Aber es gibt noch etwas anderes. Bommer ist tot. Er hat sich wohl Freitagabend mit seinem BMW um einen Brandburger Alleebaum gewickelt. Die Kraftprobe ist für ihn nicht gut ausgegangen. Kannst du bitte an die Eberswalder Kollegen ein schriftliches Ersuchen richten. Ich will mir die Akte ansehen. «

      Meyerbrinck sah Koslowski fragend an: »Der Dr. Bommer?«

      Koslowski nickte.

      »Und jetzt willst du überprüfen, ob alles mit rechten Dingen zugegangen ist?«

      »So ungefähr.«

      Meyerbrinck sah zu Koslowski. »Woher weißt du das mit Bommer?«

      Koslowski ging auf die Frage nicht ein.

      »Machst du das bitte, mit dem Ersuchen. Ich fahr noch mal los, um etwas zu überprüfen.«

      Dabei hob Koslowski die Akte mit dem gelben Zettel hoch. Meyerbrinck nickte. Er wusste, ein Nachfragen half nicht. Wenn Koslowski nicht antworten wollte, bekam man auch keine Antwort, da war Koslowski eigen. Früher oder später würde es Koslowski ihm schon sagen. Er schaltete den Rechner ein.

      »Wo willst du hin?«

      »Zur Landsberger Allee.«

      »Kann ich mitkommen?« Die Frage kam von Frank Grabowski, der an der offenen Bürotür vorbeigelaufen und stehengeblieben war, als er die Antwort von Koslowski hörte. Auf Koslowskis fragenden Blick hin, strich er sich verlegen über sein korrekt gescheiteltes Haar und erklärte: »Ich bin da groß geworden. Hieß damals noch Leninallee. Wäre schön, mal wieder den Ort seiner Jugend zu sehen.«

      Meyerbrinck sah neugierig zu Koslowski. Es war bekannt, dass die beiden nicht unbedingt ein Herz und eine Seele waren. Koslowski fand Grabowski in seiner Ordentlichkeit, seiner Überkorrektheit unheimlich. Er wurde mit ihm nicht warm. Dazu kam für Koslowski noch ein entscheidender Makel: Grabowski war Hertha BSC Fan.

      Koslowski stand auf, nahm den Zettel von der Akte und reichte ihn Grabowski hin. »Heiderose Blaschek. Ruf sie an. Sag ihr, dass wir unterwegs sind und noch ein paar Fragen zu ihrem verstorbenen Arbeitgeber haben.«

      Erfreut trat Grabowski auf Koslowski zu. Er griff mit der einen Hand schnell den Zettel, als ob er Angst hätte, Koslowki würde sich doch noch anders entscheiden und mit der anderen fingerte er sein Handy aus der rechten Manteltasche. Koslowski nahm seine Parkajacke und sagte zu Grabowski in diesem bestimmenden Tonfall, von dem jeder wusste, eine Widerrede war zwecklos: »Wir nehmen meinen Wagen. «

      Meyerbrincks Gesicht verzog sich zu einem breiten Grinsen. Die Vorstellung, wie der korrekte Frank Grabowski versuchte unbeschadet auf dem mit Papier und CD-Hüllen zugemüllten Beifahrersitz von Koslowskis Wagen Platz zunehmen, gefiel ihm. Koslowski kann es einfach nicht lassen, dachte er.

      7.

      Es war kühl. Leichter Nieselregen setzte ein. Als Koslowski seinen alten Suzuki Swift startete, fing Gregory Porters „Time is ticking“