Burkhard Simon

Der Kruse


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Meinung sind, lasse ich mich gerne überzeugen. Bitte, Carola, legen Sie los!«

      Ich baute mich vor Frau Reimann auf, den Bauchansatz stolz herausgestreckt, die Arme über dem eingefallenen Brustkorb verschränkt, und wartete auf eine Antwort.

      Sie nahm Rasputin etwas enger an die Leine.

      »Äh... ja, also... ich konnte ja nicht ahnen, dass... also... wissen Sie, dass Sie da am Arm einen ganz schön dicken Bluterguss haben?«

      »Ja, das ist mir nicht entgangen.«

      »Ich dachte halt, wenn Sie momentan so viel um die Ohren haben...«

      »Danke.«

      »Ja.«

      Rasputin gähnte ausgiebig. Dann legte er sich auf den Gehsteig und begann, sein Interesse von unserer Unterhaltung abzuwenden, um sich nunmehr voll auf die Reinigung seines Hinterteils zu konzentrieren. Er schien sich nicht mehr für unser Gespräch zu interessieren, ich jedoch war mit unserem nachbarschaftlichen Meinungsaustausch noch nicht durch. Ich fühlte mich alt, verlassen, fett und nicht mehr begehrenswert. Ich war von dem coolen und draufgängerischen Single-Kruse als der ich eigentlich wiedergeboren werden wollte so weit entfernt, wie nur menschenmöglich.

      Hier stand ich nun also, vor einer mir nahezu gänzlich fremden Frau meines Alters. Eigentlich konnte ich sie ja mal fragen, was sie so von mir hielt.

      Von mir als Mann, meine ich.

      Ich hatte nichts, überhaupt nichts, zu verlieren. Nicht heute. Nicht mehr. Das hatte ich bereits erledigt. Wenn heute schon der Tag der Wahrheit sein sollte, dann auch bitte mit Pauken und Trompeten.

      Meine Nachbarin schaute leicht verunsichert zu Rasputin hinunter, doch der Schäferhund war mit seinen rektalen Hygieneproblemen beschäftigt und stand daher seinem Frauchen für Verhaltensratschläge momentan nicht zur Verfügung.

      »Carola, ich werde Ihnen jetzt eine Frage stellen, und ich möchte gerne von Ihnen eine ehrliche Antwort hören. Werde ich die wohl bekommen?«

      »Tja, also Herr Kruse... Roland...«

      »Ich heiße Robert, Christine.«

      »Carola!«

      »Ich weiß. Ich wollte nur einen Witz machen.«

      »Wissen Sie, Sie werden sich den Tod holen, wenn Sie hier bei dem Wetter so halbnackt auf der Straße stehen.«

      »Werden Sie mir ehrlich antworten? Ja, oder nein?«

      »Also, ich weiß ja nicht... wenn Sie nun unbedingt wollen... ja, gut.«

      Ich stützte meine Hände in die Hüften, beugte mich leicht zu ihr hinunter und schaute ihr tief in die Augen.

      »Finden Sie mich als Mann begehrenswert?«

      »Aber natürlich finde... bitte?«

      »Ob Sie mich begehrenswert finden! Das möchte ich gerne von Ihnen wissen.«

      »Begehrenswert? Wie meinen Sie das?«

      »Na, was „begehrenswert“ eben heißt! Begehrenswert im Sinne von: es wert, von Jemandem begehrt zu werden! Begehrenswert, eben! Finden Sie mich begehrenswert?«

      Sie schaute über ihre Schulter und blickte sich nach allen Seiten um. Scheinbar wollte sie sichergehen, nicht belauscht zu werden.

      »Sie meinen sozusagen...«, ihre Stimme senkte sich zu seinem Flüstern, »...sozusagen Sex und so weiter?«

      Nebenan, in der Küche von Frau Kampnagel erlosch das Licht, und ich hörte, wie ein Fenster gekippt wurde. Aber das Mensch gewordene Überwachungssystem unserer Nachbarschaft konnte mich mal.

      »Ja. Keine Angst, Sie müssen es nicht tun, verstehen Sie mich bitte nicht falsch! Ich möchte nur wissen, ob Sie es sich vorstellen könnten, mit jemandem wie mir etwas anzufangen.«

      »Vorstellen?«

      »Ja, vorstellen.«

      Sie schaute verlegen zu Rasputin, dann ging ihr Blick an mir vorbei und sie stammelte verlegen: »Vorstellen kann ich mir das schon... so vor meinem geistigen Auge, halt.«

      »Aha. Vorstellen können Sie es sich also schon.«

      »Ja. Vorstellen. Ich dachte, das hätten Sie gefragt.«

      »Richtig. Das habe ich in der Tat.«

      »Vorstellen, eben... So in der Phantasie. Na, Sie wissen schon. Geht es Ihnen auch wirklich gut?«

      »Nein, es geht mir ganz und gar nicht gut, aber das tut jetzt nichts zur Sache. Ich hätte noch eine einzige Frage, dann lasse ich Sie wieder gehen. Darf ich?«

      »Ja, bitte. Fragen Sie.«

      Sie zog Rasputin, der sich scheinbar durch die Unterbrechung seiner Reinigungsarbeiten gestört fühlte, an der Leine hoch und hielt ihn dicht an ihrem Bein.

      »Können Sie sich auch vorstellen, auf dem Rücken eines zahmen Drachens durch die Wolken Timbuktus zu fliegen und dabei ein Kleid aus Gold zu tragen?«

      Ihr Blick hellte sich auf. »Klar!«

      »Ich danke Ihnen.«

      »Keine Ursache.«

      Sie nahm Rasputin, der durch das überraschend schnelle Ende der Unterhaltung übertölpelt worden war und noch immer versuchte, an sein Hinterteil zu gelangen, und machte sich wieder auf den Weg. Nach ein paar Metern blieb sie stehen und schaute sich noch einmal um.

      »Kann ich vielleicht irgendetwas für Sie tun? Ich meine, wenn Ihre Frau jetzt nicht mehr da ist, und Sie nicht zum Einkaufen kommen, oder so... Also... rufen Sie mich ruhig an, wenn ich was für Sie erledigen kann, okay?«

      »Fahren Sie mit mir in die Karibik.«

      »Bitte?«

      »Sie sollen... Ach, vergessen Sie´s.«

      Sie winkte andeutungsweise und ging dann weiter, während ich mir überlegte, wie ich nun an einen Schlüsseldienst kommen sollte, der mich wieder in mein trautes Heim lassen würde.

      Bereits drei Stunden später befand ich mich wieder in meinem Wohnzimmer. Es ist einfach unfassbar, dass ein Geschäft, in dem man so viel Geld verdienen kann, so spärlich besetzt ist.

      In einem verzweifelten Versuch, meine Ehe vielleicht doch noch zu retten, beschloss ich, mitten in der Nacht noch einen Anruf in Wanne-Eickel zu wagen. Ich wusste, dass es eigentlich viel zu spät war, jedoch malte ich mir gewisse Chancen aus, durch die nächtliche Ruhestörung die Ernsthaftigkeit meiner Bemühungen unter Beweis zu stellen. Ich musste ja niemandem auf die Nase binden, dass ich die letzten drei Stunden zitternd und bibbernd auf der Straße gesessen hatte. Genau so gut konnte ich mir die vergangene Zeit als Phase der Nachdenklichkeit und der inneren Einkehr gutschreiben lassen. Ich wählte die Nummer und atmete tief durch.

      Tuuut.....

      »Hauser!«

      Das kam schnell. Viel zu schnell.

      »Ja, hier ist noch mal Robert! Gib mir doch bitte mal schnell die...«

      »Ruf sie auf Ihrem Handy an, du Geizhals!«

      KLICK.

      Alles klar.

      So verlief die endgültige Trennung zwischen mir und meiner Frau. Wenn Ihnen jemand, der in Scheidung lebt, erzählen sollte, er habe sich mit seiner Frau in Ruhe zusammengesetzt, die ganze Sache bei einer guten Flasche Wein und einem Teller Käsewürfel durchgesprochen und sich mit ihr darauf geeinigt, dass eine Trennung wahrscheinlich die beste Lösung für alle Beteiligten sei, so hat er Sie angelogen. Sollte er Ihnen bei dieser Gelegenheit auch noch erzählen, dass er sich noch heute regelmäßig mit seiner Ex trifft, Kaffee mit ihr trinkt und sich jetzt viel besser mit ihr versteht, als zu Zeiten ihrer Ehe, dann können Sie ihm gerne die Nase nach hinten hauen. Sagen Sie ihm einen schönen Gruß von Robbie dem Schrecklichen. Eine Trennung ist eine schmerzhafte, peinliche und vor allen Dingen eine teure