Burkhard Simon

Der Kruse


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hörte ich die Schritte, die die Schöne und das Biest im Erdgeschoss taten. Sie schienen in der ganzen Wohnung hin und her zu laufen. Ich konnte mir vorstellen, was da vor sich ging: Sie packten noch ein paar von Karins Sachen zusammen. Ich stand noch immer peinlich berührt im Keller, hielt meine privaten Teile in Händen und begann wieder, zu frieren.

      Licht! Ich brauchte Licht! Licht, um meine Klamotten zu finden, um mich anzuziehen, nach oben zu gehen und verdammt noch mal klare Verhältnisse zu schaffen! Schließlich war das hier mein gottverdammter Keller, mein gottverdammter Spiegel und nicht zuletzt meine gottverdammten Genitalien, und die konnte ich mir in meinem eigenen gottverdammten Haus so ausgiebig und so lange festhalten, wie ich das wollte! Und wenn ich mich dabei im Spiegel betrachten oder gar Turnübungen machen wollte, dann konnte ich das, verdammt noch mal, auch!

      Ich war überrumpelt worden! Die Sache war nicht fair! Das mobile Tochterschutzkommando Wanne-Eickel hatte einen Zufallstreffer gelandet. Das war alles. Ein Punkt für den Drachen. Aber jetzt war Robbie am Zug!

      Meine Herren, jetzt war ich auf Schub. Mit ausgestreckten Armen tastete ich mich durch den dunklen Keller und musste dabei an Das Schweigen der Lämmer denken, den Film, in dem sich die FBI-Agentin durch einen Keller tastet, während der Serienkiller sie die ganze Zeit aus nächster Nähe mit einem Nachtsichtgerät beobachtet. Mir ging es in einer Hinsicht besser, als Clarice Starling: Ich wusste verdammt genau, wo sich das Monster befand. Es war im Erdgeschoss und hielt meiner Frau feixend den Koffer auf, während Karin penibel gefaltete Kleidungsstücke hineinlegte.

      Während ich mich mit blinden Augen und ausgestreckten Armen langsam in Richtung Kellertreppe vortastete, meldete mein dicker Zeh voller Enthusiasmus, dass er soeben die unterste Stufe gefunden hatte. Es tat höllisch weh, und für einen Moment hätte ich schwören können, er sei gebrochen. Ich zog das linke Bein an, um mir den schmerzenden Zeh zu reiben, da meldete sich der Alkohol zurück. Ich verlor das Gleichgewicht und schlug mit dem rechten Ellenbogen hart auf einer der höheren Stufen auf, was mich augenblicklich und äußerst effektiv von meiner wie wild pochenden Zehe ablenkte.

      Ich hatte wirklich auserlesene Schmerzen. Ich hoffte, dass ich mir etwas ernsthaft Schlimmes zugezogen hatte. Etwas, das ich einem Anwalt schildern konnte, um dieser Furie den letzten Cent aus der Tasche zu klagen. Oh, Gott, hoffentlich war mein Arm gebrochen! Ich humpelte die Treppe hoch, zählte dabei die Stufen und tastete dann nach der Tür. Ich fand sie und schließlich auch den Lichtschalter.

      Licht an.

      Die Treppe wieder hinunter.

      Schnell die Klamotten aufsammeln.

      In die Hose steigen.

      Der Rest der Kleidung konnte warten.

      Ich hatte nicht vor, Karin und dem Ding aus einer anderen Welt einen Antrag zu machen. Ich wollte nur irgend etwas am Körper tragen, wenn ich ihnen den Abriss ihres Lebens verpasste.

      Hose zu, zurück zur Treppe.

      Ich war gerade etwa auf halber Höhe, als ich aus dem Erdgeschoss schallendes Gelächter hörte. Es war Karin. Sie schrie förmlich vor Begeisterung. Ich konnte nur davon ausgehen, dass das Homo-Hauser-Wesen meiner Noch-Gattin noch einmal die Situation im Keller zurück in Erinnerung gerufen hatte.

      Sehr witzig. Unheimlich witzig.

      Ich lächelte. Mal sehen, ob die pudelplättende Betonfrisur das, was jetzt käme, auch so witzig finden würde! Auftritt des neuen und verbesserten Robert Kruse!

      Ich hörte die Haustür ins Schloss fallen. Wie der Blitz rannte ich die letzten Stufen hoch, stieß die Tür auf und hechtete durch das Esszimmer in Richtung Hauseingang. Als ich draußen ankam und durch den Vorgarten rannte, sah ich gerade noch, wie Karin die Beifahrertür des roten Golf zuknallte. Das Licht im Inneren des Wagens erlosch. Der Motor war noch warm und sprang bei der ersten Zündung an.

      Ich humpelte mit meiner geschwollenen Zehe den Bürgersteig entlang und schrie, so laut ich konnte:

      »Heh! So einfach geht das nicht! Werdet ihr wohl hierbleiben! Ihr steigt sofort aus dem verdammten Auto und hört mir zu! Stehenbleiben, verdammt noch mal!«

      Ich sah die Rücklichter des Wagens aufleuchten.

      Blinker links.

      Ein kurzes Klicken. Erster Gang.

      »Halt! Stehenbleiben! Werdet ihr wohl stehenbleiben, verdammt!«

      Der Wagen fuhr los. Sie fuhren wirklich los! In Anbetracht der Lage sah ich mich gezwungen, meine Strategie zu ändern.

      »Haut bloß ab, hier!«

      Margot hupte zum Abschied. Vielleicht hat auch Karin vom Beifahrersitz aus auf die Hupe gedrückt. Das sah ihr ähnlich. Als die beiden unter der nächsten Straßenlaterne durchfuhren, konnte ich sehen, wie Karin zurückschaute und winkte.

      Ja, ich glaube, es war wohl Karin, die gehupt hat.

      Ich stand, mit einem böse verstauchten Zeh und einem immer größer werdenden blauen Fleck am Ellenbogen, auf der regennassen Straße und sah zu, wie die Rücklichter von Margots Golf immer näher zusammenrückten, bis sie schließlich nach rechts abbog und die roten Punkte in der Nacht verschwanden. Ich blieb frierend auf dem Bürgersteig zurück. Barfuß, gedemütigt und mit freiem Oberkörper nebst Bauchansatz schaute ich die nun leere Straße hinunter und betrachtete innerlich die Scherben meines bisherigen Lebens.

      »N´abend, Herr Kruse! Na, alles klar?«

      Frau Reimann, meine extrem übersichtlich bekleidete Nachbarin. Sie führte vor dem Schlafengehen ihren Schäferhund „Rasputin“ ein letztes mal Gassi.

      »Was?«

      »Bitte?«

      »Ich sagte: Was?«

      »Äh... nichts weiter! Nur guten Abend und wie geht´s... Nichts weiter.«

      Ich seufzte. Hier gab es einiges klarzustellen.

      »Frau Reimann...«

      »Ach, sagen Sie doch Carola! Alle sagen Carola!«

      »Danke. Ich bin Robert.«

      »Robert? Ist ja süß. Ich mag Männer mit so alten Namen. Das hat man ja heute gar nicht mehr, dass so alte Namen...«

      »Carola, Sie sagten gerade „Guten Abend“, wenn ich mich recht erinnere?«

      »Ähm... ja. Ja, ich glaube schon. Und dann haben Sie mich Frau Reimann genannt, und ich sagte...«

      »Ja, ich weiß, was Sie sagten.«

      Ich machte eine Geste, die ihr klarmachte, dass Sie jetzt Funkstille hatte und holte tief Luft.

      »Schauen Sie, ich stehe hier, mit Schmerzen im Fuß und im Arm. Meine Frau hat mich soeben unter höchst peinlichen Umständen verlassen, ich trage kein Hemd und habe festgestellt, dass ich langsam aber sicher einen stattlichen Bauch bekomme, eine Tatsache, die auch ihnen wahrscheinlich nicht entgangen sein dürfte, da ich ja kein Hemd trage.«

      »Ähm... Tja, wissen Sie...«

      »Nein, ich bin noch nicht fertig, Carola. Wo war ich? Ach ja. Der Köterkiller aus Wanne-Eickel. Richtig! Meine Schwiegermutter hat mich erniedrigt, und mein Motorrad ist zu teuer und darüber hinaus derart peinlich und unpassend für einen Mann wie mich, dass sich meine Kolleginnen hinter meinem Rücken über mich kaputt lachen. Ich sage nur: „Ersatzpimmel“. Nein, Carola, bleiben Sie bitte stehen! Ich habe mein Haus mit einer nicht zu verachtenden Hypothek belegt, um meiner total überdrehten Frau, die gerade ins ferne Wanne-Eickel abgerauscht ist, um mit ihrer Mutti anstatt ihres Mannes zu leben, ein schönes Heim zu bieten...«

      Klick

      »... zu dem gerade die Tür ins Schloss gefallen ist. Ich habe natürlich keinen Schlüssel dabei, nein, ich trage ja noch nicht einmal Unterwäsche, weil ich nur schnell nach draußen gesprungen bin, um meiner Frau und dem Nest voller Vipern, dem sie entstammt, ein paar Gehässigkeiten an den Kopf zu werfen. Frau Reimann, Carola, in Anbetracht all dieser Tatsachen, finden