Stephen Red

Nacht ohne Wiederkehr - Band 1


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weit und sie befand sich im Entree des Gebäudes. „Hector, der Nachtwächter, begrüßte sie freudig gestimmt mit: „Hallo Betty, machst du wieder einmal mit mir die Nachtschicht?“ Sie blickte nur zu Boden und nickte verstört. „Raus, ich will raus aus diesem Irrenhaus. Raus und weit weg“, dachte sie. Aber wo sollte sie hingehen und wer sollte ihr diese Geschichte glauben? Die Antwort darauf gefiel ihr nicht. Die Polizei würde sie für verrückt erklären und Molly, ihre Chefin, würde sie zwangsweise in den Urlaub schicken. Das konnte sie im Moment gar nicht gebrauchen, denn sie hob die noch übrigen Urlaubstage für das Weihnachtsfest auf. Was sollte, nein, was konnte sie tun?

      „Ich kann zu Arthur gehen“, murmelte sie laut vor sich hin. Immerhin teilen wir seit über zehn Jahren schon das Büro miteinander. „Er wird mir helfen, hoffe ich. Aber wird er mir auch glauben?“ Diese Frage stand im Raum und beantworten konnte sie nur er selbst. „Wo wohnte er gleich noch? Ah, hier steht‘s in meinem Terminkalender: 42ste Straße. Gerade mal eine Querstraße von der Arbeit entfernt.“ Nun hatte sie genug getrunken und begann, Arthur alles zu erzählen. Sie schmückte nichts aus, wie es sonst ihre Art war, und dennoch wirkte es wie Science-Fiction. Als sie dies erledigt hatte, blickte Arthur sie mit leeren Augen an und meinte nur: „Gib mir mal die Flasche. Ich könnte jetzt auch einen vertragen.“ Sie saßen noch lange so da und schauten sich wortlos an. Ein wenig später stand Arthur auf, blickte zu ihr herunter und sagte schließlich: „Wir müssen mehr darüber herausfinden. Wenn wir damit an die Öffentlichkeit gehen wollen, dann sollten wir schon wissen, über was wir hier reden.“ Er hatte vermutlich recht, dennoch war Betty nicht ganz wohl bei der Sache. Schließlich würde das heißen, sie müssten nochmal hinunter in den Keller. Aber diesmal wäre sie nicht allein. Arthur glaubte ihr die Geschichte, wenn er zu Anfang auch Mühe damit hatte. Aber das Ganze wirkte so real, wie Betty es ihm erklärte, dass da was dran sein musste. Sowas saugte man sich nicht aus den Fingern und welchen Grund sollte sie dafür auch haben. „Betty“, fing er ein wenig zaghaft an. „Wie hast du morgen Dienst“, fragte er sie schließlich. „Ganz normal wie immer, von 08:00 – 16:00 Uhr“, antwortete sie ihm. „Lass uns mal um 16:30 Uhr draußen auf dem Parkplatz treffen. Da bereden wir dann, was wir als Nächstes machen werden, okay?“ Sie willigte ein. Mit einem Verbündeten an ihrer Seite wiegte das Ganze nicht mehr so schwer, als wenn sie alleine wäre. „Willst du heute Nacht hier schlafen?“, fragte er Betty. Diese nickte mit gesenktem Kopf und sagte: „Aber nur, wenn es dir keine Umstände macht.“ „Ach nein“, sagte er darauf und ging sogleich ins Schlafzimmer und holte Bettzeug für die Couch. „Du schläfst in meinem Bett und ich hier im Wohnzimmer, okay“, entschied er. Betty nickte abermals und freute sich innerlich. Sie fühlte sich in seiner Nähe schon immer geborgen. Obwohl er ein paar Jahre älter war, hatte sie viel für ihn übrig, was er allerdings nie wirklich bemerkt hatte.

      Gerade einmal zwei Stunden später wachte Betty schweißgebadet auf. Sie hatte einen Albtraum. Sie träumte von diesem Kellerraum und all dem Blut, was dort in den Abfluss gegossen wurde und dass sie jemand bemerkt hatte. So rannte sie um ihr Leben, wurde aber letztendlich gefasst und in eben diesen Raum gebracht. Er stank bestialisch nach Blut. Sie bekam das Würgen, aber durfte sich nicht übergeben. Eine Stimme hinter ihr verbot das. Sie wagte es nicht, sich umzudrehen und so gehorchte sie.

      „Wo bin ich?“, rief sie laut. Da stand auch schon Arthur an ihrem Bett und beruhigte sie. „Du hast geträumt. Hast von irgendwas geredet, was ich aber leider nicht verstanden habe“, sagte er zu ihr. Betty bat ihn, ihr ein Glas Wasser zu holen. Sogleich sprang er auf, eilte in die Küche und kehrte damit zurück. „Arthur, mir lässt das, was ich gesehen habe, keine Ruhe. Würdest du mich für verrückt halten, wenn ich dir vorschlagen würde, dass wir jetzt dorthin gehen und diesen Raum aufsuchen?“ Arthur schaute sie pikiert an und sagte nur trocken: „Warum nicht zur Geisterstunde heute Abend. Wäre das nicht stilechter, Betty?“ Sie ärgerte sich über seine Aussage und drehte sich von ihm weg. „Du nimmst mich gar nicht ernst“, sagte sie schließlich. „Glaubst du, ich hab mir das ausgedacht? Ich wünschte, es wäre so, aber nein. Ich habe das wirklich gesehen. Und du musst zugeben, da stinkt was gewaltig.“ Arthur gab ihr ohne Umschweife Recht und sagte nur: „Rock ›n ‹Roll Baby!“

      Gegen fünf Uhr saßen sie gemeinsam in der Küche und schmiedeten einen Plan für ihre Unternehmung. Das Hineingelangen in das Gebäude stellte keine Herausforderung dar. Hector kannten sie beide gut. Der würde keine Fragen stellen, denn schließlich kam es immer mal wieder vor, dass sie auch in der Nacht tätig waren. Viel fraglicher war da schon der Umstand mit dem, was sie dort unten erwarten würde. Arthur ging kurz raus und kam zurück mit einem Revolver, welchen er sich ganz lässig hinter seinen Ledergürtel gesteckt hatte. Betty sprang auf und sagte nur: „Mann, Arthur, wir wollen da keinen töten! Wir sind Reporter, keine Helden!“ Doch Arthur ließ sich nicht beirren. Schließlich gab die Waffe auch ein Stück weit Sicherheit. Er nahm sie mit. Sie packten sich noch zwei Sandwiches ein, zogen sich ihre Jacken an und schon ging‘s los. Da Arthur nicht weit entfernt wohnte, standen sie bereits zehn Minuten später in Sichtweite zum Gebäude. Sie hakten noch einmal kurz die Checkliste ab, bestätigten alles mit „JA“ und brachen auf ins Abenteuer.

      Hektor saß am Empfang und begrüßte sie freundlich mit: „Schönen guten Abend, Arthur, schönen guten Abend, Betty. Was treibt euch denn schon zu so früher Stunde an den Arbeitsplatz?“ Arthur entgegnete ihm nur wortkarg: „Neue Story!“ und winkte ab. Mehr brauchte Hector nicht. Die beiden gingen in den Fahrstuhl und wollten gerade nach unten fahren, als sie sahen, dass es nur zwei Knöpfe für Untergeschosse gab. Tiefgarage 1 und Tiefgarage 2. „Wie bist du doch gleich in diese ominöse Etage 4 gefahren, Betty?“, fragte Arthur sie etwas spöttisch. „Ich wollte nach oben und der Fahrstuhl fuhr entgegengesetzt.“ – „Vielleicht ist ja genau dass das Rätsel. Wir drücken mal die 4 und schauen, was passiert.“ Kaum, dass er dies getätigt hatte, fuhr der Fahrstuhl tatsächlich in den Keller. Es pingte bei Erreichen des 4. Untergeschosses. Sie stiegen aus, liefen den Flur entlang zu der besagten Tür, öffneten diese und sahen in einen tipptop gereinigten Raum voller Kartons mit Druckerpapier, Tonern, Klopapier und vielem weiteren Verbrauchsmaterial. Arthur fühlte sich etwas verarscht. „Was zur Hölle hast du hier gesehen, Betty? Beschreib das doch bitte noch mal ganz langsam“, sagte Arthur. Betty hob die Hände, zuckte mit den Schultern und war sprachlos. „Wohin sind all die Spuren“, fragte sie sich in Gedanken. „Jemand musste aufgeräumt haben, damit es keiner entdecken konnte“, durchfuhr es sie. Betty überlegte, sie hatte einmal in einer Krimiserie gesehen, dass Blut noch Jahre später nachweisbar war. Aber dafür brauchten sie Schwarzlicht und das hatten sie nicht dabei. Während die beiden noch darüber nachdachten, wie sie hier Beweise finden konnten, knarrte von gegenüber das Scharnier der Tür. Die beiden schauten sich entsetzt an und flüsterten gleichzeitig: „Verstecken!“ Arthur kroch unter eine Bahre, Betty kletterte in den Schrank mit den Proben. In dem Bruchteil von einer Sekunde schaltete Betty noch das Licht aus. Der Raum lag still, als sich die Tür öffnete. Herein kam ein Mann in blauem OP-Kittel. Er war über und über mit Blut besudelt, jedenfalls sah es wie Blut aus, welches Arthur aus seinem Augenwinkel dort erblickte. In seinem Kopf lief ein Film ab. „Sie hatte also doch recht gehabt mit ihrer Story. Aber was zur Hölle läuft hier ab und woher ist das ganze Blut?“ fragte sich Arthur.

      Der Mann im OP-Kittel ging ans Waschbecken hinten in der Ecke des Raumes und wusch sich die Hände sauber. Da schwang die Tür erneut auf und herein kam ein weiterer Mann. „Hey, Pete, was machst du denn hier? Ich dachte, du hast heute frei?“ – „Nein, leider nicht, Jack. Der Boss ist durstig und so muss ich mithelfen, damit er seinen Durst stillen kann.“ „Gute Wahl“, entgegnete ihm Jack. „Mich wundert ja, dass den Mitarbeitern aus den Büros noch gar nicht aufgefallen ist, dass es gar keine Putzfrauen mehr gibt“, sagte Pete. „Ach die, die merken doch eh nichts. Nicht einer von denen hat sich bis heute darüber gewundert, dass so viele Unfälle im Haus passieren“, erwiderte ihm Jack. „Stimmt, da hast du recht. Hier mal eine Fliese, die hochsteht, und dort eine Tür, die sich wie von Geisterhand schließt. Menschen, pah, die dümmsten Geschöpfe der Welt!“

      Arthur, der alles mit angehört hatte, bekam Schweißausbrüche. „Was sollte das heißen: Menschen, die dümmsten Geschöpfe der Welt“, fragte er sich. Immerhin waren sie selbst ja auch welche. Er wurde unruhig und die Neugier übermannte ihn. So reckte