Sandra Grauer

Schattendasein - Der erste Teil der Schattenwächter-Saga


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überlegte einen Moment. »Wenn ich ehrlich bin, hat er bei mir überhaupt keinen Eindruck hinterlassen. Er hat kaum zwei Sätze gesprochen.«

       Tim nickte, dann kam er zu mir und setzte sich neben mich aufs Bett. »Bitte halt dich von den beiden fern«, sagte er.

       »Ich hab doch eh nicht viel mit ihnen zu tun.«

       »Weiß ich, aber ich mein's ernst. Gabriel ist mir nicht geheuer, und ich möchte nicht, dass er dich oder Hannah in irgendwas reinzieht. Haltet einfach Abstand.«

       »Aber das Referat ...«, begann ich.

       »Das Referat könnt ihr ja machen, dafür braucht ihr ihn doch nicht mehr. Und was den Ordner angeht, gib ihn Mark. Der kann ihn dann Gabriel zurückgeben.«

       »Okay«, stimmte ich schließlich zu, auch wenn ich nicht vorhatte, mich daran zu halten. Ich fand das Ganze etwas übertrieben. Ich hatte ja nicht vor, mich mit Gabriel anzufreunden, und was war schon dabei, wenn ich ihm seinen Ordner zurückgab? Zwar konnte ich nicht sagen, was genau geschehen war, aber ich war mir dennoch ziemlich sicher, dass ich weder vor Gabriel, noch vor seinem Bruder Angst haben musste.

      Ich hatte die Nacht über kaum ein Auge zugetan, obwohl Tim da gewesen war. Mir hatte einfach zu viel im Kopf herumgespukt. Das Ganze war unheimlich und unerklärlich, aber ich wollte eine Erklärung. Nun saß ich müde in meinem Schlafanzug auf meinem Bett und versuchte, eine Antwort zu finden. Tim war vor etwa einer halben Stunde gegangen. Er hatte ein Fußballspiel, und ich sah nicht ein, dass er nach seiner Verabredung mit seinen Freunden gestern Abend auch noch das Spiel verpassen sollte.

       Während ich darüber nachdachte, was das alles zu bedeuten hatte, drückte ich meinen Winnie Puuh-Stoffbären fest an mich und hörte mir die Jonas Brothers an, um mich gleichzeitig ein wenig abzulenken. Ich war vielleicht schon etwas zu alt für Stoffbären und die Jonas Brothers, aber das war mir gerade ziemlich egal. Beides beruhigte mich etwas, und ich verhielt mich auch nicht wie ein vierzehnjähriger, kreischender Fan, wenn ich Nick oder Joe Jonas irgendwo im Fernsehen sah. Ich mochte einfach nur deren Musik.

       Es klopfte an meiner Tür. Ich wollte alleine sein, aber ich wusste, dass sich meine Mutter Sorgen machte. Ich hatte heute Morgen nichts gefrühstückt, wahrscheinlich wollte sie mir etwas zu essen bringen.

       »Komm rein«, rief ich, um die Musik zu übertönen.

       Herein kam allerdings nicht meine Mutter, sondern Gabriel. Na super, und wieder eine Begegnung im Schlafanzug. Einen Moment dachte ich an Tim. Zum Glück war er schon auf dem Fußballplatz.

       Gabriel schloss die Tür und sah mich einen Moment an. Ich legte den Bären auf mein Kopfkissen und wartete auf eine bissige Bemerkung seinerseits, doch die blieb aus. Ein Grinsen konnte er sich aber nicht verkneifen. »Darf ich reinkommen?«, fragte er.

       Ich setzte mich etwas aufrechter hin. »Wenn's unbedingt sein muss.«

       »Wie geht’s dir?«

       »Wie soll's mir schon gehen?«

       »Ich hoffe, du hattest keinen Ärger mit der Polizei?«

       »Nee, hatte ich komischerweise nicht. Dein Glück. Du kannst mir das nicht zufällig erklären?« Ich funkelte ihn an. Zu meiner eigenen Überraschung hatte ich tatsächlich keine Angst. Ich war eher sauer auf ihn, und neugierig. Ich wollte unbedingt wissen, was da geschehen war.

       Gabriel zuckte die Schultern und kam zu mir. Er warf mir eine kleine Tüte hin. Dann ließ er sich neben mich aufs Bett fallen und machte es sich gemütlich.

       »Was ist das?«, wollte ich wissen und zeigte auf die Tüte.

       »Tja, um das rauszufinden, gibt's 'ne ganz einfache Lösung: Schau rein.«

       Ich griff nach der Tüte und leerte den Inhalt auf meinem Bett aus. Zum Vorschein kam ein pinkfarbener Gürtel, auf dem kleine, schlafende Puuh-Bären abgebildet waren. Fassungslos sah ich ihn an.

       Er grinste. »Ich dacht mir, der passt zu deinem Stil. Dein Gürtel war leider nicht mehr zu retten.«

       Wo zum Geier hatte er den am Sonntag aufgetrieben? Aber ich fragte nicht nach, und ich bedankte mich auch nicht, obwohl ich das wohl hätte machen sollen. Stattdessen wechselte ich das Thema. »Wie geht's deinem Bruder?«

       »Ganz gut. Er musste genäht werden, aber es wurde keine wichtige Arterie verletzt. Er darf sich eine ganze Weile nicht körperlich betätigen, aber da er Sport nicht ausstehen kann und auch keine Freundin hat, sollte das kein Problem sein.« Gabriel grinste.

       »Freut mich.«

       »Dass er keine Freundin hat?«

       Ich stöhnte. »Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du ganz schön nerven kannst?«

       »In der Regel wissen die Leute meine Anwesenheit zu schätzen, aber ich kann auch gehen.« Er machte Anstalten, aufzustehen, aber ich drückte ihn zurück aufs Bett. Er grinste. »Das kommt in der Tat öfter mal vor.«

       Wieder stöhnte ich. »Hör mal, ich hab überhaupt kein Problem damit, dich aus meinem Bett zu schmeißen.«

       »Tatsächlich? Du würdest mich einfach so von der Bettkante stoßen?«, unterbrach er mich und grinste amüsiert.

       Ich verdrehte die Augen. »Ich hätte aber vorher gern einige Antworten von dir.«

       »Normalerweise unterhalte ich mich ja nicht im Bett, aber bei dir mach ich mal 'ne Ausnahme. Also, was willst du wissen?«

       »Frag doch nicht so blöd, du weißt ganz genau, was ich wissen will. Du könntest mir zum Beispiel erklären, was das gestern sollte.«

       »Hab ich das nicht bereits gestern getan?«

       »Nein, hast du nicht.«

       »Muss ich wohl vergessen haben.«

       Ich sah ihn an und wartete darauf, dass er weiter redete, doch er schwieg. Also meinte ich: »Willst du es mir dann vielleicht jetzt erklären?«

       Er gab vor, einen Moment zu überlegen. »Nein, will ich nicht.«

       »Und warum nicht?«

       »Lass mal überlegen. Vielleicht, weil's dich nichts angeht? Außerdem ist es doch langweilig, wenn man jede Kleinigkeit vom anderen weiß. Wo bleibt denn da das Geheimnisvolle?«

       Ich ignorierte seine beiden letzten Kommentare. »Ich finde schon, dass mich das was angeht. Schließlich hast du mich ja in die ganze Sache hineingezogen.«

       Gabriel lachte. »Hab ich das? Ich kann mich nicht daran erinnern, dich eingeladen zu haben. Ich hab dich auch nicht gebeten, die Polizei zu rufen oder zu bleiben.«

       »Mag sein, aber jetzt war ich nun mal da. Und ich finde, ich hab eine Erklärung verdient.«

       »Ich finde auch, dass ich 'nen Porsche verdient hab. Das Leben läuft halt nicht immer so, wie man's gern hätt. Du weißt schon, die Sache mit dem Ponyhof und so.«

       Ich ließ meinen Kopf auf meine Knie fallen. Wie konnte eine einzelne Person so anstrengend sein? Ich holte ein paar Mal tief Luft, dann setzte ich mich wieder auf und sah ihn an. Er grinste. »Das Ganze hatte nicht zufällig was mit einem bescheuerten, satanischen Ritual zu tun?«, wagte ich einen neuen Versuch.

       Gabriel lachte. Es war das erste Mal, dass ich ihn richtig lachen hörte. Dann sah er mich an. »War die Frage etwa ernst gemeint?«

       Ich verschränkte die Arme vor der Brust und nickte.

       »Ein satanisches Ritual, was denkst du denn von mir?«

       »Willst du das ehrlich wissen?«, fragte ich.

       »Ich hör mir immer wieder gern an, dass ich toll bin, tu dir keinen Zwang an.«

       Ich musste lachen. Das Ganze war aberwitzig. Man konnte einfach keine normale Unterhaltung mit Gabriel führen.

       Er stand auf und streckte sich. »War schön mit dir im Bett, aber ich muss leider weiter.«

       »Du weißt ja, wo die Tür ist.«

       Einen Moment sah er mich grinsend an. »Sag mal, läufst du eigentlich den ganzen Tag im Schlafanzug rum?«

       »Nur,