Petra Misovic

Unter dem Strand


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sie durch den Saal, als würde der und das ganze Hotel ihr gehören, und Barbara denkt, daß sie jetzt gerne unsichtbar wäre, sie würde unter den Tisch kriechen, das Hirn ablenken, mit einem Weihnachtslied oder einem Getränk von der Bar und könnte den Abgrund vergessen, der sich vor ihr befindet, den gestrigen Abend und die Scham darüber, daß sie sich an fast gar nichts erinnert.

      Und Marlene steuert unerbittlich auf Barbara zu, Na? Was macht die Leiche? Und spricht von Barbara und nicht von Harald. Von der verkaterten Barbara, die gestern Abend die Kontrolle verloren hat und die sich jetzt mit Vorwürfen quält. Marlene bemerkt den Fauxpas, Barbara nicht, aber es tut gut, als Marlene sich ernsthaft dafür entschuldigt.

      Nach dem Abendessen hat Marlene sich ganz selbstverständlich zu Uwe und Barbara an den Tisch gesetzt. Sie wußte, daß Uwe und Barbara kein Paar sind, sie hatte auch Harald gekannt. Und sie war diejenige, die endlich aussprach, was beim Abendessen in der Luft lag. Es tut mir sehr leid, das mit Deinem Mann.

      Marlene will sich nicht setzen, sie ist naß. Sie spricht mit einem Angestellten kisuaheli, er bringt ihr was zu schreiben und sie kritzelt ihre Nummer auf einen Block. Weißt Du schon, ob du hier bleiben kannst? Wir haben nämlich Hochsaison gerade. Haben die ein Zimmer für dich? Hier ist meine Nummer, wenn du reden willst oder wenn du Hilfe brauchst. Barbara steckt die Nummer ein und muß sich überwinden: Hast du Harald gut gekannt? Und Uwe? Marlene überlegt einen kleinen Moment. Ja. Schon.

      3

      Das Sandwich kommt und Barbara verfüttert es an die Katze. Der Polizist am Tresen beobachtet sie schon eine Weile, sie, eine zierliche blonde winterweiße Frau, in einem schlichten dunklen Baumwollkleid, das jede weibliche Form ignoriert, und sie füttert hingebungsvoll eine von diesen Katzen. Meist nehmen diese Art Frauen dann eine arme und gebeugte Katzenkreatur mit nachhause, fort, in eine Welt, wo ein ganzer Industriezweig mit hochwertigem Tierfutter gutes Geld macht.

      Sie hatte es nicht gewußt, daß ihr Mann in Afrika war. Mandizha hatte sie angerufen in Deutschland, aber sie war ganz sicher, daß es sich um eine Verwechslung handelte. Vielleicht war ihr Englisch auch einfach nur schlecht. My husband is in the mountains, driving ski, you know? Skifahren, in den Bergen. Und dann hatte sie aufgelegt. Mandizha mußte das Konsulat um Amtshilfe bitten.

      Das aufmerksame Publikum in der Lobby kennt ihn bereits, den Kriminalkommissar, den sie unter sich Kofi nennen, weil er eine Ähnlichkeit hat, mit dem ehemaligen Generalsekretär der Vereinten Nationen, ein fein geschnittenes Gesicht, schmale elegante Hände, eine schlanke Figur in einem guten, einem sehr teuren Anzug, etwas jünger, als das Original so Ende 40, Anfang 50 vielleicht, und wer Barbara ist, das muß Kerstin nur den neu angereisten Gästen erklären. Und dann stellt sich Kerstin ihm in den Weg und begrüßt den Polizisten wie einen alten Bekannten, und kann doch nur mit Mühe vor ihm verbergen, wie sehr sie die Blicke der anderen Gäste genießt, die sie nachher fragen werden, was der Polizist denn gesagt hat.

      Some news from our accident? Gibt es was Neues? Haben Sie schon einen Plan, wann sie das Schiff endlich da raus holen? und: Ein paar Freunde und ich, wir würden gerne hinkommen und zuschauen, das ist sicherlich aufregend. Und Mandizha weiß nicht, wie er angemessen auf solch eine Bitte reagieren soll, er läßt sie wortlos stehen und tritt an Barbaras Couchtisch. Do we know us? Kennen wir uns? Er stellt sich ihr vor. I am really sorry about what has happened to your husband. I am afraid I don’t carry good news for you. As far as I know there is no chance to recover the wreck. Sein Englisch klingt anders, nicht so, wie das afrikanische Englisch der Angestellten hier im Hotel, eher wie das der Austauschschülerin, die aus England in ihre Klasse gekommen war, damals. Barbara begreift, daß er sein Beileid ausdrückt. Daß die Yacht vielleicht nicht geborgen werden kann. Eigentlich ist er gekommen um mit Uwe zu sprechen. Dem einzigen Zeugen. Die Hotelleitung war so freundlich, ihm mitzuteilen, daß sie, die Ehefrau des Verstorbenen bereits angereist sei, und ob sie wüßte, wo er Uwe finden könne. Mr. Bahrmann has gone home. - To germany? - Yes to germany. - When? Mandizha wirkt plötzlich nicht mehr so gelassen und freundlich. Do you know which flight? - Very early in the morning he left the hotel. Maybe six o clock. I don’t know. Mandizha greift zum Handy und geht ein paar Schritte in Richtung Rezeption, leitet eine landesweite Fahndung nach Uwe ein.

      Daß Bahrmann einfach abgereist ist, macht ihn wütend, ist er doch der bislang einzige Zeuge bei einem schweren Unfall mit tödlichem Ausgang. Vielleicht ist er ein Totschläger, ein Mörder. Solange die Yacht nicht gehoben ist, wird es schwer sein, das herauszufinden. Und seit dem frühen Morgen gibt es eine Leiche, eine schwarze Frauenleiche, die sie weiter oben an der Küste herausgefischt haben, eine junge Frau, so um die 20, schwere Verbrennungen, die von einer Explosion stammen könnten. Ein paar große Bisse von Raubfischen, vermutlich postum. Vieles spricht dafür, daß sie an Bord gewesen ist. Vielleicht gibt es weitere Personen, die tot sind oder untergetaucht. Bahrmann hatte nichts gesagt. Und jetzt war er flüchtig.

      Und wie sein Ärger wächst, am Telefon, als diese ungehobelte Person die Gunst des Augenblicks benutzt, um sich mit Barbara bekannt zu machen. Ungeniert ist sie herangerückt und streichelt jetzt die Katze in Barbaras Schoß und erst als sie den Polizisten bemerkt, wie er eilig näher kommt, beendet sie das einseitige Gespräch, das können sie mir glauben, Schätzchen. Ich fahre seit 18 Jahren hierher. Was sie brauchen ist ein Anwalt. Rufen sie den Konsul an, die sollen ihnen einen besorgen, einen guten. Kerstin betrachtet Mandizha etwas zu lange. Dann räumt sie das Feld. Mandizha setzt sich. We don’t have to talk here, we can go to your room, if you like. Or to an office of the management.

      Sie bleiben sitzen. Er erklärt ihr, daß es sicherlich noch eine Weile dauern wird, bis sich alles geklärt hat. Bislang will niemand die Kosten aufbringen und das Segelboot bergen. Der Staat nicht, der Bootsverleiher nicht, laut Bahrmann gibt es keine Versicherung. Mandizha erzählt ihr nichts von der toten Frau.

      If there is anything I could do for you, you let me know. Es tut mir sehr leid, wenn ich Ihnen irgendwie helfen kann? sagt er und geht an der Rezeption vorbei raus in den Regen. Barbara schaut ihm nach, wie er im strömenden Regen allmählich weniger wird.

      4

      Am Nachbartisch fragt Kerstin ungeniert den Kellner aus. Sie will wissen, was der Polizist am Telefon gesagt hat. They searching for the other guest. - Bahrmann? - Yes. They look for him at the airport. Uwe soll das Land nicht verlassen sagt Kerstin vom Nachbartisch rüber. Barbara will zahlen. Es ist schwierig, das auszuhalten, hier in der Halle, sie fühlt sich von allen beglotzt. Der Kellner kommt und Barbara wühlt in ihrer Handtasche nach dem Portemonnaie. Sie brauchen hier nicht zu bezahlen, sie unterschreiben einfach die Rechnung, das geht dann aufs Zimmer. Auf ihrem Korbsessel rückt Kerstin ganz selbstverständlich wieder ein Stück näher heran. Weiß man denn schon, wann das Boot hochgeholt wird? Sie müssen denen wirklich Beine machen, sonst sitzen sie Ostern noch hier und nichts ist passiert. Sie reicht Barbara einen Zettel mit einer Telefonnummer, der Konsul in Mombasa, den rufen sie an. Ich bin übrigens Kerstin. Sie sind Barbara, nicht? Und schon schüttelt Kerstin Barbaras Hand, wuchtet ungefragt ihren mächtigen Leib, neben Barbara auf das Sofa. Ein persönliches Gespräch mit der Witwe, endlich, und sie versucht ihre gute Laune etwas zu dämpfen, schlägt einen pietätvollen Ton an. Ich hab Harald ja ganz gut gekannt, hat er ihnen mal von mir erzählt? Sie fragt sich, was Harald mit Kerstin zu tun hatte, mit dieser Matrone, die ihre ausladende Gestalt unter einem zeltartigen Kleid in afrikanisch-frohen Farben nur vage verbirgt, die glamouröse Accessoires liebt und alberne Sonnenbrillen und die offensichtlich nur wenig von dem, was man ihr anvertraut, für sich behalten kann. Ich hab mich ja manchmal gefragt, warum er sie nie mitgebracht hat, und Barbara muß ihre Füße betrachten, die ungeschnittenen Nägel, die aus den Sandalen rauskucken. Ihre Hand legt sich hilfsuchend auf den Bauch der Katze, die sich in ihrem Schoß zusammengerollt hat und ihr Blick fällt auf die anderen Gäste, die in den Regen starren, Zeitung lesen und hin und wieder verstohlen die Witwe betrachten und den meisten gelingt es nicht, ihre Vorfreude zu verbergen, auf ein paar Informationshappen, mit denen Kerstin sie später, wenn Barbara weg wäre, anlocken würde.

      Diesmal sind es fast drei Monate, wissen sie, Weihnachten zu hause, das ist mir ein Gräuel. Die Kälte, der Regen, überall nur Weihnachtsmärkte und man soll Geschenke kaufen. Da