Peter J. Gnad

Der Regulator und ich


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wollte. Aber der Mönch lachte mich an und sprach in nahezu akzentfreiem britischen Englisch, fragte ob ich müde sei oder Hunger habe, ein Raum sei bereit, um mir Erholung von der Reise gönnen zu dürfen.

      "Ich heiße Champa und bin der Khenpo, der Abt des Kosters, und ich habe schon viel von Ihnen gehört, Rimpong, in der Schweiz, hat ja regelrecht geschwärmt von ihnen – ich freue mich sehr, dass Sie nun wirklich hier sind, in Rimpung Che… und Ich freue mich auch, dass wir Sie hier unterrichten dürfen !"

      "Guten Tag, ja, ich freue mich auch, dass ich hier bin, endlich da, wo ich mehr erfahren werde. Ich bin hergekommen, um von Ihnen, von Euch allen zu lernen, das ist der Weg, den ich gehen muss."

      Man geleitete mich in mein Zimmer, das man extra mit westlichen anmutenden Stoffen und Schmuck hergerichtet hatte, sogar ein kleines UKW-Radio stand da auf dem Fensterbrett. Das Bett war weich, es roch nach Räucherkerzen. Nach einem kleinen Mahl mit Brot und Buttertee, legte ich mich schlafen. Erst am Tag darauf fühlte ich mich wirklich ausgeschlafen, begann meine Umgebung zu erkunden.

      Ein junger Mönch kam heran, bedeutete mir in den Raum zu folgen, wo der Khenpo, der Abt, seinen Arbeitsbereich hatte. Auch einen Schreibtisch gab es da, einen Computer sogar, aber dieser war nur in Betrieb, wenn der Stromgenerator in Gang gesetzte wurde, was nicht allzu häufig der Fall war. Eine Verbindung zur Außenwelt gab es auf diesem Wege jedoch nicht, hier gab es kein "Netz", in das man sich einloggen konnte. Aber, ganz zentral am Tisch, das knallrote Mobiltelefon, man verfügte über einen Satellitenzugang, über ein indisches Netz. Telefonieren also konnte man, das war ja schon die halbe Miete. Ich lachte den Khenpo an, er wies mich an, mich zu ihm zu setzen, noch eine Tasse Tee mit ihm zu trinken. Er schlug mir jovial auf die Schulter, lachte aus vollem Herzen. Ich konnte nicht umhin, mit einzustimmen, obwohl ich keine Ahnung hatte, warum er lachte, lachte er vielleicht über mich. Nein, sein Lachen war frei von jeglichem negativen Unterton.

      "Nein, ich freue mich sehr, dass Sie hier sind, denn nicht nur Sie werden hier etwas lernen, auch wir werden von Ihnen lernen, wir sind schon ganz, wie sagt man, neu-gierig…"

      Champa stand auf, zog mich an der Schulter mit sich, wir traten auf die Plattform hinaus, das gesamte Bergpanorama vor uns, der Himalaya, rein und weiß, weiter rechts der gleißende See, die Sicht war atemberaubend. Der Mönch lächelte mich an.

      "Verstehen Sie nun, warum das Kloster genau hier gebaut wurde, es hätte an keinem anderen Platz stehen können oder dürfen. Hier ist man ganz nah am Himmel dran, hier wohnt die Kraft, hier kann man sie manchmal wirklich mit den Händen greifen, dies ist der Ort dafür."

      Ich stand wortlos, blickte in die gewaltige Arena, die sich da unter uns auftat, es war fürwahr, ein gewaltiger Anblick, man konnte sich der Kraft nicht entziehen. Ich fühlte ein seltsames Ziehen in meinen Muskeln, meine Nervenbahnen spielten verrückt, ich konnte nicht umhin, mich zu dehnen und zu strecken, es knackte in meinen Gelenken. Champa lächelte mich wissend an.

      "Mein Freund Rimpong hatte vollkommen recht, ich sehe seine Meinung bestätigt, Sie sind ein "fruchtbarer Acker", wie wir das hier nennen, Sie müssen nur noch lernen, mit dem Pflug umzugehen und die Saat aufgehen zu lassen."

      "Was muss ich tun, wann können wir mit dem Unterricht beginnen, ich kann es kaum erwarten von euch zu lernen, wie man den Pflug einsetzt, um dann auch ernten zu können."

      Champa lächelte geheimnisvoll und schwieg erst noch, aber dann sprach er die bedeutungsvollen Worte, die ausgesprochen werden mussten, auf dass erst gar keine Missverständnisse aufkamen. Die Grenzen wurden genau bezeichnet und Räume abgesteckt, ein Bruch des Kodex bedeutete den absoluten Verrat am Karma, ein Betrug am Kosmos und damit den Verlust aller vorher erarbeiteten Bonitäten.

      "Wir müssen und ich sage, wir müssen, können gar nicht anders, erst noch einige Prüfungen absolvieren, bevor jemand in das Innere des heiligen Wissens vorstoßen kann und darf. Man hat uns strenge Regeln auferlegt, die nun auch für Sie gelten, wenn Sie hier Klosterschüler sein wollen."

      Champa lächelte nun kein bisschen mehr, seine Augen waren prüfend auf mich gerichtet, beobachteten mich ganz genau, schienen in mich hineinsehen zu können, es war mir so, als ob er eine Art Röntgen benutzte. Er lächelte wieder, schlug mir nochmals freundschaftlich auf die Schulter und grinste mich dann wieder an.

      "Ich habe grenzenloses Vertrauen, in meinen Freund und Bruder Rimpong, er weiß genau was er tut, hat bislang sich noch nie geirrt – und, keine Angst, wir beißen nicht."

      Wieder lachte er aus vollem Hals, schlug mir auf die Schulter, der Mann hatte Humor. "Wo haben sie Englisch gelernt, sie sprechen fehlerfrei."

      "Ich habe in Dharmsala studiert, war eine Zeit lang auch Reisegefährte vom Dalai Lama, ich habe auch fast die ganze Welt gesehen, habe in teure Hotels gewohnt, mit Whirlpool oder Sauna, und ich weiß auch ganz gut, wie deutsches Bier schmeckt, nämlich sehr gut, manchmal bringt man mir ein paar importierte Flasche aus Indien mit."

      Nun war es an mir, ein breites Grinsen im Gesicht zu tragen, ich seufzte, sehnsüchtig.

      "Wissen Sie, dass wir hier, in Tibet, auch ein Bier haben, und man kann sich auch ganz schön betrinken, daran."

      "Na, dann lassen sie doch ein Fass kommen, ich sage da nicht Nein… äh, aus was wird denn tibetisches Bier gemacht ?"

      "Das ist pure Yak-Pisse, man lässt sie solange stehen, bis sie gärt, bis das Gebräu Blasen macht und blubbert, dann erst ist das Bier fertig, schmeckt sehr gehaltvoll und gut."

      Ich muss ausgesehen haben wie ein schiefgesichtiger, schielender Hammel, denn nun bekam Champa einen ausgewachsenen Lachkrampf, sodass er sich schließlich sogar auf den gestampften Boden setzen musste, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, das konnte in dieser Höhe doch recht gefährlich sein. Er lachte noch immer, als ich ihm die Hand reichte und ihn hochzog. Er hatte mich wohl an der Nase herumgeführt, dachte ich. Das bestätigte sich zwar, das Bier bestand nicht aus Yak-Pisse, es wurde vielmehr aus Gerste hergestellt, ein bräunliches Gemisch, das man Chang nannte und sich großer Beliebtheit in der Bevölkerung erfreute, aber ganz traute ich dem Frieden doch noch nicht. Es verwunderte mich zu hören, dass auch die Mönche dem alkoholischen Getränk durchaus nicht abgeneigt waren, etwas, das ich mir gar nicht vorstellen konnte, betrunkene Mönche. Was taten die dann ? Singen und krakeelen, Aggressionen rauslassen oder gleich einschlafen, wie weit ging das, mussten sie sich anschließend vielleicht auch übergeben, kotzende Mönche, wunderbar. Ich kicherte, gab mich ganz meiner Fanstasie hin.

      "Wir haben bald ein Fest, das Frühlingsfest zu feiern, Sie werden das Biertrinken hautnah erleben können und auch selbst davon kosten."

      An diesem Abend aßen wir gemeinsam, auch gemeinsam mit den andern Mönchen, das übliche tibetische Essen, Tsampa und Reis. Ich fühlte mich müde, es musste wohl die dünne Luft sein, die hier herrschte, man war ja doch einige Tausend Meter hoch oben, aber genau Angaben gab es nicht. Ich spürte aber, dass jede physische Anstrengung hier noch einmal so anstrengend war, wie im Flachland.

      "Morgen stehen wir alle um fünf Uhr auf, man wird Sie wecken."

      Der Unterricht begann mit den gemeinsamen Gebeten der Mönche, dann verschwanden alle wieder, man nahm das Frühstück ein, der übliche Butterte mit Fladenbrot. Etwa zwei Stunden später teilten sich die Mönche, eine Gruppe, die jüngeren, die noch nicht Zwanzigjährigen, gingen zum Gemeinschaftsunterricht. Die Älteren, um die Fünfundzwanzig, gingen zum Einzelunterricht, beziehungsweise auch schon in eine weitere Gruppe, in der man sich in der Redekunst, der Argumentation übte. Hier ging es mitunter auch ganz schön laut zu, weshalb dieses Haus auch am Rande des Klosters lag, um die anderen in ihren Andachten nicht zu stören. Es gab auch eine Fragestunde, eine Diskussionsstunde, dazwischen wieder eine Mahlzeit und schlussendlich noch ein Abendgebet.

      Natürlich hätte es für mich keinen Sinn gehabt, an diesen Gebeten teilzunehmen, aber es war trotzdem sehr interessant, als Zuseher dabei zu sein. Eine Art Sing-Sang, mit Glöckchen und Schellen, manchmal sogar Trompeten, alles auch ziemlich laut. Champa beobachte mein aufkommendes Leiden, der Zeremonie beizuwohnen. Er trat zu mir, mit einem hölzernen Gefäß, das er mir lächelnd entgegenstreckte. Zwei kleine Kügelchen, aus Wachs, waren darin. Er deutete, dass ich mir