Burkhard Simon

Der Kruse


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lächeln.

      Als sie sich mit einem Arm voller aufgesammelter Kleidungsstücke erhob, warf sie ihr pechschwarzes Haar äußerst effektvoll über die Schulter. Für einen kurzen aber sehr intensiven Moment war ich in der Zeitlupenaufnahme eines Shampoo-Werbespots gefangen. Dem Luftzug ihres Haars entströmte ein ungemein sinnlicher Duft, ein Duft, der nur dann entstehen kann, wenn sich hochwertiges Parfum in perfekter Harmonie mit dem salzigen Aroma frischer Seeluft paart. Sie können das vielleicht nicht nachvollziehen, aber glauben Sie mir: Wenn Sie einen solchen Moment noch nicht erlebt haben, dann haben Sie noch gar nichts erlebt. Erlauben Sie sich bloß nicht zu sterben, ohne zumindest einmal zuvor einen solchen Moment erlebt zu haben! Die Geräusche, die uns umgaben, das ganze Getöse und Gewimmel, die Hektik, all das war für einen Moment verschwunden, für einen kurzen Moment ausgeblendet, der vielleicht ein oder zwei Sekunden dauerte, der mir aber vorkam, wie eine kleine Ewigkeit. Während ich völlig geplättet dastand, meinen Kragen in der Hand, ging sie wieder in die Hocke, um den restlichen Kram notdürftig in ihren Koffer zu stopfen. Sie schaute kurz zu mir auf, und ein peinlich berührtes Lächeln flog über ihr Gesicht. Ein gehauchtes „Entschuldigung“ auf den Lippen sammelte sie ihre Kleidungsstücke auf. Es war kaum hörbar, aber sie hatte definitiv „Entschuldigung“ gesagt. Sie sprach Deutsch! Und sie war kein besoffenes Mitglied eines Duisburger Kegelclubs! Na, wunderbar!

      Und was für eine Erscheinung! Sie war etwa in meinem Alter, und sie war einfach unfassbar gutaussehend. Ihre Kleidung war geschmackvoll aber nicht protzig. Ihr Geschmack schmiegte sich an die eher kostspielige Seite von „leger“ an, teuer aber eben auch mit viel Stil und Verstand ausgewählt. Ja, diese Frau hatte Stil.

      Ganz leise, hinter den Geigen, die in meinem Kopf für den nötigen Soundtrack sorgten, meinte ich, ein enttäuschtes Weinen zu hören, aber das war nur Carola Reimann, die sich auf Nimmerwiedersehen aus meinen nicht ganz jugendfreien Gedanken verabschiedete, um sich zur Kräuselnasen-Reisebürotraumfrau zu gesellen, die bereits im dunklen Hinterhof meiner nicht mehr benötigen Phantasien auf ihre neue Mitbewohnerin wartete und sie dort tröstend in Empfang nahm.

      Sollten die beiden glücklich werden.

      Ab sofort würden sie mir egal sein, denn ich hatte DIE FRAU gefunden. Ja. DIE FRAU schlechthin.

      DIE FRAU bedankte sich mit einer unglaublich angenehmen Stimme für meine Hilfe. Diese Stimme war der Wahnsinn. Der pure Wahnsinn! Ich nahm natürlich die volle Schuld für den Zwischenfall auf mich, wie es sich für einen Gentleman gehört. Gerade wollte ich mich in aller Form entschuldigen, doch im selben Moment entschuldigte sie sich bei mir. Wir redeten einen Moment lang wild durcheinander, schwiegen dann im selben Augenblick, um den anderen zu Wort kommen zu lassen, redeten gleichzeitig wieder los und mussten schließlich beide herzlich lachen. Dieser Moment hatte etwas Magisches. Die Situation schien geradewegs einem amerikanischen Film der neunziger Jahre entsprungen zu sein. So nach dem Motto: Meg Ryan rennt Tom Hanks über den Haufen. Der Beginn einer romantischen Beziehung?

      Ich bitte Sie!

      Höchstwahrscheinlich, oder?

      Sie stellte ihren Koffer erneut auf meinem schmerzenden Fuß ab, hielt mir die rechte Hand entgegen und sagte: »Vielen Dank, nochmal! Es tut mir so leid, dass ich Sie fast umgerannt habe! Ehrlich! Und das mit Ihrem Kragen ist mir unglaublich peinlich! Ich werde natürlich für den Schaden aufkommen, ganz klar... Ich... ich weiß gar nicht, was ich sagen soll...«

      Sie musste sich ein kleines Lächeln verkneifen, das sah ich sofort. Ganz offensichtlich eine Frau mit Sinn für Situationskomik. Und dann war da wieder diese Stimme... Mein Gott, sie war perfekt! Einfach perfekt! Und sie war freundlich! Kein bisschen affektiert, kein bisschen reserviert. Sie schien so offen, so zugänglich und so von Grund auf sympathisch, dass sie bei ihrem Gegenüber augenblicklich den Eindruck hinterließ, man würde sich seit Jahren kennen. Für einen Moment schwiegen wir. War es jetzt an mir, etwas zu sagen? Wo waren wir stehengeblieben? Ich wusste es nicht mehr! Ich war noch immer vollends gefangen in dieser Zeitlupenaufnahme, gefangen in dem Shampoo-Werbespot, gefangen in diesem Moment absoluter Perfektion und Intensität. In einem ihrer Mundwinkel zuckte ein klitzekleines Lächeln. Kaum zu bemerken, aber doch so unfassbar reizend, dass ich weiß-Gott-was gegeben hätte, um es noch einmal zu sehen. Wusste sie, dass ich momentan ein wenig aus dem Rhythmus gekommen war? Scheinbar schon, denn plötzlich war da das Lächeln wieder. Sie ergriff das Wort, um die Pause zu beenden, bevor sie für einen von uns beiden peinlich werden konnte.

      »Manchmal bin ich einfach ein unglaublicher Tollpatsch! Da stürme ich aus dem Aufzug und reiße Ihnen glatt den schönen Anzug in Stücke! Gott, ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie unangenehm mir das ist.“

      Ich ergriff ihre Hand und versicherte ihr, dass es ihr nicht peinlich zu sein brauche, da die ganze Geschichte, genau betrachtet, meine eigene Schuld sei. Ich hätte schließlich damit rechnen müssen, dass Menschen aus dem Aufzug kommen würden. Ich fügte hinzu, dass mein Anzug wahrhaftig nicht mehr der Neueste war, und sie mir im Grunde genommen sogar einen Gefallen getan habe. Schließlich hätte sie mich jetzt in die angenehme Situation gebracht, endlich mal was für mein Outfit tun zu müssen; ein Schritt um den ich mich lange herumgedrückt hatte, und zu dem sie mich jetzt – auf wirklich charmante Art – geradezu gezwungen hätte.

      »Sie sind wirklich nett.«

      Ihre Stimme! Diese Stimme!

      »Vielen Dank für die netten Worte. Trotzdem werde ich Sie natürlich entschädigen...«

      »Glauben Sie mir doch bitte! Das hatte nichts mit Tollpatschigkeit zu tun, sondern vielmehr mit Ihrem offenbar untrüglichen Geschmack, was Kleidung angeht! Durch die Vernichtung meines Jacketts haben Sie Geschmack bewiesen! Und dafür habe ich Ihnen zu danken und nicht umgekehrt!«

      Ich versuchte, möglichst unauffällig meinen Fuß von ihrem schweren Koffer zu befreien. Sie ließ mir nach meinem Vortrag, den ich – nebenbei bemerkt – noch heute für ziemlich gelungen halte, erneut einen ihrer verschmitzten kleinen Lächler zukommen. Am liebsten wäre ich bei dem Anblick ihres lächelnden Gesichts und ihrer gesamten Erscheinung in spontanen Applaus ausgebrochen. Dann hob sie den Koffer auf und schaute an mir vorbei mit fragendem Blick in Richtung der „Sie befinden sich hier“-Tafel an der gegenüberliegenden Wand.

      (Jetzt nur keine Stille aufkommen lassen! Kruse, sag was! Irgendwas, du Idiot! Mach den Mund auf!)

      »Ähm... Reisen Sie alleine? Ich meine, wenn Sie sich hier mit dem ganzen Gepäck herumplagen müssen...«

      »Wie? Nein, äh... ich meine ja. Alleine, ja. Ich bin alleine unterwegs. Ich habe einen ziemlich wichtigen Termin auf einer der Inseln, die wir unterwegs anlaufen werden, und da dachte ich, bevor ich mich in den Flieger setze, kann ich genauso gut das Schiff nehmen und auf dem Weg noch ein paar Tage Urlaub machen.«

      Wieder der Blick in Richtung Info-Tafel. Sie war offensichtlich nicht mehr voll bei der Sache. Sie war abgelenkt.

      »Tja. Dann werden Sie gar nicht die ganze Reise über an Bord sein?« Es gelang mir, die Frage relativ unverfänglich klingen zu lassen.

      »Nein, leider. Das wird wohl nicht gehen. Wie gesagt, es ist eher eine berufliche Angelegenheit. Die paar Tage auf See sind nur ein angenehmer Nebeneffekt. Ein paar Tage Ruhe, bevor es dann wieder weitergeht. Manchmal muss man sich seine Freizeit ergaunern, wissen Sie?«

      (Angriff, Kruse! Attacke, du Depp!)

      »Trotzdem schade. He! Ich sage Ihnen was: Wenn wir uns an Bord noch mal über den Weg laufen sollten, dann nehmen wir zusammen einen Drink und lachen uns über die Sache hier kaputt, was meinen Sie?«

      Sie schien etwas überrascht, aber dann nickte sie.

      »Gern! Warum eigentlich nicht? Ja, das klingt nett! Sehr gern, Herr... ähm...«

      »Oh, Entschuldigung! Ich habe scheinbar meine Manieren noch nicht ausgepackt... Kruse! Ich meine Robert! Robert Kruse!«

      »Schön!«, lachte sie, »Dann sind wir zwei jetzt verabredet, Robert Kruse!«

      »Ich freue mich! Und einen schönen Tag noch!«

      »Danke. Ihnen auch. Und