Peter J. Gnad

Der Regulator und ich


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durchaus vertrauten Raum einzutreten, den man eigentlich schon kannte, nun aber, bei Licht, genauer betrachten konnte, um all Kleinodien, die da in Nischen und Ecken wohnten, zu bewundern. Es war eine andere Welt, in die ich da eintauchte.

      Nein, nein, falsch, das war kein Fantasy-Märchen, in dem wir auf einem andern Planeten oder mit Hexen, Teufeln, Fabelwesen zu tun hatten. Nein, das waren ganz real existierende Mönche, und ihre Fähigkeiten waren ebenfalls ganz real, die Auswirkungen greifbar, sichtbar, erfahrbar, zumindest für mich, als Schüler.

      Ja, Djetsun, der Meister, ließ ebenfalls Gläser zerplatzen, eines nur, weil sie nicht so viele Gläser hatten, eines "mir zu Ehren", wie Champa sagte. Andere Gläser verschob der Meister auf der glatten Tischoberfläche und holte sie auch wieder zurück. Er konnte Türen bewegen, Fenster schließen, aber er konnte auch und das war's was mich am meisten beeindruckte, ein Stück Holz, das man im Hof auf dem Boden platziert hatte, zum Brennen bringen. Um es nur Sekunden später, mit lautem Zischen zu löschen, obwohl da kein Wasser im Spiel war. Djetsun machte es größtes Vergnügen, mir zu zeigen, dass man auch Früchte oder andere Speisen damit zubereiten konnte, er brauchte kein Feuer um Tee zu kochen, das Wasser blubberte in Sekundenschnelle und war eiskalt, als ich den Tee kosten wollte. Djetsun und Champa lachten aus vollstem Halse, ich muss ausgesehen haben, dumm wie Bohnenstroh, völlig Perplex. Wenn man mir das in Europa, an der Theke einer Kneipe erzählt hätte, vor einigen Jahren noch, ich wäre gegangen, weil ich mir solch geballten Unsinn, einfach nicht angehört hätte, solches Zeug schon von Berufs wegen weit von mir wies. Obwohl ich da doch meine eigenen Erfahrungen bereits hatte, der Schwan, als auch mein Lehrer. Ich wollte "so Zeug" nicht glauben, ich lebte in der wirklichen Welt. Wo Dinge vom Sturm bewegt wurden, wenn überhaupt, aber nicht von Konzentration und irgendwelchen fabelhaften Energie-Schüssen.

      Nach einigen Wochen, ich habe nicht mitgezählt, war es an mir, die ersten, von den Mönchen kontrollierten "Gehversuche" zu starten. Wir gingen dazu hinunter ins Tal, um ein paar Felsen herum, in eine geschützte Ecke, quasi einen Hinterhof, wo man Freiübungen machen konnte. Schon aus Schutz für das Kloster, seine Bewohner und auch die Tiere. Man brachte Holz, ein paar trockene Büsche, eine Gebetsmühle, ein Stück Stoff und auch Papier mit. Es dauerte ein paar Tage, bis ich die Mechanismen in mir im Griff hatte, die Bilder von dem zu erzielenden Ergebnis manifest machen konnte, in meinem Geiste, virtuell um dann eben den Befehl zu geben, eine Entladung zu erzeugen.

      Es klappte, als ich schon dachte, dass ich es doch nicht fertigbrachte, mich abwandte und den Befehl mit Ärger, mit eigenem Ärger unterfütterte. Der Stein zerplatzte, einfach so. Er zersprang in Tausende kleine Splitter, als ob eine gewaltige Explosion ihn zerrissen hätte, nein, es gab gar keine Splitter, es sah nur so aus, der Stein war vielmehr verdampft, zu Staub, in einem Augenblick.

      Himmel, was hat denn der geraucht, würde man sagen, wenn ich mit solcherlei Geschichten an die Öffentlichkeit träte. Man würde mich auslachen, mein Ruf als Journalist wäre perdu, so schnell könnte ich gar nicht schauen, wäre ich die Lachnummer der Branche, müsste auswandern, dann wär's vorbei mit allem.

      Nein, die Fassade musste aufrechterhalten bleiben, ich wollte auch gar nicht über diese Seite des Klosters, der Ausbildung, berichten. Das Schweizer Fernsehen hatte auch schon Interesse angemeldet, als man von meiner neuen Redaktion dort anfragte, ob sie denn an einer Coproduktion interessiert seien. Gerade doch auch wegen Rimpong, der in der Schweiz bereits eine bekannte Persönlichkeit geworden war, als Chef-Lama der tibetischen Gemeinde. Die Schweizer mochten "ihre Tibeter", wie sie oft genug artikulierten. Ich fand sogar eine alte Fotografie von Rimpong, als er noch im Kloster gelebt hatte, hier auch selbst noch Student gewesen war. Das war außergewöhnlich genug, denn die Schweizer kannten ihn vornehmlich in einen modernen Anzug mit Krawatte gekleidet. Hier sah man ihn mit kahl geschorenem Kopf, in weinroter Robe, inmitten anderer Studenten.

      Meine Studienzeit neigte sich langsam dem Ende zu, ich hatte alles gelernt, was ich lernen musste, alles Weitere wären nur mehr Wiederholungen von Wiederholungen gewesen. Ich wusste nun um die Geheimnisse, war mir auch der Verantwortung bewusst, ich würde nicht leichtfertig mit diesen Kräften spielen, dies auch nicht wollen, sie waren mir gewissermaßen selbst auch "heilig" geworden.

      Der Abschied aus dem Kloster war schwer, ich konnte nicht umhin tatsächlich eine Träne im Knopfloch zu tragen. All die roten Männleins waren mir doch sehr ans Herz gewachsen, jeder Einzelne wollte gesondert umarmt werden, man beteuerte die ewig währende Freundschaft, die Gebetsmühlen drehten sich ohne Unterlass.

      Es war am vorletzten Nachmittag, dass man Bier aus dem Keller holte, ein Abschiedsfest feierte, man aß und trank, vor allem trank man viel von dem Bier. Dann sah ich das erste Mal hautnah, wie betrunkene tibetische Mönche sich verhielten. Auch nicht viel anders als westliche Menschen, sie kicherten und machten Scherze und lachten noch lauter und noch mehr.

      Diesmal verband man mir nicht mehr die Augen, als die Karawane von Tragtieren die "Straße" oder besser den Feldweg erreichte, wo man mich abgeholt hatte. Der Jeep wartete bereits auf mich, man hatte die Leute aus Srinagar mit dem Satellitentelefon angerufen und zum vereinbarten Treffpunkt beordert, und sie waren da, pünktlicher als die Eisenbahn oder westliche Transportunternehmen.

      Ein paar Tage später war ich wieder in Neu-Delhi, auf dem Flughafen, wartete auf meinen Rückflug. Es war schon drückend heiß und feucht. Erst da wurde mir bewusst, dass ich fast vier Monate in dem Kloster verbracht hatte. Es war Mitte Juli und damit auch Monsun, das Wasser stand in dichten Nebeln in der Luft, Wolken zogen durch die Straßen und ballten sich über der Stadt wieder zusammen. Das Wasser kam kübelweise von oben, die Straßen waren überschwemmt, die Bettler saßen bis zur Brust in der Brühe.

      Ich landete in Paris, es war der nächste Flug, den ich bekommen konnte, nur raus aus dieser Waschküche Neu-Delhi. Ich hatte das Gefühl, zerrinnen zu müssen, mein System vertrug die feuchte Hitze nur schlecht. Mein Kreislauf haderte damit, im Kreis laufen zu müssen, wollte Pausen einlegen, was ich natürlich tunlichst zu unterbinden versuchte.

      Aber auch Paris war heiß und dampfte, es hatte gerade das erste Mal geregnet, nach einer längeren Trockenperiode, auch hier standen Schwaden in den Straßen. Das Hotel war gut und klimatisiert, ich schlief bald ein, war doch auch froh, wieder in der alten Heimat zu sein, wenngleich auch in Frankreich, aber egal, es war Europa, das zählte jetzt. Ich schlief bis Mittag, ging dann gemütlich auf den Montmartre, spazierte mit den andern Spaziergängern, es war Sonntag. Ich setzte mich in ein Straßencafé und sah den jungen Mädchen zu, wie sie keck mit ihren Arschbacken wippten, ihre jungen Brüstchen an die frische Luft ausführten, wie man kleine Hundchen mitnahm, zum Müßiggang. Sie waren sich ihrer Wirkung sehr wohl bewusst, sie genossen die Blicke der Männer, alt oder jung, in Begleitung oder nicht. Sie hatten dieses gewisse Lächeln im Gesicht, das sie als Herrscherinnen über alle Männer auswies, sie quasi auch noch dazu berechtigte, legitimierte. Der Königinnen waren viele, die da die Promenade entlang schlenderten, sich lasziv gaben, es war das alte Spiel von "Hasch mich, ich bin der Frühling". Ich gebe zu, ihre Reize blieben auf mich nicht ohne Wirkung, zu lange hatte ich nun in völliger Entsagung, im wahrsten Sinne des Wortes, im Kloster verbracht. In meinen Lenden regte sich etwas. Ich wusste aber auch, dass ich in der Zwischenzeit nicht schöner oder attraktiver geworden war und das Spiel des Eroberns nicht gerade erfunden hatte. Eher das Gegenteil, ich war auch nicht bereit den "Big Spender" raushängen zu lassen, dann konnte ich ja gleich ins Puff gehen. Ja, gleich ins Puff gehen, warum eigentlich nicht, das ersparte die lästige Suche und das wahrscheinliche Frust-Erlebnis. Vielmehr sicherte es mir die Beute, lieferte das, was ich wollte, nämlich einfach meinen hormonalen Haushalt wieder auszugleichen, den Überdruck abzulassen. Ich suchte nicht nach der großen Liebe, jetzt, in dieser Phase meines Lebens. Nein, ich war ganz einfach nur scharf wie eine Ratte geworden, bei all den Schenkeln und ihren Verheißungen.

      Es war im Hurenviertel, dass ich unmittelbar gefordert wurde, all mein neues Können auch ganz unmittelbar einzusetzen. Ich hatte mich von einem Taxi absetzen lassen, spazierte die "Meile" hinauf, sah in jeden geparkten Wagen, scherzte mit den "Damen", die am Straßenrand standen und mich zu bezirzen versuchten, doch gerade mit speziell ihr mein "Glück" zu finden. Da waren ganz außergewöhnliche Exemplare dabei, so viel muss ich wohl hier zugeben. So manche Brustwarze zwinkerte mir zu, so mancher Hintern verhieß mir das verfügbare Paradies, so manche