Stephen Red

Nacht ohne Wiederkehr - Band 1


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Die Kinder im Auto, das ihm gerade entgegen kam, drehten verwundert die Hälse und dachten sicherlich: „So sieht es also aus, wenn man verrückt ist und gleichzeitig Auto fährt.“ Timothy war es allerdings egal, was andere über ihn dachten. Heute wollte er nur noch feiern. Vor dem Motel angekommen, stellte er sein Auto ab und ging sogleich in das angeschlossene Restaurant. Hier bestellte er sich ein großes kühles Bier und ein schönes saftiges Steak. Kurz darauf fragte er die Bedienung, ob sie wohl ein Telefon hätten. Sie sagte nur: „Ja, draußen auf dem Gang, mein Herr.“ Er stand auf, rannte los und sprang schon fast in die Kabine. Zog die Tür zu, wählte die Nummer seiner Frau und prustete ins Telefon. Diese sagte nur: „Timothy hol Luft, was ist denn los mit dir?“ Er atmete zwei-, dreimal tief ein und aus und teilte ihr mit: „Ich bin es los, ich bin es los, ich hab das Loraine-Anwesen vermietet und die Kaution hab ich direkt bar auf die Hand bekommen!“ Seine Frau wollte eigentlich gerade zickig werden, schaltete dann aber einen Gang zurück und fragte fast schon flüsternd: „Du hast was?“ – „DU HAST WAS?“, fragte sie lauter erneut. „Es ist wirklich weg, wir sind dieses Gruselschloss für immer los, ja?!“ – „Ja, mein Engel, wir sind es los. Jetzt kann uns mein Chef gar nichts mehr. Juuuhuuu!“ Mit diesen Worten schloss Timothy das Gespräch und legte auf. Wieder zurück am Tisch, genoss er voller Wonne sein Steak, wie auch sein Bier. Danach ging er aufs Zimmer, schloss ab und legte sich aufs Bett. Der Fernseher zeigte den Wetterbericht für den kommenden Tag. Es sollte regnen, was aber für die Jahreszeit nicht ungewöhnlich war. Timothy war es egal.

      Zur selben Zeit zog die Familie Maskowkin in ihr neues Domizil ein. Was Timothy nicht wusste und wohl auch sonst keiner: Die Familie war auf der Flucht. Sie waren gesuchte Mörder. Die ganze Familie war darauf spezialisiert, Auftragsmorde auszuführen. Sergej war der Kopf der Bande. Er war sehr geübt darin, mit nur einem Schuss in den Kopf sofort zu töten. Seine Frau Debora hingegen zog die Metallschlinge von hinten vor und erwürgte ihre Opfer. Ihre Tochter lernte diese Fertigkeit gerade von ihr. Und Roger tötete mit bloßen Händen. Er war körperlich sehr durchtrainiert und liebte es mit anzusehen, wie das Leben allmählich aus seinen Opfern wich. Der Grund, warum ihnen bis heute noch niemand auf die Schliche gekommen war, war, dass sie immer, wenn es brenzlig wurde, alle Beteiligten umlegten. Egal, ob es sich nur um Randfiguren handelte. Sicher ist sicher und das auch nur, wenn es niemals Zeugen gibt. Alles in allem gingen inzwischen gut dreiundzwanzig Morde auf ihr Konto. Und genau dieser Umstand war es auch, der sie immer wieder dazu zwang, aus einem Bundesstaat zu entfliehen. So zogen sie durchs Land mit einer Reisetasche voll von Bargeld. Denn wer direkt bezahlt, hinterlässt keine zurückverfolgbare Spur. Dieses Herrenhaus lag dafür ideal. Schon seit zwei Wochen spähten sie es aus, um sicherzugehen, dass es möglichst selten besucht wird. Die Bestätigung dafür bekamen sie schließlich vom Makler Timothy höchstselbst. Denn dieser erzählte ihnen, dass die Post oben am Tor abgegeben wird. Um dort hinzugelangen, gab es ein Golfcaddy. Alles in allem also das ideale Versteck, jedenfalls für eine Weile.

      Der neue Auftrag, den sie erhalten hatten, war nicht weit von ihrem neuen Wohnort entfernt. Nur eine Autostunde gen Westen. Diesen nahm Roger an, denn er war spezialisiert auf das lautlose Töten. Und so machte er sich schon in den frühen Morgenstunden auf den Weg. Der Rest der Familie war in der Küche und ließ sich ein reichhaltiges Frühstück schmecken. Während sie dort saßen, erzählte ihnen Sergej, wie sehr er es bei ihrem letzten Auftrag genossen hatte, den alten Mann in seinem Rollstuhl aus 150 Fuß Entfernung mit nur einem Schuss direkt zwischen die Augen tödlich getroffen zu haben. Seine Frau lachte dabei und meinte dazu nur: „Der Alte hatte es verdient. Zack – und weg war er.“ Elise schenkte sich noch einen Kaffee ein und grinste breit. Dann sagte sie: „Am liebsten würde ich ja auch dieses lautlose Töten lernen, was Roger da ausübt. Aber dafür bin ich wahrscheinlich zu schmächtig.“ – „Genau, außerdem bist du zu dick. Musst du üben viele Wochen und Training machen. Bis du eine Attentäterin bist, wir sind in Rente“, entgegnete ihr Sergej. Während sie über das Töten fachsimpelten, hatten sie das Gefühl, irgendwas hätte sich im Raum verändert. Elise bemerkte es zuerst. Ihr stellten sich die Haare auf, denn es wurde merklich kühler im Raum. Dieses Gefühl teilte sie mit ihrer Mutter. Sergej interessierte das nicht, ja, er ignorierte es gar. Da sagte Debora zu ihm: „Hast du die Heizung ausgemacht und wenn ja, warum?“ Sergej schaute sie schräg von der Seite an: „Was habe ich mit Heizung? Ich bin Mann. Ich drehe an und richtig.“ Die beiden Frauen aber fühlten sich unwohl und verließen die Küche. Beide gingen die ausladende Treppe empor und ins Wohnzimmer. Dort legten sie sich jeweils auf ein Sofa und wickelten sich in ein Lammfell. Der Kamin brannte und spendete ihnen die Wärme, welche sie unten in der Küche so vermissten. Da sagte Debora zu ihrer Tochter: „Sag mal, du hast es doch auch gespürt oder? Dieses Gefühl, als wenn wir beobachtet würden.“ – „Ja, es fühlte sich an, als wenn die Wände tausend Augen hätten“, entgegnete Elise ihrer Mutter. Debora zog das Lammfell bis dicht unter ihr Kinn. Dann hörte sie ein leichtes Quietschen. Ganz langsam drehte sie den Kopf. Aus den Augenwinkeln heraus glaubte sie zu sehen, wie der Wandleuchter sich zu ihr drehte. „Das kann nicht sein. Nein, du hast dich bestimmt geirrt“, dachte sie. Elise schaute besorgt zu ihrer Mutter, als diese ihre Stirn immer mehr runzelte. Schließlich flüsterte sie zu ihr herüber: „Was ist denn los? Du reißt deine Augen so auf, als hättest du hier ‘nen Geist gesehen.“ – „Vielleicht habe ich das, Elise. Schau mal ganz unauffällig zur Wand und da zum Leuchter. Sieht der nicht irgendwie schief aus?“ Elise drehte schlagartig ihren Kopf in Richtung Wand zum Leuchter. Und tatsächlich hing dieser etwas schief. Im Gegensatz zu dem anderen, welcher in gleicher Höhe angebracht war, hing dieser schlaff herunter. Das sah schon etwas merkwürdig aus und man könnte sich durchaus einbilden, dass da was nicht mit rechten Dingen zuging. Aber Elise war weder abergläubisch noch glaubte sie an Geister oder Magie. Also stand sie auf, ging zum Leuchter und fasste ihn an. Im nächsten Moment zuckte sie wie unter Strom herum und rief dabei: „Hilfe, Hilfe, der Leuchter, er will mich fressen! Ein Monster ist in der Wand!“ Ihre Mutter war entsetzt und verkroch sich noch mehr unter dem Fell. Da lachte Elise laut auf und sagte nur: „Du bist so eine Memme, Mutter.“

      Unten saß Sergej immer noch in der Küche. Allerdings nicht mehr so gelangweilt wie zuvor, denn er spürte es mehr und mehr: Da war etwas anwesend, was sogar ihm den Schweiß auf die Stirn trieb. Ihm, dem knallharten Profikiller, machte der Raum zu schaffen. Er dachte: „Was los Raum, willst du mich sagen was, dann sag, sprich, sei ein Mann!“ Aber der Raum war still. Von ihm unbemerkt drückte sich die Decke etwas hernieder. Erst als Sergej sah, dass der Schatten des Deckenleuchters sich veränderte, blickte er auf. „Was ist das für ein Hölle?“, fragte er sich. Er zog ein Messer aus der kleinen Ledertasche an seinem Gürtel und bedrohte damit die Wand. Ihm war nicht wohl bei dem Ganzen und so ging er schnellen Schrittes aus dem Raum heraus. Beim Zurückblicken in den Raum sah alles ganz normal aus. „Hab ich mir da jetzt Bilder gesehen“, fragte er sich. „Komisch, was ist los mit diese Haus?“ Kurz darauf kam er oben im Wohnzimmer an und schaute verstört zu seiner Frau. „Ah, Sergej, setz dich mal her“, sagte sie zu ihrem Mann. Debora fügte hinzu „Ich hab das Gefühl, hier geht etwas vor in diesem Haus, was nicht koscher ist.“ Sergej nickte nur. Das war für ihn sehr ungewöhnlich. Normalerweise widersprach er seiner Frau immer, wenn sie so etwas äußerte, aber diesmal nicht. Elise sah ihren Vater fast schon besorgt an und fragte: „Dad, was ist los, du siehst so blass aus?“ Doch Sergej ging nicht weiter darauf ein. „Ich bin müde, will schlafen jetzt“, sagte er schließlich. Kaum ausgesprochen ging er auch schon wieder aus dem Raum heraus und lief den Flur hinunter zum hinteren Schlafzimmer. Hier knipste er das Licht an und war angenehm überrascht, wie groß der Raum war. Schon beim Eintritt in diesen spürte er die wohlige Wärme des Kamins, der gleich vorne in die Wand eingelassen war. Es brannten genug Scheite, sodass das Feuer über Nacht den Raum warmhalten würde. Er zog sich aus, legte seinen Pyjama an und kroch sogleich unter die Decke. Das Laken war angewärmt. Der Butler des Hauses, ein Herr Kimmens, hatte warme Steine ins Bett gelegt, damit die Herrschaften nicht frieren, wenn sie ins Bett gingen.

      Kimmens war ein Butler vom alten Schlag. Er trug stets einen Frack, verbeugte sich zur Begrüßung und redete die Herrschaften immer mit Sir und Lady an, die Kinder eingeschlossen. Er kümmerte sich um das Essen, das Abräumen, die Post, den Garten, eigentlich um alles. Dazu war er verschlossen wie eine Kirchentruhe. Ja, sie hatten schon großes Glück mit ihm. Mittlerweile zählte er bestimmt schon an die