Andreas Bulgaropulos

PENNYFLAX und das Uhrwerk der Sterne


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Stattdessen zuckte er vor Furcht zurück, krächzte eine Entschuldigung und begann, die Botschaft abzuspielen, wegen der er hergeschickt worden war. Der tiefschwarze Fleck, der sein Gesicht darstellte, hellte sich auf, und die Nebelschleier darin nahmen die Züge einer Frau an. Harte und kalte Züge waren es, wie aus Stein gemeißelt, die zugleich Schönheit und Unbarmherzigkeit widerspiegelten. Nach wenigen Sekunden hatte sich das Frauengesicht vervollständigt und wirkte im Kopf des Kurschattens so plastisch und echt, als hätte es schon immer dort hingehört. Die Frau verengte ihre stechenden Katzenaugen zu Schlitzen und öffnete die Lippen, die türkis glänzten.

      »Nocturus …!«, dröhnte sie, und ihre durchdringende Stimme ließ keinen Widerspruch zu. »Unsere Experimente mit dem umgewandelten Lichtsilber am Chronos-Krater haben Aufmerksamkeit erregt. Mir ist zu Ohren gekommen, dass ein Erfinder namens Bernardo Maschinski nach den Ursachen der Mondbeben forscht, die in einigen Gebieten auftreten. Er hat ein Messgerät konstruiert, mit dem er die Beben zurück zur ihrer Quelle verfolgen könnte … und das würde ihn auf unsere Spur bringen. Sollte er den Lunari davon berichten, würden sie gewiss bei dir am Krater auftauchen und unsere Pläne empfindlich stören.«

      Der Kurschatten machte einen Schritt nach vorn, wodurch das Frauengesicht Nocturus direkt anstarrte. Die Luft zwischen ihnen schien wie elektrisiert.

      »Du wirst umgehend nach Kosmopolis fliegen«, befahl die Frau, »und dort in die Werkstatt des Erfinders eindringen. Vernichte den Mondbeben-Detektor und, wenn möglich, nimm Maschinski gefangen. Er ist zwar kein Magiker, aber eine Art Wissenschaftler, weshalb seine Fähigkeiten wertvoll für uns sind. Falls er in Begleitung von Freunden ist oder du entdeckt wirst, nutze deine Gestaltwandler-Fähigkeiten und ahme sein Aussehen nach. Vielleicht gelingt es dir sogar, auf diese Weise Informationen auszuspionieren, die uns weiterhelfen.« Die Frau ließ ihre Worte wirken und schloss: »Ich verlasse mich auf dich, Nocturus. Bist du weiterhin erfolgreich, gewähre ich dir die Herrschaft über einen Planeten deiner Wahl, sobald ich meine Macht wiedererlangt habe!«

      Nocturus spürte förmlich die Göttlichkeit seiner Gebieterin. Als ihr Gesicht im Kopf des Kurschattens verblasste, verbeugte er sich, obwohl ihre Nachricht nur eine Aufzeichnung war. Weil er aber wusste, dass der Kurschatten seine Antwort an sie zurücksenden würde, raunte er: »So soll es geschehen, Herrin aller Schattenwesen. Ewige Nacht mit dir … Okktonia!«

      Mit einer schnellen Drehung wandte sich Nocturus von dem Kurschatten ab und huschte in Richtung der Landeplattform, von der er gerade gekommen war. Er würde nach der Erledigung dieses Entführungsauftrags hierher zurückkehren, denn seine eigentliche Aufgabe bestand darin, das Lichtsilber zu beschaffen und dessen Umwandlung in den Fabriken rund um den Krater zu überwachen.

      Während er auf einen kleinen Jäger am Ende der Plattform zu glitt, ließ er seinen Blick über die gewaltige Senke zu seiner Rechten schweifen. Wie ein kreisrundes Tal lag der Chronos-Krater in der Landschaft und erstreckte sich bis zum Horizont. Seine andere Seite war hundert Kilometer entfernt. Trotz der Dunstschwaden und des trüben Dämmerlichts, das die Gegend beherrschte, erfasste Nocturus’ rotes Auge jede Einzelheit in den Tiefen des Kraters. Furchen verliefen dort am Grund, die hinab bis zu seiner Mitte reichten und in denen sich Rohre und Leitungen wie Adern durch den Fels schlängelten. Jenes Rohrsystem war vor wenigen Monaten von den Dienern seiner Gebieterin angelegt worden und führte auf das Zentrum des Kraters zu, wo sich ein palastartiges Säulengebäude erhob. Um dieses Gebäude drehten sich die Bemühungen Okktonias. Und dorthin floss das umgewandelte Lichtsilber – zum Uhrwerk der Sterne.

      ***

      Zur selben Zeit hatten die Finsterling-Helfer das gesamte Arkanos aus dem Kommandoschiff ausgeladen. Fein säuberlich waren die Klumpen von ihnen verklebt, in die Rollwagen gehievt und zum Fahrstuhl transportiert worden. Im Schacht des schwarzen Turms rauschte soeben der letzte Aufzug mit der kostbaren Silberfracht hinab und schoss unten aus einer Öffnung im Gestein heraus. Entlang der Außenseite des Kraterwalls, der sich wie ein mittelhohes Gebirge über der Mondlandschaft erhob, sauste der Aufzug an seiner Führungsschiene bis ganz nach unten, wo er am Fuß des Chronos-Kraters bei den unzähligen Fabrikhallen stoppte. Polternd und quietschend kam der Fahrstuhl zum Stehen und öffnete sein Gittertor.

      Ähnlich wie oben auf der Landeplattform wimmelten auch hier die Finsterlinge herbei und zogen die Rollwagen mit den Lichtsilber-Klumpen aus dem Aufzug. Unter krächzendem Schnattern schoben sie die Fracht auf eines der Fabrikgebäude zu, das wegen des Qualms, der aus seinem Schornstein flockte, kaum zu erkennen war. Nachdem die Rollwagen das Tor passiert hatten, erreichten sie ein Schienensystem, auf dem sie automatisch davonrumpelten und in die Abteilungen der Fabrik gelangten.

      Einer der Wagen ratterte zu einer Sektion, die im hintersten Winkel der Halle lag. Nur vom trüben Licht einiger Schattenspender-Funzeln erhellt, reihten sich hier dutzende Maschinen aneinander, vibrierten und produzierten einen Höllenlärm. Der Rollwagen hielt hinter den Maschinen an und kippte das Arkanos auf ein Fließband, das es durch die Luke einer Gefängniszelle beförderte. In der Zelle blieben die Silberklumpen schließlich liegen – neben zwei Gestalten, die in schmutzige Kleidung gehüllt waren.

      »Schon wieder ’ne neue Ladung!«, stöhnte die eine Gestalt, ein dürrer Bursche mit braunem Haar, das ihm zur Hälfte vor sein längliches Gesicht hing. Deshalb, und wegen seines Gebisses, besaß er große Ähnlichkeit mit einem Pferd. Er schlurfte zu dem ersten Arkanosstück hin, um es vom Fließband zu wuchten. »Jetzt … hilf mir doch mal!«, ächzte er zu der zweiten Gestalt hinüber. »Wenn der Aufseher sieht, dass wir trödeln, gibt’s wieder Stress!«

      Die andere Gestalt, eine Bärin von einer Frau, deren muskelbepackte Arme von Tätowierungen übersät waren, beachtete ihren Kameraden kaum. Sie interessierte sich viel mehr für eine dritte Person, die sich am Boden auf einem Strohhaufen wälzte. Jene Person war von kleinem Wuchs, trug einen langen grauen Bart, weiße Haare und stöhnte vor sich hin.

      »Ich glaube«, brummte die Frau und deutete auf den Alten zu ihren Füßen, »unser Neuzugang hat sich bei der vorherigen Ladung verausgabt. Der kommt bestimmt erst morgen wieder auf die Beine … wenn überhaupt!«

      Der Dürre mit dem Pferdegesicht ließ den Klumpen zurück aufs Fließband plumpsen, stürzte zu dem Strohhaufen hin und begann hektisch, die Schultern des Alten zu rütteln. »Komm schon, Opa!«, keuchte er. »Jetzt reiß dich mal zusammen und steuere deine Magie bei, damit wir das Lichtsilber umgewandelt kriegen, bevor der Aufseher antanzt. Sollte der uns nämlich beim Däumchen drehen erwischen, kriegen wir kein Abendessen!«

      Die tätowierte Muskelfrau winkte ab. »Lass den doch, Archie. Wenn der Alte nicht durchhält, müssen sie uns eben einen neuen Magiker schicken.«

      Archie sprang auf und blinzelte seine Zellengenossin panisch an. »Kapierst du nicht, Pythia?! Fähige Magiker sind scheinbar Mangelware, und falls der Opa schlapp macht, kriegen wir so ’ne Niete wie davor. Dann schaffen wir unser Pensum nicht und dieser Oberfiesling Nocturus lässt uns zur Strafe wieder in der Arena beim Schattenboxen antreten!«

      Pythia grinste finster. »Würde mir sogar Spaß machen!« Sie ballte ihre hammergroßen Fäuste, brüllte auf und schüttelte ihren roten Lockenkopf. »Ich könnte ein bisschen Training gebrauchen!«

      Bevor Archie ihre Kampfeslust kritisieren konnte, erstarrte er vor Schreck: Draußen, im Gang vor der Gefängniszelle, war ein Geräusch zu vernehmen, das die beiden nur zu gut kannten. Es klang wie das Heulen eines Windes, das sich unaufhaltsam näherte. Prompt wurde kurz darauf ein Schlüssel im Schloss herumgedreht, es klackte und die Tür öffnete sich quietschend. Sofort breitete sich eine klamme Kälte im Raum aus, während ein stattlicher Finsterling durch die Türöffnung herein wehte. Er hielt eine Sturmpeitsche in der Klaue und wirkte recht fransig, weil er sich wie ein Tornado drehte.

      Archie und Pythia wussten, dass mit den Aufsehern nicht zu spaßen war, denn sie ließen ihre Wut regelmäßig an den Gefangenen aus. Noch schlimmer waren jedoch die Oberaufseher wie dieser hier, die sogenannten Windschatten.

      »Warum wird hier nicht gearbeitet?!«, fauchte und heulte der Windschatten, wobei ihm einige Hagelkörner aus der Schwärze seines Gesichts kullerten.

      Archie, der sich hinter die breitschultrige Pythia verzogen