Uwe Berlin

Saisonvorbereitung mit Seitensprung


Скачать книгу

und kurze Zeit später gurgelte das Abflussrohr wieder neben ihm. `Wenigstens die Augen aufmachen muss ich doch können´, bettelte David. Er hatte ja auch noch etwas vor. Etwas Wichtiges. Es fiel ihm nur nicht ein, was es war. Er war seinem Vater auf eine AKW-Demo gefolgt. Eine erneute Welle der Übelkeit schwappte durch seinen Körper. David schluckte etwas herunter und stieß es dann wieder auf. Er schluckte es erneut herunter. Die Welle lief aus, aber er wusste, dass noch einige Weitere in ihm warteten. Seine erste AKW-Demo seitdem er als kleiner Junge zusammen mit seinen Eltern, schreiend und pfeifend, die Demostraßen abgegangen war. Es musste einen wichtigen Grund gegeben haben, Wolfgang dort zu besuchen. Das einzig Wichtige in seinem Leben, das einzig Wichtige mit Bestand zumindest, war Tennis. Jetzt kam die Kotze. Eine große Welle, viel größer als die zuvor. Sein Magen zog sich zusammen. David atmete dagegen. Ruhig ein und aus. Nicht überhasten. Der Kotzdrang ließ wieder nach und er erinnerte sich wieder: Er musste nach Laboe fahren, um dort mit seiner Lübecker Bezirksligamannschaft ein Tenniswochenende zu verbringen. David entspannte sich etwas. Das Tenniswochenende stellte weniger ein Problem dar, als die Autofahrt dorthin. An eine Autofahrt war in den nächsten Stunden nicht zu denken. Wie spät war es überhaupt? Als er ins Bett gefallen war, hatte schon die Sonne geschienen. Wenigstens wusste er jetzt wieder sicher, dass er in Nikis Bett lag. Mühevoll schlug er ein Auge auf. Neben ihm saß Niki in kurzer Hose, aber topless und zog eine Bong durch. Ehe er sich versah, presste sie ihren Mund auf seinen. Heißer Rauch fuhr ihm in den Rachen. Er hustete und versuchte den Rauch nicht einzuatmen. Letzte Nacht hatte Niki schon zwei oder drei Joints durchgezogen, aber er hatte jedes Mal abgelehnt. Egal ob sie ihn Spießer nannte. Diese Zeit war einfach vorbei für ihn und es war gut, wenn man das sagen konnte. „Vielleicht bringt ihn das ja zum Stehen“, kicherte Niki. Warum musste sie an einem Freitag eigentlich nicht arbeiten? David richtete sich auf und versuchte möglichst viel Rauch aus seinen Lungen heraus zu bekommen. Jetzt musste auch etwas anderes heraus. Schwankend hangelte er sich über die wackelige Futonmatratze. Sein Ziel, das Badezimmer, in weiter Ferne. Es gab viele Möglichkeiten eine 20- jährige Freundin zu verlieren, aber nur wenige, sie zu beeindrucken.

      David

      Einige Zeit später besah er sich im Badezimmerspiegel. `Scheiße blass seh ich aus.´ Allerdings kam er selbst im Sommer nicht über eine leichte Wangenröte hinaus und da verbrachte er vier bis sechs Stunden täglich auf dem Platz. Das konnte auch am Cap liegen. Ohne Cap ging er nicht aus dem Haus. Jetzt stand er ohne da und wünschte es sich herbei. `Scheiß grell hier.´ Ansonsten fühlte er sich besser. Er spürte sogar Verlangen nach Toast oder Pizza. „Nicht zu fettig“, stöhnte David. Die Welle rollte wieder heran und es gab keine Dämme mehr, die ihn davor schützten. Etwas später hörte er hinter dem Klang seines eigenen Röchelns Nikis matte Stimme: „Kann ich was für dich tun?“ Es klang irgendwie gelangweilt. `Hacke dicht, die Kleine´, stellte David fest und übergab sich weiter. Er musste sich etwas einfallen lassen, wie er sie wieder beeindrucken konnte. Doch erst einmal hatte er mit sich selbst zu tun. „Musst du heute eigentlich nicht arbeiten?“, fragte er später, als er sich wieder in ihr Schlafzimmer traute. Aus Müdigkeitsgründen lehnte er sich gegen den Türrahmen, aber irgendwie sah es auch cool aus. Er hätte sich jetzt gerne eine Zigarette gedreht. Es hätte auch zum Flohmarkttrash gepasst, der hier überall herumstand und zu den Marihuana Rauchschwaden, die durch die Wohnung zogen. Außerdem brauchte David etwas, um den Geschmack in seinem Mund loszuwerden. „Nein ich muss nicht arbeiten“, antwortete Niki. Anscheinend vollführte sie auf der Matratze eine Art Yoga. Immer noch barbusig lag sie auf dem Rücken und hielt ihre Beine grade in die Luft. `Früher hätte man das wohl Kerze genannt´, dachte David. „Machst du dirs selbst?“, witzelte er. Er atmete tief ein. `Jetzt nicht an schnelle Bewegungen und nicht an Pizza denken.´ „Ich hab keine Arbeit mehr“, sagte sie und stieß ihre Beine höher in die Luft. Der Platz am Türrahmen wurde ungemütlich. Die Schulter schmerzte, aber er wollte die Stellung noch nicht aufgeben, um ihren Redefluss nicht zu bremsen. Niki fuhr fort: „Sie haben mich raugeschmissen. Jo der Sack hat mich rausgeschmissen.“ Das klang nicht gut. David fand schon jetzt, dass dieser Freitagmorgen ziemlich beschissen anlief. `Genaugenommen hat es gestern mit dem Scheißinder begonnen.´ Aber warum ging er auch mit Niki zu einem Inder in einer Seitenstraße? David fiel es nicht schwer, sich die Antwort selbst zu geben: `Ziemlich cooler Inder. Alles was Niki macht, ist ziemlich cool.´ Wenigstens war das bisher so gewesen. Einer aus ihrer Klicke hatte sie und die anderen zum Inder geführt. `Ihre Klicke ist vom Feinsten.´ Aber zu der Klicke gehört auch Jo. Jo, der Oberfrisör von allen Frisörstylern aus HL. Jo, der Sack, der Niki gefeuert hatte. Sie hatten zusammen beim Inder gesessen, danach waren Jo und die Anderen noch mit ins Flex gekommen. `Wann bitte soll er sie gestern gefeuert haben? Im Flex?´ Sein Magen grummelte laut auf. Wie ein Hund im Halbschlaf, der sich kaum aufgerichtet einmal um sich selbst dreht und sofort weiterschläft. `Wecke ihn bloß nicht! Warum wusste ich eigentlich nicht schon gestern, dass Jo ein Sack und Niki arbeitslos ist?´ Er hatte ihr doch sicher nicht gestern Nacht auf Band gequatscht oder so. Nun musste sich David doch setzen. Zur breiten Niki aufs Bett wollte er nicht. An der Wand stand ein kleines Tischchen, für Ketten und Ringe und so. Davor stand ein lederner Puff. Wohl aus Indien. Er ließ sich vorsichtig darauf fallen. Mit einem Ruck ließ Niki ihre Beine aufs Futon knallen. „Weißt du, warum der Arsch mich gefeuert hat?“ Nein, das wusste er nicht. „Ich kiffe zu viel!“, sie lachte schrill auf, „ich soll mein Leben in den Griff bekommen und mit dem Kiffen aufhören. Der Affe!“ So weit war es also schon. `Da hätte ich auch darauf kommen können´, dachte David. Niki regte sich weiter auf. Er hörte kaum noch zu. Vor ihm saß ein keifendes Geschöpf mit sehr schmalen Augen und trockenem Mund. Ein fester weißer Spucketropfen hing ihr im Mundwinkel und tanzte dort auf und ab wie eine Straßenlaterne im Hurrikan. Wo war die erfolgreiche Niki, die ihr Leben straight nach vorne führte? Niki meckerte immer noch. „Ist selber den ganzen Tag nur am Kiffen und beschwert sich darüber, dass ich seine hyperhyper Scheißkunden bekifft die Scheiß Mähne style. Dabei schneide ich bekifft so geil.“ `Tja´, dachte David, `manche hassen bei anderen ihre eigenen Schwächen am meisten.´ Zum ersten Mal hatte er Niki gegenüber das Gefühl, zehn Jahre älter und reifer zu sein. Er musste raus hier. „Geil, geil, geil!“, schrie Niki gegen die Decke. „So geil! Aber kein Schwanz fickt mich! Was ist nur los in diesem Scheißpuff?“ „Jetzt wird es unangenehm“, murmelte David. Er kämpfte weiterhin gegen die Unruhe in seinem Magen an. Nur keine Schwäche zeigen! Vorsichtig begann er den Raum zu scannen. Seine Klamotten lagen am Fußende von Nikis Matratze. Autoschlüssel und Portemonnaie befanden sich hoffentlich in seiner Hosentasche. Wenn nicht, waren sie sicherlich in der Jacke. Die Jacke hing über einem Stuhl am Esstisch. `Wo ist das Cap?´ Niki streckte sich auf ihrer Matratze und stöhnte unwillig. Auch sie schien mit der Gesamtsituation unzufrieden. Meistens lag sein Cap in der Nähe der Jacke, wenn er es kurz nach dem Eintreten ablegte. Da war er ganz die alte Schule. David ging vorsichtig auf den Küchenstuhl zu. Tatsächlich: Das Cap lag halb verdeckt durch die Jacke auf der Sitzfläche. Schläger und Reisetasche waren noch im Kombi. Er war gestern gar nicht dazu gekommen, sie rauszuholen. „Und warum nicht? Weil ich Niki mindestens dreimal Mal gefickt habe. Also keinen Grund zur Unzufriedenheit junge Dame.“ Erneut spürte er den leichten Stich eines schlechten Gewissens. `Bin ich einfach zu alt, um eine 20-Jähirge zu befriedigen? Und warum schleiche ich hier herum, als wenn ich etwas verbrochen hätte?´ Irgendwie hatte seine Angst etwas mit Nikis Tätowierungen zu tun. Sie hatten ihn von Anfang an eingeschüchtert… und gleichzeitig enorm erregt, wenn er sie beim Sex berührte. `Wenn mir nicht so schlecht wär, würde ich ja noch mal. Allein schon, damit sie nichts in Lübeck rumerzählt.´ Aber wem sollte sie schon etwas erzählen? Gemeinsame Bekannte hatten sich nach ihren zwei Wochen nicht wirklich eingestellt. Am besten war er eigentlich mit Jo klargekommen, dem Sack. Vielleicht, weil der schon in den 30ern war und nicht wie die anderen noch Teenager. Er würde sich einen neuen Frisör suchen müssen. „Suchst du was?“ Niki hatte sich aufgerichtet. David griff nach seiner Jacke und dem Cap. Er befühlte die Taschen von außen nach dem Schlüssel und dem Portemonnaie. Beides schien drin zu sein. So stand er da: In Unterhose und mit Jacke in der Hand. `Sieht wohl recht dämlich aus´, gestand er sich selbst ein. Die Position am Türrahmen war stilechter gewesen. Er schlenderte betont lässig zum Matratzenende. „Ich werd mal los.“ Den Zusatz: „Ich habe noch was vor“, verkniff er sich. Er brauchte sich für nichts zu entschuldigen. Plötzlich fiel ihm ein, dass er noch immer nicht