Uwe Berlin

Saisonvorbereitung mit Seitensprung


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hing der Subwoofer. „Nicht ungefährlich, die Wohnungstür offen zu lassen“, wagte er anzumerken. „Ich habe gesehen, wie du eingeparkt bist“, japste Niki und zog das lange Ding ein Stück weit aus sich heraus. Für David platzte die Illusion. Wie sollte das gehen? Sie stand am Fenster, wartete auf ihn, und währen er sich noch im Rückspiegel die Augenbrauen zurechtstrich, drehte sie den Fernseher lauter, schmiss sich aufs Kissen und steckte…aber wahrscheinlich war er mal wieder einfach zu verkantet, um sich auf den Scheiß einzulassen. „Ich mein ja nur. Könnte ja auch der Nachbar vorbeikommen.“ „Dann wärs eben der Nachbar“, japste Niki, „nun mach schon!“ Bereitwillig hockte er sich vor ihr nieder, streichelte ihre Beine und ertastete dann die beste Griffhaltung für das lila Gummiding.

      Dierk

      Die Fahrstuhltür öffnete sich. Dierk stieg ein und drückte auf die 2. Zwei Stockwerke, die er in den letzten fünf Jahren noch nie über das Treppenhaus erreicht hatte. Eine Tatsache, über die er sich in den letzten fünf Jahren auch noch nie Gedanken gemacht hatte. Nun aber schon. „Macht dich doch nicht verrückt!“, Dierk schnaubte aus. Drei Tage Saisonvorbereitung standen ihm bevor und er betonte in Gedanken das Wort „Saisonvorbereitung“ als hätte er an Karottensalat mit Apfelstücken gedacht. Seiner Meinung nach ebenfalls lächerlich. Wie viele Trainingseinheiten ihm wohl bevorstanden? Noch so ein Wort, das vor 20 Jahren noch keiner kannte und jetzt als unglaublich wichtig daher kam. Er sah an sich herunter. „Austrainiert sieht anders aus“, gab er zu. Und trotzdem: Letzten Mittwoch hatte er der Nummer 2 Jan-Derek oder Dj, wie sie ihn nannten, einen Ball dermaßen in die Ecke gesetzt, dass DJ zwar rangekommen war, aber nur einen laschen, hohen Ball zurückgebracht hatte, den er wiederum, angepeitscht durch die Zurufe des Trainers, vorne am Netz mit steifem Schlagarm nur abtropfen ließ, sodass DJ nach Luft japsend zwar noch in Richtung Ball jagte, aber schon auf halber Strecke erkannte, dass er sich geschlagen geben musste. `Ich habe Talent´, stellte Dierk befriedigt fest. `Aber das war zu erwarten. Ein paar Kilos weniger und ich mach die alle platt. Bis auf David vielleicht. Für den brauch ich noch ein Jahr.´ Die Fahrstuhltür öffnete sich im 2. Stock. Dierk ließ sie wieder zugleiten und drückte das E. Er könnte ja mal die Treppe hochgehen. Unten angekommen drückte er wieder die 2. `So ein Quatsch. Ich war ja schon oben.´ Es gab Dinge, die wertvoller als ein schlanker Bauch waren. Eins dieser magischen Dinge erwartete ihn: Beruflicher Erfolg! Zumindest hoffte er, dass er dort oben auf ihn wartete. Die Chefs des Architekturbüros, in dem er angestellt war, hatten eine wenig subtile Art, ihren Angestellten zu zeigen, wer die Leitung eines neuen Projektes „gewonnen“ hatte. Auf dem Schreibtisch des neuen Projektleiters stand jene Art von Gebäude, die es zu bauen galt in Miniatur. Dierk erwartete heute eine Garage auf seinem Schreibtisch. Genauer genommen ging es um einen Komplex aus 11 Garagen in einem Wohngebiet nahe der Innenstadt. Stand auf seinem Schreibtisch keine Garage, war er wieder nur „im Team“. Erneut sprang die Fahrstuhltür auf. Vor ihm öffnete sich der Blick in das Großraumbüro. Die breite Fensterfront in Richtung lichter Innenhof, die zehn Schreibtische mit ihren Computern, wobei immer zwei Tische im rechten Winkel aneinander standen und die zwei Zeichenbretter. Auf seinem Schreibtisch stand…eine Garage. Ja, eine Garage. Breit grinsend zog sich Dierk den Mantel von den Schultern, nicht ohne dabei eine Faust in Siegerpose zu ballen und ging zu der freistehenden Wand, an der die Jacken hingen. `Game, Set and Match.´ Er hängte den Mantel an die Garderobe und wandte sich den anderen zu. Sechs der zehn Plätze waren schon besetzt. Mit seicht wiegendem Schritt tänzelte er auf seinen gekrönten Schreibtisch zu. `Lass dir bloß keine Freude anmerken´, warnte er sich. Neulich hatte er den Schmidt dabei beobachtet, wie der auf seine Reihenhäuser zugestakst war: Ohne eine Miene zu verziehen. Sehr imposant! Er hatte schon befürchtet, dass Schmidt gleich seinen Laptop auf die begehrten Bastelobjekte werfen würde. Hatte er aber nicht. Neben den Reihenhäusern hatte ein Zettel gelegen. Schmidt hatte ihn genommen und laut vorgelesen: „Jasper, Conrad. Ihr seid mein Team.“ `Danke du Arsch´, hatten Jasper und Conrad wahrscheinlich gedacht, denn wer sonst hatte sich mit dem Bau der Häuser noch befasst und wer sonst sich ebenfalls um die Leitung beworben? Dierk stellte seine Tasche sorgsam an den Platz neben seinem Schreibtisch. `Eine schöne Garage´, befand er, ohne sie anzufassen. Klein und putzig. `Und daraus mach ich elf noch viel schönere Garägchen. Achtung!´, ermahnte er sich. `Grinse ich etwa wieder?´ Es gab keinen Grund. Er hatte eine Projektleitung bekommen. Nach fünf Jahren das erste Mal. Er war nun 41 und hatte seit der Uni…Er hatte sehr spät angefangen mit dem Studium und schon befürchtet, dass der Zug vielleicht abgefahren…aber das war jetzt egal. Er hatte es doch noch einmal geschafft. Eine Projektleitung! Aber, und das durfte er nicht vergessen: Es handelte sich um Garagen. Kein bedeutender Architekt bekam wegen Garagen einen Jubelanfall. Es war ein Anfang. `Ich grinse doch nicht schon wieder, oder?´ Sein Gehirn suchte nach Analogien: Sein erstes Tor in der 2. Liga? Nein, das war nicht vergleichbar. Oder doch: Auch damals hatte er gewusst, dass es ab jetzt nur noch aufwärts ging. Ging es aber nicht. Mit 23 war Schluss gewesen. Seine Laufbahn hatte am grünen Tisch geendet. Das durfte nicht noch einmal passieren. `Ein kleiner Fehler und schon büßt du für Jahrzehnte.´ Ein Architekturbüro war kein Stadion mit 20000 Zuschauern. Das Gehalt ein Witz. Aber es ging mal wieder aufwärts. Endlich fanden seine Augen den Zettel neben der Garage. Nur ein Name stand darauf. Ole Zeitinger. Zeitinger war der Praktikant. `Also der Laufbursche und ich.´ Dierk nickte still vor sich hin und setzte sich auf seinen Drehstuhl. Er tat den anderen nicht den Gefallen, nach dem Praktikanten zu rufen. Mit einer lässigen Handbewegung wischte er die Garage zur Seite. Die Regeln sahen vor, dass er noch einen Tag an seinem alten Projekt mitarbeitete, so zu sagen Übergabe machte und sich dann der Leitungsaufgabe widmete. `Ist man eigentlich auch Projektleiter, wenn niemand da ist, den man anleitet? Niemand außer einer Knalltüte.´ Dierk nickte wieder und beschloss, dass es um das Gebäude an sich ging und nicht um das Team. Heute war Freitag. Am Montag würde er mit den Entwürfen für die Garagen beginnen. Dazu musste er seine bisherigen Entwurfs-Skizzen ins Detail bringen und …. Er hatte also einen Arsch voll Arbeit für die nächste Zeit. Dabei fiel ihm ein, dass auf keinem Zettel stand, bis wann die Entwürfe fertig sein sollten. `Am besten wohl gestern schon.´ Zum ersten Mal schüttelte Dierk den Kopf. Das Wochenende in Laboe passte nicht mehr rein. Ein wenig stolz war er ja gewesen, dass sie ihn gefragt hatten. So schlecht spielten sie ja auch nicht und er war Anfänger. Aber auch so. Wann war er das letzte Mal mit anderen Männern verreist? Wahrscheinlich seit damals nicht. Aber so eine Fahrt mit Tennis-Amateuren glich eher einer Klassenfahrt als einem Auswärtsspiel. Allein schon die Frage, wer mit wem in einem Zimmer schlief. Es war nie einfach, irgendwo neu anzufangen. `Das Wochenende muss sein. Ich nehm die Kreativpause vorweg. Danach wird geknüppelt.´ Wenn er dann ein paar Wochen nicht zum Training erschien, hatte er vorher wenigstens guten Willen gezeigt. Außerdem war Jan-Derek Autohändler. Womöglich konnte er ihm Tipps für die Ausstattung einer perfekten Garage geben. `Achtung´, ermahnte Dierk sich erneut, `für gewöhnlich verfalle ich am Tisch nicht in Gedankenstarre.´ Nein, für gewöhnlich ging er zuerst in die Kajüte, wie sie ihre kleine Teeküche nannten und holte sich einen Latte. Er sah auf die Uhr. Schon etwas nach halb neun. Mit etwas Glück traf er Miriam noch an. Der Drehstuhl ächzte als Dierk seinen schweren Körper herausstemmte. Tatsächlich stand die schlanke, mittelgroße Miriam einsam am Kaffeeautomaten und befüllte sich ihren knallroten Porzellanbecher. Anscheinend hatte sie es nicht eilig. Dierk meinte sogar ein Aufblitzen in ihren Augen zu entdecken, als er den Raum betrat. `Heute ist mein Tag!´, lobte er sich und nahm sich seinen Becher aus dem Schrank. „Glückwunsch, Dierkie“, begrüßte ihn Miriam. Er überhörte die Verniedlichung seines Namens. Es klang immer wie Dickie. Sie hatte die Garage also bereits entdeckt. Natürlich! Sie alle hatten danach Ausschau gehalten. Auch wenn sie sich nicht darum beworben hatten. „Danke“, grüßte er gleichgültig zurück, „es handelt sich um Häuser für Autos nicht?“ Ein Lächeln huschte über Miriams Gesicht. Sie lächelte nicht oft, meist nur zur Begrüßung. Den Rest der Zeit, sah sie einfach nur gut aus. Aber heute lächelte sie. `Vielleicht lächelt sie nur Männer in Führungspositionen an´, überlegte Dierk ohne ihr darüber böse zu sein. Miriam hatte schon ein Projekt geleitet. Immerhin. Auch jetzt bewarb sie sich wieder um eins, das wusste er. Sie hatten die gleiche Gewohnheit, sich um halb neun einen Latte zu holen. Miriam wollte die Einkaufpassage haben. Eine große Sache für Lübeck. Dierk glaubte nicht, dass sie ihr die Passage geben würden. So etwas wurde Chefsache. „Stell dein Licht mal nicht unter den Scheffel“, sagte sie und