Uwe Berlin

Saisonvorbereitung mit Seitensprung


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dich mit den Unterprivilegierten! Sei gut drauf! Sei der Janni und sieh zu, dass sie für dich die Mäuse an den Speck locken. Selbst die Putzfrauen behandelte er freundlich. Auch wenn sie ihn nicht Janni nennen durften. Auf die Zahlen kam es an. Nur darauf. Dafür ließ er sich Janni, DJ oder auch Jan-Derek nennen. Für die Kunden natürlich immer Herr Vorsaum. `Von mir aus auch VW Vorsaum.´ Verstohlen sah er zu Janz herüber. `13 Jahre… und immer noch für alle Kollegen der Herr Janz. Geht also auch so. Aber als Stinkstiefel will man ja auch nicht durch die Welt gehen.´ „Gut“, sagte er laut, „nichts freut mich mehr, als wenn ihr im Akkord für das Haus arbeitet.“ Er sah auf das Schlüsselbrett hinter Hellens Kopf. „Gib mir den großen weißen da.“ „Den Tuareg? Das ist ein Extramodell. Der war für den Saudi.“ „Jep.“ „Muss ich mit Herrn Soltje abklären.“ „Schon geschehen.“ Jan-Derek hielt ihrem Blick stand. Mit sanften Augen und einem gutmütigem Lächeln von Mundwinkel zu Mundwinkel. So gesehen war er im besten Mannesalter. Die Haare noch dunkel und nur an den Schläfen leicht ergraut. Die Haut fast noch glatt, die Zähne weiß und eine Ausstrahlung, die kein 20-Jähriger bieten konnte. Er roch förmlich nach Erfahrung. Besser noch: Nach vitaler Erfahrung. Das Leben hatte ihn weder müde noch griesgrämig gemacht. Im Gegenteil: Er war gelassener geworden. „Wie du meinst“, bestätigte Hellen und nahm den Schlüssel vom Haken. Viktoria sah von ihren Klemmblöcken auf. „Ist jetzt nicht euer Ernst, oder?“ `O Viktoria´, dachte Jan-Derek, `immer einen Furz schief sitzen.´ Er strafte sie mit leichtem Kopfschütteln, `Mädel, du verträgst die kumpelhafte Tour nicht. Mach so weiter und du fällst hier ganz schnell auf deine hübsche Nase!´ Laut sagte er: „ Viktoria wie lange? 1 Jahr? 2 Jahre? Wenn du 20 Jahre hier bist, wie ich, dann darfst du auch mal an die Großen ran.“ Er streckte Hellen seine Hand entgegen und wartete, dass sie ihm den Schlüssel hineinlegte. „Sag das deiner Frau“, murmelte Viktoria und sah wieder auf ihr Klemmbrett herunter. `Heute hat sie es aber mit meiner Frau.´ Jan-Derek deutete es als Zeichen, dass Viktoria scharf auf ihn war `Vermutlich hat sie sogar Recht und ich übertreibe es gerade ein wenig.´ Für eine Rückkehr war es nun zu spät. Er spürte das Gewicht des Touareg-Schlüssels in der Hand. „Danke“, sagte er mit festem Blick auf Hellen und bemühte sich, das Siegerlächeln aus dem Gesicht zu bekommen. `Bin ich gut´, lobte er sich. Er sah zu Viktoria hin, doch die hielt den Kopf gesenkt.

      Jan-Derek

      Als die Autotür hinter ihm zuschnappte, lehnte er den Kopf gegen das caramelfarbene Leder und atmete tief durch. Dann straffte er sich sofort wieder und stellte den Rückspiegel ein. Er befand sich noch auf dem Firmenparkplatz. `Wer weiß, welche Blicke hinter den Jalousien hängen.´ Sein Magen grummelte. Kein gutes Zeichen. Wenn die anderen wüssten, was er für ihr Reisegefährt auf sich nahm. Die Mappen neben ihm, erinnerten ihn selbst wieder daran. Er betätigte den Startknopf. Der Motorsound war satt und fett. Fast meinte er ein Vibrieren zu spüren. `Wahrscheinlich künstlich erzeugt?´ Ihm war bewusst, dass er um die 70000 € durch die Gegend kutschierte. Das Fahren machte ihm dabei keine Sorgen. Er hatte schon Fahrertrainings mit teureren Kisten absolviert. `Na ja, nicht viel teureren… Aber letztlich sind die Passagiere das Problem. Auf jeden Fall öffnet David hinten keine Chipstüte und Dosenbier gibt es nur draußen.´ Ohne viel Aufhebens glitt er vom Parkplatz in den fließenden Verkehr der Automeile. `Weißer Schlüssel, weißes Auto, braunes Leder, schickes Ding.´ Jan-Derek war zufrieden mit sich, auch wenn sein Magen weiter gurgelte. `Mein Magen ist wie meine Frau´, hatte er früher schon mal herumgealbert: `Immer wenn ich anfange Spaß zu haben, macht er schlapp.´ Die Erinnerung an die Szene von eben am Empfangstresen zauberte ein breites Lächeln in sein Gesicht. `Das war großes Tennis.´ Jan-Derek nickte zufrieden vor sich hin. Plötzlich hörte er drei Wassertropfen im Auto. Dann vibrierte sein Handy. `Mein Freund Theo.´ Er sah auf die Uhr im Cockpit. 10 vor drei. `Ich muss noch nach Hause, die Sachen in den Kofferraum schmeißen. Vielleicht noch in eine Banane beißen. Auf die Dusche verzichte ich.´ Das Handy verstummte. Jan-Derek hatte die Freisprecheinrichtung noch nicht eingerichtet. `3. Probefahrten-Gebot: Nicht mit Handy am Ohr blitzen lassen. 4. Gebot: Überhaupt nicht blitzen lassen. 2. Gebot: Sofort die nächste Autobahn aufsuchen und Gas geben. 1. Gebot: Keine Spermaspuren im Auto.´ Jan-Derek lachte laut. Er hatte plötzlich Lust mit Theo zu telefonieren. Erneut die Wassertropfen. Dann summte das Handy. Er zog es aus der Jacke und sah aufs Display: Chef, las er. Jan-Derek nahm das Gerät ans Ohr. „Ja, hallo.“ „Vorsau?“ „Vorsaum, ja.“ Anscheinend war Soltje zu Scherzen aufgelegt. Nur sein Tonfall klang nicht nach Humor. „Sind sie gerade mit dem Touareg von der Anlage gefahren?“ Mit dem Touareg. Als wenn es nur diesen einen gäbe. „Yep, nur ein bisschen ausfahren.“ Etwas Besseres fiel Jan-Derek nicht ein. Die Situation empfand er zunehmend als unangenehm, peinlich, geradezu bedrohlich. Warum telefonierte der Chef hinter ihm her? „Ausfahren…? Ist jetzt nicht ihr Ernst!“ Soltje war mit Vorsicht zu genießen. Absolute Aufmerksamkeit für die Feinheiten war gefragt. Bloß nicht zu ernst sein, bloß nicht, nicht ernst sein. Gar nicht so einfach, wenn man dabei auf den Verkehr achten musste. Die Nummer: „Ich hatte doch angekündigt, dass ich einen Wagen für eine Probefahrt brauche“, funktionierte bei ihm nicht. War rein sachlich nicht korrekt und bezog den 70.000€ Touareg schon gar nicht mit ein. Aber er hatte keine Zeit, sich etwas wirklich Gutes zu überlegen. „Ich bräuchte den Wagen für ein besonderes Wochenende.“ Mehr war nicht drin. Wie gerne hätte er den Chef mal dabei erwischt, wie er Dinge in einer Kundin verschwinden ließe. Hatte er aber nicht. Konnte er die Information über Trixi als Tausch anbieten? Ungeeignet. 200 Meter vor ihm stand eine Ampel auf Grün. Er ging vom Gas. Rotlicht würde ihm Zeit verschaffen. `Als wenn es darum noch geht.´ Er spürte, wie Mutlosigkeit sich in ihm breit machte. Auf dem Tennisplatz passierte das spätestens bei einem Spielstand von 2:6, 1:4 „Mann sie können doch nicht einfach mit einem 80.000 € Wagen vom Hof fahren, weil sie….“ Soltje stockte. Er traute sich nicht auf das Feld der Anzüglichkeiten. Das war gut. So eine Art 1. Aufschlag im Aus. Nun musste Jan-Derek wieder nach vorne preschen. Gar nicht so einfach, wenn man gerade eben noch kraftlos zum Return geschlurft war. Ihm fiel weiterhin nichts als die Wahrheit ein. Immerhin stand er jetzt an der roten Ampel. „Fahre mit der Tennismannschaft zur Saisonvorbereitung nach Laboe. Nettes Sporthotel, bewachter Hotelparkplatz, alles feine Leute. Hab ein Schild dabei.“ Immerhin stimmte der Kern. Ansonsten waren mindestens zwei Lügen in dem Satz, vielleicht auch drei: Von einem bewachten Parkplatz wusste er nichts. Ein Verkaufsschild hatte Jan-Derek nicht dabei und die feinen Leute spielten mittlerweile Golf, nicht Tennis. Das war anscheinend auch bei Soltje schon angekommen. „Die Reichen spielen Polo“, blaffte Soltje, „Tennis spielt außer ihnen keiner mehr!“ Jan-Derek lachte. Es war mehr als nur ein pflichtbewusstes Lachen. Ihm gefiel es, wenn die Chefs den gleichen Humor wie er selbst hatten. „Wenn sie einen Rex verkaufen wollen, dann wackeln sie auf dem Autoreisezug nach Sylt hin und her, aber fahren nicht nach Laboe. Das ist doch an der Ostsee, oder?“ Soltje war ein Top Autoverkäufer. Das beweisen seine messerscharfen Analysen. Geografie war anscheinend nicht so sein Ding. „Ja, an der Ostsee. Feinstes Golfrevier. Kitzeberg ist gleich um die Ecke.“ Soweit Jan-Derek wusste, hatte sich auch Soltje schon beim Golf probierte. Der Heikendorfer Golfclub Kitzeberg war in der Szene ein Begriff. „Sie hauen jedenfalls nicht einfach mit dem Touareg ab. Es ist Freitagnachmittag. Wir haben noch drei Stunden, das Ding zu verkaufen.“ `Stell ne Attrappe auf oder häng ein Poster an die Glastür´, dachte Jan-Derek. Die Ampel sprang auf Grün. `Ich fahre mit einem Architekten…´, Jan-Derek formulierte den Satz in Gedanken vor. Da waren tatsächlich nur Luschen in seiner Mannschaft. Ein Student, ein Bibliothekar, ein freiberuflicher Jurist. Leider hatte der Neue den besten Job von ihnen. Irgendetwas musste er jetzt sagen. „Ich nehme noch vier Leute mit. Architekten und so. Könnte so eine Art Verkaufsfahrt werden.“ „Könnte, könnte… Sie kommen jetzt bitte mal schön zurück und wir zeigen ihnen welchen Wagen sie heute noch verkaufen können.“ Jan-Derek schluckte. Nur ein Bitte war als letzter Akt von Höflichkeit geblieben und klang nach reinem Sarkasmus. Das alles war eine Farce. Man holte keinen Verkäufer, der 20 Jahre im Betrieb war, 15 Jahre länger als Soltje, und dessen Zahlen immer glänzten von der Straße zurück auf den Hof. `Und wenn man das tut´, Jan-Derek schlug mit der Hand auf das schwere Lederlenkrad, `kriegt man ganz schnell eine Kündigung dieses Superverkäufers oder eins in die Fresse oder beides.´ Er war jetzt auf 180. Der Touareg nicht. Den ließ er mit knapp 60 laufen. Jan-Derek suchte nach der nächsten