Uwe Berlin

Saisonvorbereitung mit Seitensprung


Скачать книгу

sie sich was davon versprechen.´ David verzog den Mund zu einem schiefen Grinsen. Rein mannschaftsmäßig war das Wochenende damals ziemlich in die Hose gegangen. Verharmlosend ausgedrückt. D-J, Karsten und Theodor hatten danach ein halbes Jahr kein Wort mehr miteinander geredet. Ulrich war sofort aus dem Verein ausgetreten und ihre Herren 30 waren zwei Jahre in Folge abgestiegen. `Jetzt dümpeln wir in der 1. Bezirksklasse rum´, ärgerte sich David. Diese Saison sollten sie wieder aufsteigen, so viel stand fest. Übernächstes Jahr dann Verbandsliga. Eigentlich gehörte er in die Landesliga. So gesehen konnte eine Saisonvorbereitung nicht schaden: eine Trainingseinheit mehr für die Anderen. Wo er gerade dabei war, konnte er ja gleich noch eine Wahrheit aussprechen: „Natürlich hätte ich mir in Hamburg einen Verein suchen müssen. Ich hätte zum Club an der Alster gehen sollen und Regionalliga spielen.“ Andererseits wusste David um die Gründe, warum er das nicht getan hatte: `Hab leider Lacoste-Allergie.“ Nun also Trainingslager mit den Tennislegasthenikern aus Lübeck. `Vielleicht bedeutet eine weitere Reise sogar den Abstieg in die 2. Bezirksklasse.´ Ihm fiel beim besten Willen nicht ein, wessen Ausscheiden die Mannschaft grundsätzlich weiter schwächen könnte- bis auf sein Eigenes. `Wenn Karsten als Trainer geht. Das wäre schlecht. Wenn Karsten geht, gehe ich nach Hamburg´, beschloss David. Dabei wusste er, dass die Trainer in Hamburg schon jetzt zehnmal besser waren als Karsten. `Na ja, hab eh gerade beschlossen meine Wohnung in Hamburg zu kündigen.´ Er könnte natürlich zum Tennis nach Hamburg pendeln anstatt nach Lübeck. Hätte er schon längst machen sollen. 28 Jahre beim TC Lübeck waren schon zu viel. Davids Audi R6 Baujahr ´98 rollte auf die Hofeinfahrt seiner Eltern. „Mist!“ Er schlug mit der flachen Hand aufs Lenkrad. Der Passat seines Vaters stand nicht dort, wo er stehen sollte. Noch im Wagen kramte er sein Handy aus der Jackentasche. Er brauchte mindestens 100 Euro für das Wochenende. Nach dem fünften Klingeln sprang die Mailbox an. „Klasse…“ David stieg aus und sog die frische Landluft in sich ein. Irgendwo weiter weg düngte ein Bauer sein Feld. David tippte erneut auf das Handy, ließ es ein paar Mal klingeln und legte genervt wieder auf. Er sah zum Haus hin. Der weiße Glanz unter dem alten, erneuerungsbedürftigen Reetdach heiterte ihn ein wenig auf. Erst letztes Jahr hatte er allein die Fassade gestrichen. Auch der Schuppen, neben dem sein Auto parkte, brauchte einen neuen Anstrich. `Mach ich im Sommer. Besser noch: Wir reißen das schiefe Ding ab und bauen da eine Garage hin.´ „Meine Bastelstube“, nannte sein Vater den alten Hühnerstall immer mit Altmännerpippi in den Augen. `Scheiß auf seine Bastelstube…´ Eine Werkstatt ohne Werkzeug war es… und das Einzige, was dort gebastelt worden war, waren die unzähligen Joints, die David und seine Schulfreunde in dem Schuppen zusammengerollt hatten. David ließ den Blick weiter umherschweifen. Jetzt, wo die Natur noch nicht von den Staudenbeeten seiner Mutter, den meterhohen Bambussträuchern oder den wildwuchernden Obstbäumen Besitz genommen hatte, wirkte das kahle Grundstück größer- und absolut leblos. `Könnte auch ein Bauernhof in der Ostukraine sein. Wenn mein Caparol Acryl Fassadenweiß nicht wäre.´ Hinter dem Haus lag eine 3000m2 Koppel. Kühe, Hühner, Schafe und Pferde…alle waren sie Vorhaben geblieben. Nicht einmal ein Hund hatte hier sein Zuhause gefunden. Auf dem Hof lebten zwei Katzen. Zumindest hatte er sie vorgestern noch lebend im Wohnzimmer gesehen. David telefonierte erneut. Diesmal ging sein Vater ran. „Hallo Wolfgang. Ich bin hier am Haus. Wo bist du? Vor welcher Kirche? Ach so… und viel los da vor der Kirche? Nein schon gut. Wie lange seid ihr noch da?“ David sah zum Haus hin. Eigentlich wollte er sich noch eine Stunde aufs Bett legen. Gegen 5 sollte er bei Niki in Lübeck sein. Jetzt war es kurz nach 3. Aber das Geld war wichtiger als Schlaf. „Ich komm mal vorbei“, erklärte er seinem Vater, „Nein, nichts Wichtiges. Hab Sehnsucht.“ David ging ins Haus, um seine Tennissachen zu holen. Seinen Vater mit seinen Freunden anzutreffen hatte vor und Nachteile. Für sein Anliegen, ihm 100 Euro aus der Tasche zu leiern, war es von Vorteil. David dachte an die Nachteile: Ihm wurde leicht übel, wenn er an die Clique seines Vaters dachte. Die Frauen im lila Filz und die Männer mit ihren grauen Bärten. `Immer gut gelaunt. Diese schiefen, vergilbten Zähne, wenn sie lachen!´ Hallöchen David, winke winke. Eine halbe Stunde später ließ er den Audi am Straßenrand vor der alten Backsteinkirche ausrollen. 14. Jahrhundert. Hamberges ganzer Stolz. Wie erwartet, war nicht viel los vor der Kirche. Zwei Frauen, drei Männer, inklusive seinem Vater - vielleicht war ein Vierter auch gerade pinkeln. Die Männer hielten ein gelbes Transparent mit roter Grinse-Sonne vor sich her. Sie trugen Wollhandschuhe und winkten ihm damit freudig entgegen. Sein Vater stand in der Mitte der kleinen Gruppe. Wie David großgewachsen und schmal, aber mit langem, nach unten hin ausgefranstem Bart. Die Augen lagen noch tiefer als bei seinem Sohn. „Ihr meint also das bringt hier was?“, fragte David anstelle eines Grußes. Die Gruppe murrte. `Jehova, Jehova!´, dachte David. „Natürlich bringt es etwas, wenn man Flagge zeigt“, entgegnete ihm sein Vater und tätschelte ihm dabei umständlich die Schulter. „Vielleicht solltet ihr das an einem etwas belebteren Ort tun“, schlug David vor. Er wusste, dass er den Mund halten sollte. Aber er hielt sich ja schon zurück. Was er den Jutebeutelträgern alles an den Kopf werfen könnte: Ihr habt unser Wohnzimmer mit euren Filterlosen verqualmt! Die Tapete ist gar nicht gelb! Sein Vater zuckte mir den Schultern. „Ich hatte bis halb 1 Unterricht und bin direkt hierhin. Die Anderen waren auch dafür, heute mal im Ort zu bleiben. Nächste Woche fahren wir wieder zur Mahnwache nach Lübeck.“ David nickte. Hinter ihm fuhr ein Auto die Straße entlang, wurde auf Höhe der Gruppe etwas langsamer und beschleunigte dann mit quietschenden Reifen. Sie wurden also wahrgenommen. Einigermaßen mutig war es ja, die ganze Veranstaltung hier in Hamberge durchzuziehen. 100% CDU im Gemeinderat. Aber was sagte das heute schon? Die CDU war der Feind gewesen. David hielt es für möglich, dass sie es in Hamberge immer noch war, aber mit dem Anderssein, hatten sein Vater und seine Freunde ja noch nie Probleme. „Wo ist Waltraud? Kommt sie nicht mehr nach Hause?“, fragte David, um das Gespräch in familiäre Bahnen zu lenken. Davids Vater sah seinem Sohn in die Augen. Für David war das immer ein Kampf: Wer zuerst wegsieht hat verloren. „Waltraud hat mich angerufen. Sie wird vom Frauenkongress direkt mit einer Untergruppe nach Afrika fliegen.“ David wurde ein wenig schwindelig, aber er versuchte sich nichts anmerken zu lassen. „Nach Afrika…? Das ist doch unglaublich teuer.“ Sein Vater verdrehte leicht die Augen und schnippte in die Luft, als ließe er einen Schmetterling frei: „Meinst du, deine Mojie guckt aufs Geld, wenn es um ihr Afrikaprojekt geht? Wir haben ein Leben lang gearbeitet. Wir haben Geld.“ David nickte. „Wie wärs mit anlegen? Es gib interessante Projekte mit regenerativer Energie, die Geldkapital brauchen.“ „Ja, ja schon gut.“ Wolfgang sah sich etwas unsicher zu seiner Gruppe um und schob David dann mit sanftem Händedruck von der Mahnwache weg auf die Kirche zu. „Lass uns dort ein wenig hinsetzen. Mir tun die Beine weh“, erklärte er und gab den anderen durch ein Zeichen zu verstehen, dass er im Abseits ein Vater-Sohn Gespräch führen werde. Kurz darauf ließen sie sich direkt an der Kirchenmauer auf einer massiven Holzbank nieder. Wolfgang kramte eine Schachtel Filterzigaretten aus der Tasche und zündete sich eine an, ohne David eine anzubieten. „Drei von denen da sind gerade mit Prokon gehörig auf die Nase gefallen. Jutta und Udo haben sogar 15000 bei dem Verein angelegt.“ „Ist das Geld denn schon endgültig in die Luft geblasen?“, erkundigte sich David. Nicht, dass ihn für Jutta und Udo leid tat. Aber die Sache interessierte ihn. Geld und regenerative Energien. Darum ging es ja. „Nein, nein“, beschwichtigte Wolfgang, aber es klang nicht so, als wenn er daran glaubte, dass da noch was zu retten war. „Wie kommt es, dass ihr da kein Geld angelegt habt?“ „Wegen der 8%“, lächelte Wolfgang verschmitzt. David war es gewohnt, sich aus kargen Worten seines Vaters einen Reim zu machen. Sein Vater verfiel eigentlich nur bei drei Themen in längere Monologe: Atomkraft, Energiepolitik und Ressourcenknappheit. Was ja irgendwie eins war. „Du meinst, 8% waren unglaubwürdig? Immerhin haben sie es ein paar Jahre lang ausgezahlt.“ „Völlig unglaubwürdig“, antwortete Wolfgang, „aber das war es nicht. Walli und ich wollen gar keine 8% Gewinnvermehrung. Wir wollen Gutes tun.“ David sah zur Straße hin, die vor der Kirche eine lange Kurve machte. Seit wann war da kein Auto mehr vorbeigekommen? Die letzten zehn Minuten vielleicht? „Das schließt sich ja nicht unbedingt aus“, sagte er dann. „Was meinst du, warum Waltraut jetzt nach Afrika fliegt?“, fuhr Wolfgang fort. David überlegte. Vielleicht hatte sie keinen Bock mehr auf ihren vergammelten Resthof? Oder der Anblick ihres Mannes war ihr zuwider? So viel wie seine Mutter unterwegs war, konnte man allerdings bezweifeln, ob sie noch wusste, wie beide aussahen. `Vielleicht behagt ihr auch das Klima dort unten. Kein guter Frühling dieses Jahr im Norden.´ Es brachte nichts seinen Vater zu verärgern. Auf Zynismus