Uwe Berlin

Saisonvorbereitung mit Seitensprung


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Theodor Lasse den Korb. Er hatte kurz überlegt ein Brötchen herauszunehmen und es seinem Sohn an den Kopf zu werfen, aber er konnte sich gerade noch beherrschen. „Wollen wir jetzt singen?“, trällerte Katharina neben ihm, plötzlich wieder gut gelaunt. `Ich bin in einem Irrenhaus´, dachte Theodor. Lasse sägte verbissen sein Brötchen auf. `Eine gewisse Ähnlichkeit mit mir ist nicht abzustreiten´, stellte Theodor ein wenig erschrocken fest. Luise hatte beide Wangen voll. „Später“, entschied Frauke, „wenn wir gegessen haben.“ Theodor zuckte innerlich zusammen. Einerseits war er dankbar nun endlich abbeißen zu dürfen, andererseits befürchtete er neues Theater von Katharina. Jetzt wo sie doch unbedingt singen wollte. Schnell angelte er sich ein weiteres Brötchen aus dem Korb. „Hier!“, er legte es seiner mittleren Tochter auf den Teller, „für dich, weil Papa für zwei ganze Tage wegfährt.“ Aus den Augenwinkeln nahm er zwei offene Münder wahr, bereit loszuschreien. Er schnellte erneut nach vorne und holte die letzten zwei Brötchen aus dem Korb. „Für dich Lasse und eines für dich Luise. Ihr sollt doch satt werden.“ Die Kinder sahen ihn erstaunt aber zufrieden an. „Und du?“, schmunzelte Frauke. Theodor hob die Hände. „Ich brauche nichts. Ein Brötchen reicht dem Vater voll und ganz.“ „Luise braucht nun wirklich nicht zwei“, bemerkte seine Frau kritisch. „Voll und ganz“, betonte Theodor erneut. „Vor allen Dingen brauchst du wohl mal zwei Tage ohne uns“, stichelte Frauke. Theodor erwiderte nichts. Er suchte nach Worten, die nicht verletzend waren, aber sie kamen ihm nicht in den Sinn. Theodor trat vor die Tür der Bibliothek. Neben ihm zog eine ältere Frau ruckartig an einer Hundeleine. Der dazugehörige Terrier humpelte ihr auf drei Beinen entgegen. Was ihn nicht davon abhielt, eine gelbe Urinspur hinter sich herzuziehen. Am lasierten Backstein des spätgotischen Büchereigebäudes tropfte die Hundepisse herunter. Theodor nahm das Geschehen war, doch er reagierte nicht darauf. In seinem Kopf flammte wieder das Abschiedslied der Kinder auf. „Ein kleiner Matrose umsegelte die Welt. Er liebte ein Mädchen, das hatte gar kein Geld.Das Mädchen musste sterben, und wer war schuld daran?Ein kleiner Matrose in seinem Liebeswahn.“ Lasse hatte es cool herunter gesungen ohne äußerliche Regungen. Katharina hatte besser aufgepasst und die passenden Bewegungen mit den Händen dazu vollzogen. Luise hatte den Blick auf Katharina gerichtet und hinkte in ihren Bewegungen immer vier, fünf Takte hinterher. Theodor atmete tief durch. Der Gestank von Hundepisse drang ihm in die Nase. `Wieso gerade dieses Lied? …Ein kleiner Matrose in seinem Liebeswahn...´ Er zog sein Handy aus der Tasche und checkte seinen Email-Eingang. Drei unbedeutende Mails. Unter Gelöschte Mails war auch nichts mehr. Dann suchte er nach Jan-Dereks Nummer. „Ja, hier Theodor. Bist du auf dem Weg? Ich bin auf dem Weg. Ich fahr selbst. Ja, mit dem Auto. Lustig. Ich lass den Wagen auf dem Parkplatz stehen, Frauke holt ihn später mit den Kindern ab. Nein, schon ok. Bis gleich.“ DJ war also auf dem Weg. Zumindest wollte er gerade aufbrechen. `Das kann natürlich alles heißen.´ Zum Beispiel, dass DJ noch eine Stunde arbeiten und Autos verkaufen würde. Vielleicht musste er auch noch einen Kaffee trinken oder sich den Monatsbonus durch den Kopf gehen lassen. Theodor überlegte, noch einmal bei Jan-Derek anzurufen. Er wollte nicht ewig auf dem zugigen Parkplatz herumstehen und auf die Anderen warten. `Warum fühl ich mich nur für die ganze Geschichte verantwortlich?´ Die Antwort lag nah: `Weil der Vorschlag diesmal von mir kam und ich 600 € vorgestreckt habe, ohne bisher irgendetwas davon wiedergesehen zu haben.´ Theodor hob erneut das Handy ans Ohr und drückte zweimal auf die grüne Taste. „Hallo, nein, fahr selbst. DJ..., ich bekomm noch Geld von dir. 100€ mindestens. Ja, wenn es sein muss, überweis es mir nach der Fahrt. Gleich in bar geht aber auch. Jetzt noch überweisen? Ich denke du bist schon so gut wie weg. Nein, lass das jetzt und mach es nach der Fahrt. 100 €, ja. Ciao.“ Theodor presste die Lippen aufeinander. `Ich werde das Geld schon bekommen. Früher oder später. Keiner von denen prellt einen Tennisfreund um 100€.´ Er kramte seine Hosenspanner aus der Aktentasche und schloss das Fahrradschloss auf. Den Helm hängte er an den Lenker und schob das Fahrrad den Berg zur Königsstraße hinauf. „Warum sollte ich bitte kein Auto mehr haben? Nur weil ich mit dem Fahrrad zur Arbeit fahre? Wird sich ja zeigen wer besser in Form ist.“ Hatte DJ in letzter Zeit nicht reichlich Fett angesetzt? `Ich tu wenigstens etwas für das ökologische Gleichgewicht. Was man von einem Autoverkäufer wohl nicht sagen kann.´ Doch jetzt hatte Theodor andere Sorgen. Auf dem Weg nach Hause ging er die Mannschaft nach ihren finanziellen Verhältnissen durch. Der Neue würde zahlen. Wenn nicht, war er draußen. Das war mal sicher. `Das bringt mir mein Geld dann aber auch nicht wieder.´ Theodor übersah einen Kunden der Bücherei, der neben ihm auf dem Bürgersteig ging und grüßte nicht zurück. `DJ zahlt und wenn ich ihn im Autohaus besuche.´ David? David war auf jeden Fall kein Zechpreller. Zumindest nicht unter Freunden. Sonst vielleicht schon. `Eigentlich hat er genau die verschlagene Art, die ich mir bei einem Zechpreller vorstelle.´ Ein Freund war er nicht. `Eher Mannschaftskamerad.´ Ein Sportsmann war David aber. Er war ihre Nummer eins, ein absolut integrer Tennisspieler. `Aber hat er Geld? Hat Karsten Geld?´ Theodor fuhr das Stück durch den Park heute ohne abzusteigen. Er umkurvte zwei Frauen mit ihren Kinderwagen. Eine rief ihm: „Ist hier Fahrradweg oder was?“ hinterher. Er spürte, wie er rot wurde und überlegte, doch noch abzusteigen, aber es waren wirklich nur noch etwa zwanzig Meter. Er trat schneller in die Pedale. Karsten war Anwalt, freiberuflich, ebenso freiberuflicher Tennislehrer. Er hatte Karsten sogar 100 bis 200 € für die Reise in Aussicht gestellt. So gesehen musste er von den anderen noch mehr einsammeln, ungefähr 150€ von jedem, je nachdem wie viel sie Karsten zahlen wollten. Theodor fehlte die Puste, das jetzt zu überschlagen. Sie mussten das gemeinsam besprechen. Aber wann? Kalle und der Däne blieben nur eine Nacht, mussten also weniger zahlen, hatten aber genauso wenig wie die anderen auf seine Mail mit der Zahlungsaufforderung geantwortet. `600€. Und Frauke sucht ein Lied von einem liebeshungrigen Matrosen raus. Weiß sie etwas?´ Als Theodor endlich zu Hause ankam, war seine Laune auf dem Tiefpunkt. Er riss die Garagentür auf und lehnte sein Fahrrad vorsichtig gegen die Wand. „Ich zahl doch nicht 600 für die Fahrt und seh von diesen Idioten keinen Cent wieder. Gut, meine 100€ muss ich abziehen. Also 500. Ist es das wert?´ Theodor schüttelte den Kopf. Er ging ins Haus und nahm den Autoschlüssel vom Haken. Die Tennistasche lag schon gepackt im Kofferraum. Er stellte den Sitz und den Rückspiegel des Passats auf sich ein. Frauke war etwas größer als er. Wütend pumpte er den Fahrersitz hoch. Mit dieser schlechten Laune konnte er sich unmöglich mit den Anderen treffen. Er begann den Vogelfänger vor sich her zu pfeifen. Eine Angewohnheit, die Kalle beim Doppel wahnsinnig machte. `Geld ist nicht alles in der Welt. Also reiß dich zusammen Theo. Sie werden schon zahlen und du wirst auf deine Kosten kommen.´ Seine Laune besserte sich, je weiter er sich von seinem Haus entfernte. Als er auf die Einfahrt des Clubhauses fuhr, stand dort noch kein anderes Fahrzeug. Er war also der Erste. `Und das als Fahrradfahrer!´, lobte er sich. Es war jetzt fünf Minuten vor der verabredeten Zeit. Theodor fragte sich, wann der Letzte von ihnen eintreffen würde.

      David

      David nahm im Halbschlaf ein Gurgeln war. Es klang, als läge er neben einem Abflussrohr. Die Nacht gestern war lang gewesen oder auch kurz, je nachdem von welcher Seite aus man es betrachtete. Niki und er hatten noch ein wenig ferngesehen und dabei Dinge getan, die weit über das, was bei Niki im Fernseher lief, hinausgingen. Dann wollte Niki essen gehen. Sie zeigte ihm einen Inder in einer Seitenstraße, den er bisher noch nicht gekannt hatte und schon beim Nachtisch meinte er das Grummeln in seinem Magen nur mit Schnaps betäuben zu können. Den Schnaps bekamen sie im Flex, einer spartanisch eingerichteten Bar in Lübecks Altstadt. Die Musik wechselte zwischen GOA-Trance und Punk und irgendwann war David so voll, dass er sich außer Stande fühlte Nikis Annährungsversuche auf der der einzigen Unisextoilette des Ladens ernst zu nehmen. Jetzt lag er mit bleischweren Augenlidern auf dem breiten Bett in ihrer Zweizimmerwohnung und fragte sich, ob er jemals aus der Toilette der versifften Möchtegernbar herausgefunden hatte. Vielleicht gurgelte neben ihm ja das verstopfte Scheißhausrohr. Er versuchte die Augen zu öffnen. Allein schon der Versuch erzeugte in ihm das Bedürfnis einen Schwall Masallatikka ins Bett zu brechen. Das Gurgeln verstummte und David fiel wieder in unruhigen Schlaf. Kurz darauf fühlte er eine Hand an seinem schlaffen Glied. `Hoffentlich Niki´, dachte er und zog vorsichtshalber die Beine an. Doch sie ließ nicht locker. Sie umfasste seinen Schaft mit festem Griff und zog ihn hoch, ließ ihn dann fallen und zog ihn wieder hoch. Davids Gesäß wurde fast mit in die Höhe gezogen. „Au!“ rief er und trat um sich. Niki