Stephen Red

Nacht ohne Wiederkehr - Band 1


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weswegen er, seit sie sich kannten, zur Gänze darauf verzichtete. Oder sollte er einfach nach oben gehen, sich aufs Bett legen und die weiß gestrichene Decke anstarren, in der Hoffnung, dass seine Frau irgendwann käme, um für ihn die Entscheidung zu treffen, was er als Nächstes tun würde. Er wusste es nicht. Diese Situation gab es so noch nicht, niemals.

      Geschlagene fünf Minuten später stand Hank immer noch ratlos im Flur. Er verzog den Mund zu einem Flunsch, wägte die Möglichkeiten für die drei zuvor genannten Varianten ab und entschloss sich für die Dritte. Zum ersten Mal seit Jahren hatte er, Hank Miller, eigenständig eine Entscheidung getroffen. Jetzt, wo er so darüber nachdachte, fühlte er sich gut, fühlte sich als Mann, fühlte sich stark. Er war ein Entscheidungsträger, ein Businessman, ein Mann, der wusste, was er wollte! Aber dieser Moment hielt gerade einmal nur zwei Minuten an. Durch die getroffene Entscheidung, nach oben zu gehen und sich auf das gemachte Bett zu legen, setzte er sich nun in Bewegung und stapfte die zedernholzfarbene Treppe empor in den ersten Stock. Das Schlafzimmer lag zu seiner Rechten. Hank vernahm schnaufende Geräusche, ja fast schon stöhnende, könnte man sagen. Was das zu bedeuten hatte, war ihm nicht klar, also setzte er seinen Weg fort und erreichte kurz darauf die Schlafzimmertür. Da er hier zu Hause war, klopfte er natürlich nicht an, sondern öffnete die Tür kurzerhand. Kaum, dass sich die Tür aufschwang, bot sich ihm ein Bild, welches er so nicht erwartet hätte. Da lag seine Frau nackt und breitbeinig auf ihrem gemeinsamen Ehebett und wurde von einem ihm schlichtweg unbekannten Mann gefickt. Er sah, wie die Nippel ihrer Brüste steif waren, erlebte, wie sie einer Katze gleich miaute und es genoss, wie dieser Fremde sie mit seinem Schwanz immer wieder stieß. Hank war völlig überrascht. Um sich ein besseres Bild von der Situation zu machen, setzte er sich auf den Stuhl vor dem Schminkspiegel seiner Frau und schaute dem Treiben weiter zu. Er wollte verstehen, was seine Frau an diesem Mann und an solch einer Situation schätzte. Die beiden fickten weiter, als gäbe es kein Morgen mehr. Zwei Minuten später zog er seinen harten Schwanz aus ihrer Scheide, sie drehte sich um, hockte jetzt auf allen Vieren und er stieß erneut in ihr enges Loch. Nun rammelten sie wie die Kaninchen, fand Hank. Er staunte nicht schlecht, als er sah, wie schnell man den Geschlechtsakt als solchen umsetzen konnte. Seine Frau stöhnte und stöhnte und schließlich rief sie laut: „Ich komme, ich komme, ja, weiter, schneller, ja, gib’s mir, jaaa!!!“ Der Mann folgte ihrem Beispiel und gab ähnliche Worte und Laute von sich. Schließlich brachen beide völlig erschöpft zusammen.

      Ein paar Sekunden später erblickte Erika ihren Mann, wie er dort auf dem Flechtstuhl saß und ihnen anscheinend zugeschaut hatte, beim Sex. Ihr schossen tausend Gedanken durch den Kopf, von „Wie gefühlskalt ist er eigentlich, dass er mir dabei zusieht, wie ich mich von einem fremden Mann vögeln lasse?“ über „Wie lange sitzt er da wohl schon? Ich hab gar nicht gemerkt, dass er hereingekommen ist“, bis hin zu „Warum hat er sich nicht aufgeregt? Immerhin hat er mich in flagranti erwischt.“ Aber diese Gedankengänge waren rein hypothetischer Natur, denn Hank war zu solchen Gefühlsregungen gar nicht in der Lage. Walter der Lover seiner Frau zog sich wieder an, grüßte Hank und wünschte ihm noch einen schönen Tag. Dann bedankte er sich bei ihm für seine Frau und entschwand die Treppe hinunter. Kurz darauf hörte man von unten, wie die Tür ins Schloss fiel. Hank sprang auf, schrie seine Frau an und sagte nur: „Du widerst mich an, du Stück Fleisch. Wie kannst du dich in unserem Ehebett von diesem Arsch ficken lassen?“ –„Aber, aber, ich, du, du hast mich so lange ignoriert, du, ich, ich dachte, du liebst mich gar nicht mehr“, stammelte Erika. Da drohte Hank seine Frau mit der geballten Faust und sagte: „Du bist es gar nicht wert, dass ich meine Kraft an deinem Körper vergeude. Du bist Abschaum in meinen Augen.“ Für sie brach eine Welt zusammen. Er hatte sie mit seinen eigenen Augen dabei erwischt, wie sie sich gehen ließ. Was Hank allerdings nicht wusste: Walter kam jeden zweiten Tag zu seiner Frau und vögelte ihr das Hirn aus dem Kopf. Das ging schon gute sechs Monate so. Nie hatte Hank auch nur den Hauch eines Verdachts geschöpft. Stets pünktlich kam er nach Hause. Er war berechenbar wie ein Uhrwerk und genau diesen Umstand nutzte sie für ihr schmutziges Geheimnis. Aber der Zufall hatte sie letztendlich gerichtet.

      Tage später noch herrschte Totenstille, wann immer sie aufeinandertrafen. Ob nun beim Frühstück, Mittagessen oder Abendbrot, ja, sogar beim gemeinsamen Fernsehabend sprachen sie kein Wort miteinander. Alles wäre so geblieben, hätte Erika nicht eines Tages dieses Buch mit nach Hause geschleppt. Der Titel wirkte gänzlich langweilig:

      „BUCH 17“

      stand darauf. Der Umschlag war schwarz und so war der Titel nur schwer zu erkennen, da er ebenfalls in Schwarz mittig auf dem Buchumschlag stand. Schon von Anfang an war sie über dieses Buch verwundert. So schlug sie es auf, um etwas über den Inhalt zu erfahren, denn einen Klappentext mit einer Kurzfassung zur eigentlichen Geschichte gab es nicht. Aber auch innen wurde sie enttäuscht. Es stand dort weder, wer der Autor war, noch der Herausgeber, es gab keine Inhaltsangabe, kein Verlagshaus, keinen Namen eines Illustrators. Schlimmer noch: Seitenzahlen fehlten auch. Erika dachte: „Wie soll ich das Buch denn lesen? Soll ich mir da mit einem Stift ›nen Haken dran machen, wo ich am Abend zuvor mit dem Lesen stehen geblieben bin? Ich verschandel doch nicht mein eigenes Buch!“ So merkwürdig das auch war, es zog sie in ihren Bann. Schon kurze Zeit später las sie in dem Buch. Es war eine tolle Geschichte. Sie handelte von Rittern auf wunderschönen Rössern, von Helden, Schlössern, wilden Kreaturen. Von Frauen, die von ihren Männern einfach genommen wurden, wann immer ihnen der Sinn danach stand. Ja, das wollte sie auch. Dieses Leben gefiel ihr und nicht die Tristesse in ihrem Alltag. So las sie weiter und verlor jegliches Gefühl für die Zeit.

      Nach geschätzten dreißig Seiten, die sie gelesen hatte, überkam sie das Bedürfnis, auf‹s Klo zu gehen. Sie legte das Buch umgekehrt auf die Seiten, sodass sie ja sah, wo sie war, wenn sie wiederkehrte. Schnell rannte sie los, wollte sie doch wissen, wie es mit dem Prinzen Caspia weiter ging und ob er ruhmreich aus dem Ritterturnier hervorging. In der Zwischenzeit allerdings kam Hank an dem Buch vorbei. Er nahm es, schlug es zu, suchte nach einem Buchtitel, fand jedoch keinen. Bei genauerer Betrachtung sah er dann, dass sich etwas fein abzeichnete auf der Front.

      „BUCH 17“

      stand dort schwarz auf Schwarz. „Wer, bitte schön, schreibt denn den Buchtitel so schlecht leserlich vorne drauf?“ Dafür musste es einen Grund geben und Hank wollte ihn wissen. Also schlug er das Buch auf und auch er fand darin keine Angabe eines Autors, eines Herausgebers, kein Inhaltsverzeichnis, geschweige denn Seitenzahlen. Er staunte nicht schlecht, denn so etwas hatte er noch nie gesehen. „Wo konnte man das kaufen? Und was kostete es?“ fragte sich Hank, denn ein Preis stand ebenfalls nicht darauf. „Woher hatte Erika nur wieder dieses merkwürdige Ding?“ Nichtsdestotrotz fing auch er an, in dem Buch zu lesen.

      Fantastisch, da stand was von wilden Amazonen, die ihre Männer auf Händen trugen. Ja, genau so ein Leben wünschte er sich. Er wollte der König eines kleinen Harems sein. Und diese Amazonen wurden beschrieben wie die Traumfrauen aus den Katalogen, die er immer auf dem Klo las. Eben Erikas Zeitschriften. Auch er vergaß die Zeit und las bestimmt vier, wenn nicht gar fünf Stunden in dem Buch. Kein Blick zur Uhr, denn dann wäre ihm aufgefallen, dass irgendwas nicht stimmen konnte.

      Erika war derweil auf dem Klo. Es schoss nur so zwischen ihren Schenkeln hervor, das Nass. In Sekundenschnelle wischte sie sich sauber, zog ihren Slip wieder hoch, passte ihn den Beinen an und stürzte zum Waschbecken. Hier reinigte sie sich die Hände und sauste zurück ins Wohnzimmer, wo sie das Buch zurückgelassen hatte. Alles war gut, es lag noch genauso, wie sie es zurückgelassen hatte. „Wo ist nur Hank?“, fragte sie sich kurz. „Ach, egal, wo der sich rumtreibt. Hauptsache ist, ich kann lesen“, dachte sie. Und schon war das Buch wieder in ihren Händen und sie setzte die Lesereise fort. Prinz Caspia ritt heran. Er war ein stolzer Ritter mit einem imposanten Herrscherwappen auf dem Schild. Sein Knappe Gisbald schritt hoch erhobenen Hauptes hinterdrein. Er war mit Stolz erfüllt, dass er einem so mutigen wie auch charismatischen und erfahrenen Turnierritter dienen durfte. Erika schmolz dahin. Sie las und las und verlor jegliches Gefühl für ihr Leben.

      Nach über zwanzig Stunden Lesen am Stück machte sie kleine Dehnübungen, streckte sich ein wenig, aber schaute weiterhin ins Buch. Dann blätterte sie die Seiten um und merkte, dass nur noch eine Handvoll Seiten bis zum Ende