Uwe Berlin

Saisonvorbereitung mit Seitensprung


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drückte Merle wortlos den Tesafilm-Halter in die Hand. „Danke“, sagte sie wohlerzogen und zog damit ab. „Pass gut darauf auf!“, konnte er sich nicht verkneifen zu sagen. Die Mail hatte er immer noch nicht gefunden. „Scheiße!“, entfuhr es ihm. Da blieb nur eins: Er musste Linda fragen. Sollte die auch nicht wissen, wann genau er vor dem Clubhaus zu stehen hatte, musste er Theodor anrufen. `Nein, das werde ich mit Sicherheit nicht machen.´ Theodor der alte Bibliothekar. Eine bessere Vorlage sich über seine angebliche Unorganisiertheit vor versammelter Mannschaft lustig zu machen, konnte er ihm nicht bieten. Etwas großspurig durften sie ihn seinetwegen nennen, vielleicht sagte man ihm auch eine gewisse Eitelkeit oder einen Hang zum Quasseln nach. So redeten sie nun mal über einen, wenn man nicht dabei war. Nur über die Unwichtigen wurde nicht geredet. `Aber unorganisiert bin ich nicht. Zumindest lass ich mir das nicht von einem fahrradfahrenden Zettelkasten sagen.´ Genauso wenig würde er David, ihre Nummer 1, anrufen. Es reichte schon, mit dem Miesepeter ein langes Wochenende verbringen zu müssen. Bliebe noch der Neue. `Wie heißt der noch mal? Kommt also auch nicht in Frage. Hab noch nicht mal ´ne Nummer.´ Ohne Namen ließ sich keine Telefonnummer finden. Der Vornamen würde ihm vielleicht noch einfallen. `Ja stimmt: Dierk. Komische Type. Dierk so-und-so.´ Dierk war einer von den Spätanfängern. Hatte gerade erst anfangen mit Tennis. `Mitte 30 ist der doch auch schon.´ Er hatte eine ganz ordentliche Vorhand. Aber beim letzten Training war Jan-Derek aufgefallen, dass der Neue schielte. Er hatte immer wieder versucht ihm direkt in die Augen zu sehen. Nichts zu machen! `Schielen und Tennis passt irgendwie gar nicht´, urteilte Jan-Derek und fuhr den Computer herunter. Noch dazu war Dierk korpulent, um nicht zu sagen fett. `Architekt, glaube ich. Immerhin.´ Die Telefonnummer ließ sich sicher in irgendeiner Trainingsmail von Karsten finden. Aber vom Mails-Durchforsten hatte Jan-Derek erst mal genug. Bliebe noch Karsten, der Trainer. Klar, Karsten konnte er anrufen. Er konnte es aber auch sein lassen. Am Ende wusste Linda sowieso, wann es losging. Immerhin hatte er schon die Tasche ohne ihre Hilfe gepackt. Jan-Derek klopfte an der Badezimmertür. Von drinnen hörte er den gleichmäßigen Strahl der Brause. Er drückte die Klinke hinunter. Abgeschlossen. `Seit wann schließt sie die Badezimmertür ab?´ Gut, sie hatten sich noch nie nebeneinander die Zähne geputzt, wie andere es vielleicht taten. `Ganz fürchterlich so etwas!´, Jan-Derek schüttelte sich. Ab und zu hatten sie mal zusammen in der Badewanne…nein, dort hatten sie es nie wirklich getan, dafür waren sie beide zu groß. Das war mit der Kleinen im Hotel. `Aber auch lange her´, Jan-Derek versuchte den Gedanken daran zu vertreiben. Er hatte sich mal neben Linda unter die Dusche gestellt und sie hatten sich gegenseitig eingerieben. Das war kurz nach Fertigstellung des neuen Badezimmers. Er wiegte den Kopf hin und her. `Lass es sechs, sieben Jahre her sein. Ich krieg schon nicht mal mehr die Werbemails vom Bäderland´ Mit Sicherheit war er schon öfters zu ihr ins Badezimmer gekommen, um irgendetwas zu fragen oder mitzuteilen und nie hatte Linda abgeschlossen. `Nun gut, jetzt hat sie abgeschlossen.´ Sollte er klopfen? Merle steckte ihren Kopf aus dem Kinderzimmer. „Was machst du denn da?“ `Neugierig wie ihre Mutter´, dachte Jan-Derek. „Wonach sieht es denn aus?“, konterte er. „Willst du meine Poster sehen?“, fragte Merle erfreut. „Später“, antwortete er. Aber ehrlich gesagt: Nein, wollte er nicht. Die Brause rauschte immer noch. Nun klopfte er. „Seit wann…“, er wollte Merle fragen, seit wann Mama die Badezimmertür abschließt, aber sie war schon wieder in ihrem Zimmer verschwunden. „Ja?“, hörte er dafür Lindas unwillige Stimme. Sollte er sie fragen, warum sie die Tür abschließt oder sollte er gleich zur Sache kommen? „Morgen fahre ich doch zur Saisonvorbereitung nach Laboe!“, rief Jan-Derek durch die Tür hindurch. Keine Antwort. „Mit der Mannschaft…“ „Mir wird kalt!“, rief Linda zurück. „Wir treffen uns am Clubhaus. Ich fahre und nehme die Anderen mit. Das habe ich dir doch erzählt? Gestern…“ Er hörte das Aufschnappen des Schlosses. Die Badezimmertür wurde einen Spalt weit geöffnet. „Jan, ich weiß, dass du morgen wegfährst. Deswegen habe ich ja Mama zu uns eingeladen.“ Jan-Derek spielte den Verständnislosen. „Wieso, was hat das denn damit zu tun?“ Linda rollte mit den Augen. „Was willst du? Ich wasche Haare und es wird kalt ohne Wasser auf dem Kopf.“ Jan-Derek warf einen schnellen Seitenblick zur Kinderzimmertür. Nichts regte sich. „Seit wann schließt du eigentlich die Badezimmertür hinter dir ab?“ Linda lachte auf. Es kam ihm vor, als wollte sie Zeit gewinnen. „Bitte, ich kann die Tür auch weit auf lassen, wenn es dir besser gefällt.“ Sie stieß die Tür auf und eilt in Richtung Dusche. „Jetzt wird es aber wirklich kalt“, rief sie von der Dusche aus. Jan-Derek schielte unschlüssig durch den Türrahmen in das vernebelte Innere. Sollte er ihr folgen? Merles Zimmer stand noch offen. Kein wirklich günstiger Zeitpunkt. Vermutlich würde Linda ihm das auch erklären. Jan-Derek legte die Hand auf den Türknauf. Die Brause sprang wieder an und Linda stellte sich wieder unter den harten Wasserstrahl. Er bemerkte wie die Wassertropfen von ihrem Busen abprallten und gegen die schwarze Marmorwand der Duschzeile prasselten. Natürlich standen ihre Brüste nicht mehr so wie vor zehn Jahren. `Dein Sack hat auch schon fast die Länge deines Schwanzes erreicht´, dachte Jan-Derek und ließ den Türknauf wieder los. Bloß keine Wehmut aufkommen lassen. Linda war auch mit Anfang 40 noch eine attraktive Frau. Es war auch nicht nur der Busen, der sich verändert hatte. Ihr Gesicht hatte einen neuen ernsthafteren Ausdruck bekommen, dabei lachte sie noch immer so viel wie früher. Das zeigten die Falten um die Augen. Dazu kamen dann die um den Mund und am Hals. Sie waren im Begriff gemeinsam zu altern. Ein paar Jahre blieben ihnen noch in denen es nicht allzu weh tat. Jan-Derek trat einen Schritt ins Badezimmer. Linda drückte auf die Shampooflasche, die an der Wand angebracht war und schmierte sich rosa Flüssigkeit in die Haare. Er zog seinen Fuß wieder aus dem Badezimmer heraus. „Was wolltest du denn jetzt eigentlich?“, rief Linda hinter ihm her, als er die Tür hinter sich zuzog.

      David

      Für Anfang April war die Luft immer noch frisch. In einigen schattigen Ecken lag sogar noch Schnee, nicht in der Stadt, aber draußen an den Landstraßen. Seitdem David kaum noch die Vorlesungen besuchte, fuhr er nur noch selten nach Hamburg. Er hielt sich eher im Haus seiner Eltern in Hamberge auf, einem Dorf vor den Toren Lübecks. Mit Anfang 30 noch den Kühlschrank seiner Erzeuger zu leeren war kein Umstand, auf den er besonders stolz war. Aber er sah es auch nicht ein, den Platz, den der geräumige Resthof ihm bot, mit der 27 qm Wohnung in Hamburg-Barmbek einzutauschen. Er stand sogar kurz davor die Wohnung in Hamburg zu kündigen. Gerade kam er wieder von einem dieser unsäglichen Seminare an der Uni. `Wirtschaftsrecht ist einfach nicht mein Thema´, dachte er ohne zu wissen, was ihn am BWL-Studium überhaupt interessierte. Das große Ganze, hatte er begreifen wollen. Die Wirtschaft an sich. Aber die einzelnen Puzzelteile wollten sich nicht in seinem Kopf zusammenfügen. David kniff die Augen zusammen. Hatte er das Pizzageschirr weggeräumt? Es würde nächste Woche wieder mächtig stinken, wenn er die Wohnungstür aufmachte. `Zum Glück gibt es jetzt noch keine Fruchtfliegen. Zu kalt. Ich hätte in der Mensa essen sollen!´ Aber ebenso wie Wirtschaftsrecht und Uniseminare hasste er es, allein in der Mensa zwischen hunderten gut gelaunter Massenstudenten zu sitzen. `Am besten war heute noch die Schnalle, die ihre Sonnenbrille in der Vorlesung nicht abgenommen hat.´ David lachte bitter. Was bildeten sich diese Leute ein? Er begann laut vor sich hinzusprechen: „Ich kündige die Wohnung. Da stinkt es. Dann such ich mir einen anderen Studiengang.“ Es tat gut, das einmal laut auszusprechen. `Nun also doch Sport auf Lehramt.´ Sofort verschlechterte sich seine Laune wieder. Angewidert verzog er das Gesicht. `Das steht also noch nicht fest. Darüber muss ich noch nachdenken. Fürs Wochenende bleibe ich sowieso noch Wirtschaftsstudent an der Uni Hamburg.´ Wieder Schnee. Dahinten lag noch ein halbes Feld unter der weißen Decke. Das Tennishotel in Laboe warb damit, den Mannschaften ab dem 1. April mindestens zwei Sandplätze zur Saisonvorbereitung zur Verfügung zu stellen. David fragte sich, wie sie das hinbekommen wollten. `Die müssen ja schon im Februar begonnen haben, die Plätze fertig zu machen.´ Sand aufschütten, Plätze walzen. Der Sand musste sich setzen. `Ob sie den Schnee einfach wegschaufeln? Vor vier Wochen lag definitiv noch Schnee. Fußbodenheizung für Sandplätze gibt es doch hoffentlich noch nicht. Vielleicht haben sie irgendeinen Spezialbelag. Oder Theodor hat einfach Scheiße erzählt. Wahrscheinlich müssen wir doch in die Halle gehen. Tolle Saisonvorbereitung, wenn wir gar nicht auf Sand spielen.´ Die Reise war auf Theodors Mist gewachsen. `Schon erstaunlich, dass der Langweiler mal was vorantreibt.´ Geradezu euphorisch hatte Theodor verkündet: „Saisonvorbereitung! Nur wir Männer! Ohne Frauen! Endlich mal wieder