Petra Misovic

Unter dem Strand


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you just call here, sie zeigt Barbara, wo sie anrufen soll und verschwindet wieder in der Kabine, wo sie mit einer Kundin beschäftigt ist. Barbara betrachtet die Broschüre, es ist kalt hier und sie hofft, daß Marlene jetzt nicht mehr dort oben wartet, daß sie zurück kann, in ihr Häuschen.

      Die Frau an der Rezeption ruft ihren Namen hinter ihr her durch die Halle, erwischt, und wie eine Sünderin fährt sie zusammen, hält inne, schaut sich vorsichtig um, niemand, nur die Dame hinter dem Tresen. Freundlich will sie wissen, wie es ihr geht und reicht ihr einen Zettel von Marlene: Wir müssen sprechen, ruf mich bitte an! und auf der Veranda wartet die Katze, rollt sich zu Barbaras Füßen zutraulich auf den Rücken, will gekrault werden.

      Hilflos blättert Barbara in den Unterlagen von Uwe. Der Vertrag mit dem Bootsverleiher, der, wenn sie es richtig versteht, jegliches Haftungsrisiko ausschließt und die (ziemlich hohe) Kaution einbehält, wenn das Boot nicht zurückkommt. Der Inhalt von Haralds Safe ist bei der Polizei gelandet. Sie muß das Tierheim anrufen. Das Ladegerät vom Handy hat sie endlich gefunden, aber der Stecker paßt nicht. Sie muß das Konsulat anrufen. Irgendjemand muß das hier bezahlen. Das Zimmer hatte Harald im Voraus beglichen, pauschal mit Flug und Transfer, und es waren noch etwa zehn Tage, die ihr hier blieben, wenn die vom Hotel keinen Aufpreis von ihr verlangten. Die Telefonate (die meisten davon hat sie noch nicht mal geführt). Ihre Auslagen. Ihr Konto im Minus, der übliche Zustand. Auf Haralds Konto hatte sie (erstmal) keinen Zugriff. Mit wem könnte sie reden? Sie kannte niemanden, der Geld übrig hatte, um eben mal auszuhelfen. Die Schwester anrufen? doch die würde sagen, daß sie es schon immer gewußt hat, daß Harald ein Vollidiot ist. Würde sie ihr Geld leihen? Sie ist sich nicht sicher. Haralds Kollegen. Wer von denen? Sie kannte die alle nur flüchtig. Der einzige, den sie angerufen hätte, wäre Uwe gewesen und der hatte sich schnellstmöglichst davongemacht.

      9

      Und da liegt sie auf einem großen Felsen und genießt den Blick über die Ebene. Hier und dort ein paar Bäume, schöne Akazien, das Gras ist gelblich und manchmal grün und dann sieht es sehr saftig aus. Kühle Morgenluft streicht ihr übers Gesicht, Tautropfen funkeln im Licht. Eine große Antilopenfamilie weidet in der Nähe, Frühstück. Barbara betrachtet sie neugierig, die Sonne steht noch tief, alles ist ruhig. Aufmerksam wenden sie die Hälse, spähen hierhin und dorthin, sie ahnen Gefahr und recken die Nasen um Witterung aufzunehmen, von einem ihrer vielen Feinde und sind sprungbereit, immer unter Spannung, ihre kleinen Stummelschwänzchen zappeln aufgeregt, Barbaras Blick streift umher und in der Ferne kann sie eine Löwin ausmachen, die mit ihrem gelben Fell gut getarnt ist in der Savanne und die völlig desinteressiert an den Antilopen zu sein scheint und Barbara liegt auf ihrem Felsen, seelenruhig, ihr droht keine Gefahr. Sie richtet sich auf, ein wenig wünscht sie sich ein Spektakel, sie hat Angst um die hübschen Antilopen und ist gleichzeitig auch auf Seiten der hungrigen Jägerin. Was ist nur in sie gefahren? Normalerweise hätte sie gerufen, geschrien, sie hätte die Antilopen gewarnt! Die Löwin startet jäh einen Angriff, sie sprintet und rast und verfolgt eine Antilope, die im Zickzack davonspringt und es schafft zu entkommen und die Löwin hat sofort ein neues Opfer und es geht so schnell. Ein gewaltiger Sprung und nichts ist zu hören, kein Wehlaut, kein schmerzhafter Schrei und die Aufruhr ist in diesem Moment vorbei. Die Löwin hat ihre Beute erlegt und in derselben Sekunde haben die Antilopen sich auch schon wieder beruhigt, stehen in der frühen Morgensonne und frühstücken, als wäre niemals eine von ihnen gerade verspeist worden. Allmählich verblaßt die Savanne und sie ist wieder zurück und es erstaunt sie, daß es schon dunkel ist.

      Sie sucht nach dem Lichtschalter und schlüpft in ihr Kleid, hungrig, wie diese Löwin eben, will sie raus, will ans Büffet und prüft flüchtig im Spiegel, ob sie so unter die Leute kann und vom Kellner läßt sie sich ihren Platz zeigen, ist verwundert, wie viele Menschen hier anwesend sind, bestimmt hundert Tische umsäumen die Tanzfläche vor der Bühne. Die meisten Gäste sind schon beim Dessert, doch wirkt das Büffet, als ob noch weitere hundert Hungrige erwartet würden, von allem ist reichlich vorhanden, Salate und Braten, viele Sorten von Fisch, aber auch Pasta, Schweinshaxen, selbst Pommes und Pizza, Schilder erläutern die Zutaten der afrikanischen und indischen Spezialitäten, soviel Auswahl, daß Barbara ratlos davor steht.

      Von ihrem Tisch hat sie einen guten Blick auf die Abendunterhaltung, junge attraktive Männer tanzen ausgelassen zu wilden Stammesrhythmen und ihre Oberkörper sind nackt und eingeölt, damit die auftrainierten Muskeln zur Geltung kommen. Immer wieder dazwischen drei reizende Mädchen, animieren sie die Gäste zum Mitsingen der Ferienhits aus Afrika, die sie später, Urlaubserinnerung auf CD gebrannt, ans Publikum verkaufen, während die Jungs, jetzt in neuen farbenprächtigen Kostümen, akrobatische Kunststücke vorführen. In Windeseile klettern ein paar auf die Schultern eines kräftigen jungen Mannes und bilden einen menschlichen Rhombus, auf dessen Spitze der Schmächtigste von ihnen, blitzschnell von vielen Armen und Händen nach oben gehievt, die Hand auf den kahlen Kopf seines Untermanns setzt, die Füße streckt er hoch in die Luft und Barbara vergißt für einen Moment zu atmen, fürchtet um die Gesundheit derer, die am Ende der Übung aus mehr als vier Metern Höhe auf den nackten Steinboden runterspringen würden und von irgendwoher kommt Kerstin an ihren Tisch, schreit ihr durch den Applaus eine Einladung zu, sie soll mitkommen, auf die andere Seite der Bühne, wo sie sie gerne mit Ruth und Dieter bekannt machen will, schon weil sie das beim Frühstück nicht so gut hingekriegt hat, und ohne den Blick von den Akrobaten zu wenden sagt Barbara ja, aber später, nach dem Dessert und applaudiert weiter, ist froh, daß sie diese Antwort parat hatte, denn sie möchte nichts lieber, als diesen Künstlern zuschauen, sie möchte nicht sprechen, schon gar nicht mit diesen Leuten, die Harald gekannt haben und die sie nur mitleidig anblicken würden, stets darauf bedacht, jetzt nichts Falsches zu sagen und dabei gleichzeitig lechzend, nach pikanten Details, und die Truppe verschwindet unter vielen Verbeugungen hinter der Bühne und zurück kehrt ein Mann, nur mit einem Leopardenfell bekleidet und sie erkennt ihn wieder und läßt ihn nicht aus den Augen und es scheint, als würde er nur für sie tanzen, seine akrobatischen Freunde schlagen, als Musiker jetzt, mit wirbelnden Armen und Stöcken auf ihre Trommeln ein und er tanzt wie ein Derwisch und sie weiß nicht, wie er es schafft, so lange in der Luft zu bleiben, es scheint, als würden die Gesetze der Schwerkraft für ihn nicht mehr gelten, solange die Trommeln ihn antreiben, zu immer schnelleren Schrittfolgen und als er erschöpft auf der Bühne zusammenbricht und die Trommeln für einen Moment schweigen, springt sie auf und will helfen, bis sie merkt, daß dies Teil der Darbietung ist und die Trommler ihn jetzt quälen und auffordern weiter zu tanzen, die Grenze zu überschreiten, die Erschöpfung zu überwinden und in Ekstase einfach weiter und weiter zu tanzen und als das Unterhaltungsprogramm mit dieser Nummer abgerundet zu Ende geht und alle Künstler einzeln vortreten und sich ihren Beifall abholen und er als letzter kommt und die Menge ihm zujubelt und einige aufstehen und bravo rufen, da folgt sie ihm ohne groß nachzudenken, wie unter Hypnose, hinter die Bühne und spricht ihn an auf der Treppe, wo sich die anderen hinter einem Vorhang, der dort für die Künstler angebracht wurde, umziehen, und sie muß es ihm sagen, daß sie von ihm geträumt hat, I was dreaming of you. - Oh really? Er scheint nicht überrascht zu sein, offensichtlich ist das für ihn nichts Ungewöhnliches, daß er anderen Leuten im Traum erscheint und er macht einen Vorschlag let me just finish this and then we’ll have a walk at the beach and we can talk.

      Und wie in Trance steigt sie die Treppen nach unten und setzt sich dort auf ein Mäuerchen, das den Hotelgrund vom Strand trennt und wartet. Sie wartet eine Weile auf ihn und allmählich kehrt ihr Verstand zurück und sie fragt sich, über was sie mit ihm sprechen soll, mit ihm, einem jungen Tänzer und Akrobaten, nur weil er bei seinem Auftritt zufällig ein Leopardenfell um die Hüften trägt und zu gerne möchte sie diese Begegnung vertagen, verschieben, sich schnell aus dem Staub machen, als sie hört, wie er die Treppe runterkommt, er trägt Schuhe jetzt, elegante schwarze Straßenschuhe, eine Anzughose, ein weißes Hemd und eine Fliege und jetzt fällt es ihr schwer, sich den Mann im Leopardenfell vorzustellen und er bleibt vor ihr stehen, nimmt ihre beiden Hände in seine und zieht sie nach oben, ganz nah an sich ran, daß sie unter seinem Hemd seine warme Brust spürt und sie riecht seinen Schweiß, er hat nicht geduscht, wo hätte er duschen sollen hier? und es klingt nicht sonderlich interessiert, als er sie fragt so you were dreaming of me, right? Did you see my show last weekend? Und sie muß nicht überlegen, sie hat noch niemals eine solche Show gesehen,