Uwe Berlin

Saisonvorbereitung mit Seitensprung


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oder sitzt du da das ganze Wochenende dran? … Nein, deswegen sagte ich ja übermorgen und nicht morgen. Ich hörte, dass ihr noch ein Turnier spielen wolltet. Kommt ihr nach, wenn ihr rausfliegt? Du und der Däne … Der Däne nicht? … Vielleicht. Der Däne also nur vielleicht… Warum ich das wissen will? ... Für euch brauche ich natürlich einen Trainingsplan, mh, Geronto-Fit! ... Ich wollte nur wissen, wieviel Gehalt ich euch abknüpfen kann ... Da kannst du aber sicher sein ... Na, ich denke doch schon, ihr bekommt schließlich Training, nicht ich ... Nein, aber wär schon nett, wenn ihr auch kommt, vielleicht überlege ich mir das mit dem Gehalt dann auch noch mal. … Ja, das hättest du wohl schon tun sollen ... Ich? Nein, das habe ich noch nicht. Das ist dann mein Gehalt: Zwei Nächte umsonst in den gemütlichen Betten eines Tennishotels ... Weiß ich nicht wer, vielleicht zahlt Theodor das dann oder ihr seid so nett und überweist ihm mal was? … Ich hätte am Samstag eigentlich zwei Klienten ... Ja, müssen warten. Ok, ciao, … ja, fängt gleich an. Ich denke, du machst deine Steuererklärung ... Ach so. Ok, dann bis übermorgen ... Ach ja Kalle…? Nimmst du ein bisschen was mit? … Ja, nur so ein bisschen. Das verrechnen wir mit meinem Gehalt ... Alles klar, bis denne.“ Karsten warf das Handy neben sich aufs Sofa und ließ sich rücklings gegen die Lehne fallen. Seine Augen fühlten sich angestrengt und müde an. Er warf die Zeitung ganz beiseite und starrte auf den Fernseher. Dieses abwechselnde Nah-Fernsehen machte ihm auch auf dem Platz zunehmend Probleme. Der Augenarzt hatte es mit dem Verschleiß von Kniegelenken verglichen. Sehkraft und Meniskus, beides hielt bei Überbeanspruchung nur selten ewig. Hannover 96 spielte UEFA-Pokal gegen Paris St Germain. Karsten angelte sich die Bierflasche vom Beistelltisch und legte die Beine hoch. Verdammt schneller Antritt, diese 20-Jährigen. Sein Ältester war jetzt schon 26 oder sogar 27? - hatte auch keinen schlechten Antritt. `Aber was ihm fehlt, ist der Tritt in den Arsch. Den bekommt er von seiner Mutter natürlich nicht.´ Karsten hatte sich schon öfters darüber geärgert, dass ausgerechnet er eine Krankenschwester geheiratet hatte. `Aussehen wie ein Engel, aber der Charakter leider auch. Unerträglich auf Dauer.´ Der Jüngere war im Sport erfolgreicher. Spielte Fußball in der hessischen Landesliga. Hatte er gespielt. Jetzt im Studium ließ er den Sport ruhen, wie er es nannte. `Na, wenn´s was bringt.´ Er bot wohl kein gutes Vorbild, so wie er sich mit Beruf und Sport durchwurschtelte oder eben doch: gut abschreckend. `Leidenschaft´, dachte Karsten, `ich hatte wenigstens Leidenschaft für meinen Sport. Das fehlt den Beiden.´ Er nickte vor sich hin. Ein Hannoveraner Stürmer schoss am rechten Pfosten vorbei. `Kann passieren´, dachte Karsten, `Fehler darf man machen.´ Vor fünf Jahren waren sie schon einmal zu einer Saisonvorbereitung gefahren. Er sollte jetzt nicht daran denken. In unausgesprochener Einigkeit hatten sie das Vorgefallene bisher auf sich beruhen lassen. Auch an Stefan, diese miese Sau, wollte er nicht denken. Karsten rutschte unbehaglich auf seinem Ledersofa hin und her. Er zwang sich, an die bevorstehende Fahrt zu denken. Es war immer ein gutes Mittel, mögliche unangenehme Situationen im Voraus durchzudenken, um adäquat darauf reagieren zu können. Eine volle Tribüne, ein Fanblock, der gegen ihn schrie, eine eingeschissene Unterhose, die noch schnell gewechselt werden musste... Aber es sollte an diesem Wochenende eigentlich keine unangenehme Situation geben. Sonst hätte er sich nicht noch einmal darauf eingelassen. Das Übliche war zu erwarten: schlechtes Tennis und Männer, die im Vollrausch zur Lebensbeichte ansetzten. Gegen die Langeweile hatte er des Apothekers Wundermittel. `Jetzt wo Stefan nicht mehr da ist, wüsste ich nicht, was passieren sollte. Ich habe mich mitreißen lassen´, Karsten schmunzelte. Aber er sollte nicht mehr daran denken. `Hätte DJ nicht so ein Aufstand gemacht, wär ich jetzt vielleicht bi.´ Karsten zappte in ein anderes Programm und atmete tief durch. Ablenkung und tiefe Bauchatmung, so entkam man auf dem Platz mentalen Löchern. Den Fanblock konnte man nicht wegzappen, aber man konnte die Herzformen der Wolken betrachten. Die Buhrufe und das Gelächter drangen bis ins Innerste und ließen den Körper schwer wie Blei werden. Da konnte man gegenanatmen. Nur die eingeschissene Unterhose war immer ein Problem. Da half nur noch ab in die Kabine. Nicht das er sich ständig einschiss. Vor 40 Jahren als 17 jähriger war ihm das mal passiert. Halbfinale eines hochdotierten Weihnachtsturniers. Sowas blieb haften. Auf Pro 7 liefen halbnackte Teenager powackelnd an einem Swimmingpool vorbei. Karsten atmete tief ein und entspannte sich. Das war doch jetzt genau das richtige Programm. Die Schönheiten stolzierten mit keckem Blick auf einen Schwulen zu, der seinen kleinen Kopf in den Händen versteckt hielt und angestrengt stöhnte. Karsten schaltete wieder um. `Männersport, sehr schön.´ Er nahm das Bier vom Tisch. Immer noch 0:0 zwischen 96 und St Germain.

      Theodor

      Ein störendes Geräusch zog Theodor Stück für Stück aus dem Schlaf. „Mama…Mama!“, schrie jemand. „Mama…!“, kam es gleich noch einmal hinterher. Theodor konnte dem Geräusch allmählich eine Person- seine zweijährige Tochter Luise - und einen Ort -sein Haus- zuordnen. Die Zeit zu bestimmen fiel ihm schwer. Irgendetwas zwischen mitten in der Nacht und früh am Morgen. Vielleicht 5 oder 6 Uhr. Möglicherweise aber auch erst Mitternacht. Das hatte er auch schon mal erlebt. Reagieren konnte er noch nicht. Sein Körper fühlte sich so schwer an, als liege er mit Kleidung im Wasser. Gerne hätte er herausgefunden, ob seine Frauke sich schon auf den Weg gemacht hatte. Doch dafür hätte er den Kopf zur Seite drehen müssen. Das brachte er nicht über sich. Jetzt war es wieder still. Das besagte aber nichts. Das Kind schlief unruhig und würde gleich wieder Alarm schlagen. Oder war es bereits an seiner Zunge erstickt. Nicht dass Luise eine zu große Zunge hatte. Theodor stöhnte und wartete ab. Er spürte schon die Kopfschmerzen des nächsten Tages. Gerade heute musste er fit sein. Und das an einem Freitag. Kein arbeitender Mensch musste an einem Freitag fit sein. Hätte er bloß den Computer ausgelassen, wie er es eigentlich vorgehabt hatte und wäre mal vor zwölf ins Bett gegangen. Noch immer hörte er keine leisen Schritte auf dem Flurteppich, keine beruhigenden Worte seiner Frau: „Luise, schlaf noch ein bisschen“. Aber er hörte auch keine Atemgeräusche neben sich, kein Drehen oder Rascheln im Kissen. Lag Frauke überhaupt noch neben ihm? Plötzlich kam ihm wieder der Traum in Erinnerung aus dem Luises Rufe ihn gerissen hatten: Seine Frau hatte hinten auf einem Motorrad gesessen. Vor ihr ein Mann in Lederjacke. Theodor hatte kein Motorrad und gewiss auch keine Lederjacke. Frauke lachte und ruderte ausgelassen mit den Armen. `Wieso auf einem Motorrad?´ Theodor beschloss, seinen Kopf doch zur Seite zu drehen. Es ging leichter als er dachte. Sein Blick fiel auf einen Deckenberg. Die Anordnung sprach dafür, dass seine Frau darunter lag. Er war gerade im Begriff mit flacher Hand draufzuhauen, um sich zu vergewissern, dass Frauke nicht auf einem Motorrad saß, um sich von dem Biker ficken zu lassen, als wieder ein lautes, diesmal stark weinerliches „Mama…“ aus dem Kinderzimmer kam. Unter dem Kissenberg begann es zu rascheln. Nun stöhnte Frauke. Sie war also da. Theodor entspannte sich wieder. Das Stöhnen klang nicht nach Wollust, eher genervt. Kurz darauf warf sie die Decke mit einem Ruck zur Seite und sprang zum zweiten Mal stöhnend aus dem Bett. `Das geht doch auch ohne das Gestöhne´, dachte Theodor. Er schielte zu ihr hin. Frauke war nackt. Mit breiter Hüfte und schlankem Oberkörper wackelte sie aus dem Schlafzimmer. Er angelte sich den Wecker vom Nachtisch. Fünf Minuten nach 6. Luises Zeit. Nur 10 Minuten vor dem Weckerklingeln. Um Acht musste er erst in der Bücherei sein, aber sie planten mindestens 45 Minuten für ein gemeinsames Frühstück ein. Das war besonders heute wichtig, denn er würde für zwei Tage nicht nach Hause kommen. Das erste Mal seit Luises Geburt. Theodor dachte nach: Ja, auch die 4- jährige Katharina hatte er noch nicht länger als eine Nacht verlassen. Nur bei Lasse war er schon mal weg gewesen. Vor fünf Jahren. Auch zur Saisonvorbereitung. Ihn beschlich ein ungutes Gefühl. `Das einzige, was ich in meinem Leben vorhabe, sind Saisonvorbereitungen.´ Nun war er wach. `Manche Saisonvorbereitungen haben es aber auch in sich´, dachte er mit einem Lächeln, dass seine Frau als schelmisch bezeichnet hätte und welches sie schon lange nicht mehr an ihm gesehen hatte. Auch jetzt bekam sie es nicht zu Gesicht, denn vor ihren Augen, hing die zweijährige Luise. Die Arme seitlich um ihren Kopf geklammert, ließ sie sich wie Bündel Wäsche auf das Bett neben ihre Mutter legen. Theodor starrte weiter gegen die milchig graue Zimmerdecke. Luise war jedoch aufmerksamer als ihre Mutter. „Papa wach“, gellte sie durch das Elternschlafzimmer. „Psst“, fauchte Frauke. Theodor fühlte sich ertappt und schloss schnell die Augen. „Papa wach!“, wiederholte Luise und Sekunden später klatschte eine kleine Kinderhand auf Theodors Nase. „Au“, beschwerte sich Theodor und brummte: „Papa ist nicht wach. Schlaf weiter!“ Das fand Luise lustig und schlug wieder nach ihrem Vater.