Andreas Bulgaropulos

PENNYFLAX und das Uhrwerk der Sterne


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dass neben den Finsterlingen und ihrer düsteren Gebieterin eine weitere Bedrohung für die Mondbewohner am Horizont aufzog. Und zwar eine, von der noch niemand etwas wusste.

      Mittlerweile waren die drei Freunde nur noch einen Steinwurf von der Raststätte entfernt und vermochten einen genaueren Blick auf ihr Ziel zu werfen: Es handelte sich um ein ovales Gebäude, das einem riesigen Kochtopf oder einer Fritteuse ähnelte und Metallwände besaß, in denen sich die Umgebung spiegelte. Zumindest musste das einst so gewesen sein, denn das Chrom der Wände war mit Fettspritzern und Bratöl verschmiert, eben wie ein Topf, der nie gereinigt wurde. Sogar die Fenster, die in einer Reihe das Gebäude umgaben, klebten vor schmierigem Braun. Schuld daran trugen die Rauchabzüge an den Dachkanten, die einem Dampfschiff Konkurrenz machten und einen höllischen Qualm und Bratgestank verbreiteten. Dazu passte der Name der Raststätte, denn auf ihrem Flachdach blinkten die Buchstaben des Neonschriftzugs »Rupert Ranzigs Brutzelbude« und in kleiner Schrift darunter »Freiheit für die Radikale!«.

      Die Kobolde und der Mondmann erreichten die Straße, die sich wie ein bläulich schimmerndes Band durch die Landschaft schlängelte. Sie warteten, bis zwei Autos an ihnen vorbei gezischt waren und überquerten die Fahrbahn.

      Pennyflax blickte den beiden torpedoförmigen Flitzern hinterher und zog die Brauen hoch. »Verzwurbeldingst, was ist denn mit denen los?«, wunderte er sich. »Die haben ja gar keine Räder!«

      Luno nickte. »Ganz recht, mein Freund. Die meisten Fahrzeuge auf dem Mond rollen nicht auf Rädern, sondern erzeugen ein Energiefeld unter ihrem Boden, das sie schweben und über die Fahrbahn gleiten lässt. Wir nennen solche Vehikel deshalb auch ›Gleiter‹. Sollte uns einer der Gäste dieser Raststätte von hier aus in seinem Gleiter mitnehmen, erreichen wir Kosmopolis im Handumdrehen.«

      Pennyflax und Shirah staunten erneut über die Wunder, die sie auf ihrer Reise zu sehen bekamen und erreichten mit Luno die andere Straßenseite. Auf dem Parkplatz vor der Raststätte parkten die verschiedensten Gleiter, und neben dem Gebäude entdeckten die drei eine Werkstatt, in der mehrere Fahrzeuge auf ihre Reparatur warteten. Eines von ihnen, ein schnittiges Fluggerät, erinnerte an einen Helikopter. Also musste es einen Mechaniker zu der Werkstatt geben, der die Maschinen in Gang setzen konnte, weshalb gewiss niemand für länger in der Einöde des Mare Nubium festsaß. Darauf deutete auch ein Plakat hin, das einen Gleiter zeigte, dessen Frontscheibe von Gesteinsbrocken zertrümmert wurde. Die Überschrift lautete: »Wir sind eine offiziell lizenzierte Star-Glas-Werkstatt und beheben jeden Meteoritenschaden in wenigen Minuten«.

      Als sich die Freunde der Eingangstür von Rupert Ranzigs Brutzelbude näherten, zuckten sie vor Schreck zusammen: Zwischen dem Gebäude und der Werkstatt kläffte ein Hund los, der an seiner Kette zerrte und sie aus gelb glühenden Augen anstarrte. Er hatte einen Kopf, der einem Schwein ähnelte, eine haarlose, fleckige Haut und einen Ringelschwanz. Das Tier knurrte bedrohlich aus tiefster Kehle, kläffte erneut los und ließ seine messerscharfen Reißzähne aufblitzen.

      Luno führte die Kobolde in einem Bogen auf die Tür zu und warnte sie: »Obacht! Es handelt sich um einen Schweinehund vom Jupiter. Kommt diesem äußerst aggressiven Tier niemals zu nah, denn es frisst den ganzen Tag nur Schweinefraß und ist noch gefährlicher als ein Dreckschwein oder sogar Pistenschwein.«

      »Ooch, der ist doch ganz süß, mit seinen Schlappöhrchen!«, flötete Shirah und näherte sich dem Schweinehund, um ihn zu streicheln.

      Pennyflax zerrte sie zurück. »Biste irre?!«, schimpfte er und fragte sich mal wieder, warum Frauen alles süß finden mussten. »Schau dir doch seine blutunterlaufenen Augen und das Gebiss an. Der zerfetzt dich, bevor du ›Schweinepriester sparen für Sparschweine‹ sagen kannst!«

      Shirah maulte und ließ sich nur unter Protest durch die Tür der Raststätte schieben. Sie mochte es gar nicht, bevormundet zu werden, denn sie konnte gut auf sich alleine aufpassen. Trotzdem fand sie es irgendwie süß, wie Pennyflax sich um sie sorgte. Auch wenn er manchmal ein Besserwisser war.

      Den Freunden schlug Musik, Stimmengewirr und ein stickiger Dunst entgegen, der nach Gebratenem und altem Frittierfett miefte. Die Inneneinrichtung wirkte mit ihren Aluminiumtischen, den roten Sitzbänken und dem verchromten Tresen einerseits nobel, klebte aber vor derselben bräunlichen Schmiere wie die Außenwände des Gebäudes. Ein paar Insekten krabbelten über die schmutzigen Fliesen des Fußbodens, und links, neben dem Durchgang zur Küche, flimmerte Werbung auf einem 3D-Bildschirm vor sich hin. In der Werbung war ein dicker Außerirdischer mit vier Stielaugen zu sehen, der an jedem seiner acht Tentakelbeine einen Gipsverband trug und zwanzig Zentimeter über dem Boden schwebte.

      »Und denken Sie daran«, betonte der Außerirdische, »mit Schwerkraft ist nicht zu spaßen! Wollen auch Sie Ihrem Körpergewicht ein Schnippchen schlagen, Ihre Kinder vor aufgeschürften Knien schützen oder Ärger wegen ins Klo gefallener Handys vermeiden, kaufen Sie den neuen Gravo-Master! Denn nur Gravo-Master mit seinem antimateriellen Gravitationsfeld schützt Sie und Ihre Familie vor den Tücken der Schwerkraft!«

      Ein Gerät schwebte ins Bild, das einem Armreif glich und von einem Feuerwerk an Farben umgeben war. Gleichzeitig erklang eine Melodie, zu der ein Frauenchor trällerte: »Gravo-Master! Mit Leichtigkeit geht’s meilenweit!«

      Pennyflax und Shirah starrten noch wie gebannt auf den Bildschirm, als Luno sie auf einen freien Tisch in der Nähe der Tür zuschob. Es herrschte Hochbetrieb in Rupert Ranzigs Brutzelbude, trotz des Miefs und der verschmutzten Einrichtung. Daher legte der Mondmann für sich und seine Begleiter rasch ein paar Servietten auf die klebrigen Sitzbänke und ließ sich nieder, bevor eine Gruppe Sabberknilche vom Saturn den Platz stürmen konnte.

      »Wir werden nichts bestellen«, eröffnete er den Kobolden, »da ich mein Geld beim Absturz unseres Raumschiffs verlor. Außerdem suchen wir nur eine Mitfahrgelegenheit und können die Gäste, die das Lokal verlassen, von dieser Position aus am besten fragen, ob sie uns mitnehmen.«

      »Mist«, brummelte Pennyflax enttäuscht. »Hab echt Kohldampf und hatte mich schon auf die Leckereien des Mondes gefreut. Ich kann ja wenigstens mal ’nen Blick in die Speisekarte werfen …«

      Da er auf ihrem Tisch nur eine durchweichte Getränkekarte entdeckte, stellte er sich auf die Sitzbank und schielte hinüber zum Nachbartisch. Dort hockte ein Außerirdischer, der eine rote Haut besaß, eine Hornbrille trug und auf dessen Kopf ein grünes Haarbüschel in die Höhe stand. Der Kerl wirkte wie ein Häufchen Elend und seufzte vor sich hin, reichte Pennyflax aber auf seine Nachfrage die Speisekarte. Nachdem er die Karte erhalten hatte, blätterte er die Seiten durch, auf denen ausschließlich Fleischgerichte in Riesenportionen angeboten wurden. Schon beim Betrachten der Bilder bekam er Magenkrämpfe, weil sie nicht nur vor Fett triefende sondern auch verkohlte Fleischklumpen zeigten. Als Empfehlung wurden einige Gerichte mit besonders vielen »Freien Radikalen« angepriesen.

      Muss das Häufchen Elend am Nachbartisch mal danach fragen, beschloss der Kobold und beugte sich hinüber. »Garstigen Tag nochmal, du Rotling. Kannst du mir verraten, warum man diese Radikalen freigelassen hat? Und wie die schmecken?«

      Der Außerirdische, der über der Tischplatte hing und fortlaufend seufzte, hob den Kopf, rückte seine Hornbrille zurecht und erwiderte: »Ich rate dir, besser wieder zu gehen, rosso. Sonst ereilt dich dasselbe Schicksal wie mich … ich Pechvogel bin nämlich hier gestrandet.«

      Pennyflax wunderte sich über den komischen Kauz, brachte aber keine weiteren Informationen aus ihm heraus und vertiefte sich wieder in die Speisekarte.

      Währenddessen entdeckte Shirah an der Wand ein Poster, das auf eine Musikveranstaltung hinwies. In blinkender Schrift stand da geschrieben: »Konzertereignis des Jahres! --- Live, im Großen Stadion von Kosmopolis! --- Teenie-Idol Stella Antenna stellt ihr neues Studioalbum vor!« Unter der Schrift war eine junge Lunari-Frau abgebildet, die, wie alle Angehörigen von Lunos Volk, eine schimmernde Haut und Flötenohren besaß. Sie trug ein Glitzerkleid, streckte grinsend die Zunge raus und zeigte dem Betrachter ihre Finger, die ein V-Zeichen formten. Obendrein hatte sie eine blonde Kurzhaarfrisur und zwei Reihen von Ohrringen, an denen winzige Duschvorhänge baumelten. Am stärksten aber fiel die Zahnspange der jungen Frau auf, die genauso wie die Schrift des Posters blinkte.