Peter J. Gnad

Der Regulator und ich


Скачать книгу

war das Getöse leicht zu ertragen, so konnte ich das Spektakel sogar genießen.

      Ich kürze nun etwas ab, um nicht jeden einzelnen Tag zu schildern, den ich im Kloster verbrachte. Nach einigen Tagen fiel alle Nervosität von mir ab, ich ergab mich gewissermaßen in mein Schicksal, ließ mich treiben, alles andere hätte ohnedies keinen Sinn gehabt, ich war ja da, um zu lernen. Nur, bislang war von außergewöhnlichen Fähigkeiten, Kräften, noch keine Rede gewesen, geschweige denn, dass ich bei einem der Mönche derartige Anhaltspunkte fand, der Fluss der Zeit verlief gleichmäßig und ruhig, ohne große dramatische Ereignisse, ohne irgendwelche Besonderheiten. Bis ich eines Morgens hochschreckte, weil ich einen Schatten am Fenster gesehen hatte, einen menschlichen Schatten, der auch ein Gesicht hatte und so aussah, wie der Mönch, der mir immer den Tee ins Zimmer brachte. Nur, dass niemand von da draußen hereinsehen konnte, da war eine steile Felswand, wenn ich aus dem Fenster blickte und kein Weg, der am Fenster vorbeiführte. Wie konnte der Mönch durch das Fenster schauen ?

      Als der junge Mönch dann kurze Zeit später zur Tür hereintrat um mir, wie gewohnt, den Tee zu bringen, schalt ich mich. Sicher war es nur meine Fantasie gewesen, die mir einen Streich spielte, ein kleiner Halb-Wach-Traum, nicht mehr.

      Eines Tages machte man einen Ausflug, ins Tal, um mit einem Schafhirten zu verhandeln, einige Tiere zu kaufen, um bei dem Fest dann auch Gäste bewirten zu können. Sie hätten da so etwas, wie "Tag der offenen Tür", wo die Eltern der Jungmönche kommen durften, um ihre Sprösslinge zu besuchen. Die Leute waren stolz, wenigstens einen Sohn im Kloster untergebracht zu haben, das war eine große Ehre, für die Familie.

      Ein Adler stieß herab, gerade als sie mit dem Schäfer verhandelten, riss ein neugeborenes Lamm, wollte es schnell davontragen. Der Schäfer schrie und fluchte, warf einen Stein nach dem Adler, die Schafe blökten in höchster Erregung.

      Einer der bereits älteren Mönche stieß ebenfalls einen Fluch aus, hielt seinen rechten Arm ausgestreckt in die Luft, den Zeigefinger ausgestreckt, visierte den Adler an, murmelte einige halblaute Worte, senkte dann langsam seinen Arm. Der Adler senkte sich ebenfalls, genau mit dem Grad des Armes, des auf ihn weisenden Zeigefingers. Es schien als ob er in Turbulenzen geriet, verlor dramatisch an Höhe, stürzte fast, drohte seine Beute fallen zu lassen zu müssen, um sich selbst retten zu können.

      Es war genau da, als Champa eingriff, den Mönch mit einem scharfen Kommando zur Ordnung rief, ihm befahl seinen Arm wieder in die Höhe zu richten, seine Intervention abzubrechen. Ein kurzer Satz in der Landessprache beendete das kurze Intermezzo, der Adler konnte nun mit seiner Beute davonfliegen.

      Champa lächelte geheimnisvoll, als er mir in die Augen sah.

      "Auch Adler haben Junge, die Hunger haben. Es geht immer um das rechte Gleichgewicht, das muss unter allen Umständen erhalten bleiben, sonst gerät alles aus dem Lot und das Chaos greift Raum."

      Ich sah in seine Augen, wollte bestätigt haben, was ich eben miterleben durfte, nämlich den Einsatz von Kräften, die die westliche Welt als "übernatürlich" bezeichnete.

      Champa lächelte mich an, nickte kaum merklich mit seinem Kopf, hielt meinem Blick stand, ohne mit einer Wimper zu zucken.

      "Ja, das war es, worauf Sie gewartet haben, ein Zeichen, einen Hinweis und es ist ja auch genau deshalb, weshalb Sie hier sind, um zu davon mehr zu erfahren, zu lernen, ich weiß."

      An den folgenden Tagen begann mein wirklicher Unterricht. Was ich bisher gesehen hatte, war ganz außergewöhnlich, was die Sitten und Gebräuche der Mönche anlangte, aber es war nicht "sensationell". Es war gut für meine Reportage, ich war nicht nur ein aufmerksamer Beobachter, sondern ich hatte auch immer meine kleine Kamera mit dabei, und ich hatte bereits Material für drei Filme. Aber ab nun war alles anders, denn nun kam man auf den Punkt !

      Es war klar, dass ich lernen musste, mit dem was mir "gegeben" war, umzugehen, und es richtig einzusetzen, wann immer, wo immer ich wollte oder es vonnöten war.

      Champa sprach dann auch gleich den Hauptpunkt an, aber nicht ohne die ethische Seite des Unternehmens nochmals klar und deutlich zu betonen. Nämlich, dass diese "Kräfte" einer geläuterten moralischen Haltung, nicht in "falsche Hände" geraten durften, denn man könne damit auch viel Schaden anrichten. Man durfte diese "Kräfte" nur dann einsetzen, wenn es zum Nutzen der Menschen diente.

      Ich wusste nur zu gut, dass man mit diesen Kräften nicht spielen durfte, und natürlich hatte ich auch keinerlei Bedenken, den strengen ethisch-moralischen Gesetzen Rechnung zu tragen. Ich hatte ja tatsächlich vor, den Menschen zu helfen, ganz konkret und unbürokratisch, mit sofort eintretender Wirkung. Ich musste mich bemühen Champa nicht anzulachen, ob der leichten Variation seiner Regeln, zu meinen Gunsten. Ich befand mich noch immer im Fahrwasser derselben Regeln, wenngleich ich sie eben ein bisschen abwandelte oder erweiterte. Es war alles eine Frage der Position, die man einnahm. Ich hatte vor, tatkräftige Hilfe zu leisten, so viel war mir schon klar gewesen, als ich hierher aufbrach.

      Der Schwan und vielleicht auch mein Lehrer… sie standen gewissermaßen als Taufpaten dabei, wenn ich meine Fähigkeiten hier im Kloster nun verfeinerte und handzuhaben lernte. Ich war noch immer im Rohzustand, ein unbehauener Stein, aber das änderte sich ab dem nächsten Morgen. Und es war Champa selbst, der den Unterricht vornahm, gelegentlich aber zog er seinen talentier- testen Meister hinzu, um die graue Theorie auch mit praktischen Beispielen zu untermauern. Das sah beim ersten Mal so aus, dass Djetsun, der Meister, fast geräuschlos eintrat. Ich hatte gar nichts gehört, aber auf einmal stand er hinter mir und lächelte mich an, als ich mich erschrocken umdrehte. Ich vermeinte seinen Atem in meinem Nacken zu verspüren, obwohl er doch mindestens 3 Meter von mir weg stand, seltsame Dinge gingen hier vor.

      Er richtete seinen Arm nach hinten, die Tür schloss sich, wie von Geisterhand bewegt, fiel ins Schloss. Er grinste wie das berühmte und in solchen Fällen oft heranzitierte Honigkuchenpferd. Zumindest meine Vorstellung von einem, solchen wurde nun mit seinem Bild in Deckung gebracht. Ich lächelte zurück, kannte ihn ja schon von verschiedenen Begegnungen, bei denen mir aber nie aufgefallen war, dass genau er, der Großmeister in der Disziplin dieser übernatürlichen Veranlagungen und Kräfte war.

      Es kann nicht darum gehen, mich hier nun in alle Einzelheiten des Unterrichts vertiefen, denn es ist nicht meine Absicht die Geheimnisse der Materie preiszugeben. Wenn jemand über solche Fähigkeiten verfügte, fand sich immer ein Weg damit umgehen zu lernen. Ich denke nicht im Mindesten daran, die gerade modische Neugierde im mystischen Bereich hier befriedigen zu wollen. Die Traumtänzer der Esoterik sollen lieber an ihre Glaspyramiden und Horoskope in den Tageszeitungen glauben. Ich will diese Klientel nicht bedienen, ganz im Gegenteil, die waren mir schon immer ein Gräuel gewesen.

      Champa beschrieb mir die Vorgänge, die notwendig waren, um, wie Rimpong in der Schweiz es schon gesagt hatte, Feuer und Wasser ganz plötzlich zu vereinigen, eine "Explosion" herbeizuführen, aber dies eben nur… "virtuell", wie man so schön sagte, in unserer modernen Welt. Der Praktizierende machte sich davon lediglich ein gedankliches Bild und richtete all seine Aufmerksamkeit auf das Objekt, fast, als ob man mit einem Gewehr zielte, alle Energie auf einen ganz konkreten Punkt zu richten, um dann einen gezielten "Schuss" abzugeben. Die geballte Energie auf einmal und unmittelbar zu entladen, sie auf einen bestimmten Punkt zu konzentrieren, einem Brennglas ähnlich, zu fokussieren. Und die eingesetzte Kraft sollte auch nicht unkontrolliert eingesetzt werden, nur eine genau kalkulierte Menge an Energie verwandt werden, um nicht gleich alles zu "übersteuern", wie sich Champa ausdrückte. Haushalten, könnte man sagen - das musste ich lernen und die Energie zu bündeln. Genau dann, wenn es von Nöten, ob es spontan oder ein geplanter Einsatz war. Keine Zufälligkeiten, keine unabsichtlichen Entladungen, auch schon aus Selbstschutz, es konnte ja auch für mich gefährlich werden, wenn etwas "schief ging". Champa erwähnte, dass die Energie auch abprallen und auf mich reflektiert werden könne, was dann auch mein eigenes fatales Ende zeitigte. Ein Spiel mit dem Feuer und das ganz nah am Abgrund.

      Mit einem Wort, ich musste lernen, wie beim Fußballspielen, den Ball zu führen, genau dorthin, wohin er sollte, nämlich ins Tor – auch da muss man mit den Kräften haushalten und taktisch vorgehen, um dann gezielt den Ball im Tor zu versenken.

      Es waren Konzentrationsübungen, aus denen