Rainer V. Schulz

Alltagsgeschichten aus der DDR


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heute besuchst du die Lichtzentrale und wunderst dich …“

      „Was habt ihr vor? Um es gleich zu sagen: ich möchte nach China zurück, das passt zu meiner Familie …“

      „Das dachte ich schon. Doch Genosse Bernhard Ziegler, Leiter der Kommission für Erleuchtung, fordert dich nachdrücklich an.“

      „Davon verstehe ich nichts“, wirft Mugele ein.

      „Das ist ihm klar“, sagt Genossin Änne. „Er hält es für einen Vorzug. Er will nicht, dass in seinem Vorzimmer Politik gemacht wird. Also nur Mut. Stoße dich nicht an dem hochgestochenen Namen der Kommission – es handelt sich keineswegs um abstrakt Spirituelles. Der Partei geht es um die Steuerung der Entwicklungsprozesse in Kultur und Künsten.“

      „Wirklich, so was kann ich nicht.“

      „Ist doch nicht schlimm. Begreif doch: Du kommst zu Bernhard Ziegler. Kein Kader hat so lange die russische Kulturentwicklung erlebt und begleitet wie er. Übrigens: Professor Ziegler lobt deine Findigkeit. Seid ihr euch mal begegnet?“

      „Mehrfach, aber immer nur kurz. Nachdem er 1954 aus der sowjetischen Emigration heimgekehrt war, traf ich ihn auf der Wartburg. Er muss was mit den Burgen haben. Leuchtenden Auges sprach er vom Hohen Meißner anno 1913. Der ist ihm gegenwärtig wie der Kampf um den Kessel von Welikije Luki. Die frühe Jugendbewegung ist ihm nahe, insbesondere jener Flügel, der gegen den Krieg auftrat und 1918 in München Die Freie Sozialistische Jugend gründete. War zuständig, sagt er, ob bei den Demonstrationen durch die Stadt die Kommunisten die Kanone mitziehen oder nicht. Der Pazifist mit der Haubitze – das beeindruckt mich schon.“

      „Na, siehst du“, merkt Genossin Änne an. „Nun sag auch, wie findig du bist …“

      „So schlimm war das nicht. Die Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion hatte Professor Ziegler nach Hannover entsandt“, sagt Mugele. „Als Kenner des Neuen Russland sollte er über die Völker des Kaukasus sprechen. Das war sieben Monate vor dem Verbot der KPD, und die Regierung war schon recht hysterisch. Die Vortragsreise sollte um zwei Orte erweitert werden. Genosse Ziegler wusste nichts davon, ihm hätten auch Geld für Reise und Unterkunft gefehlt. Der Professor war schon unterwegs, und die Gattin, eine Kinderärztin, kannte nur eine vage Kontaktadresse in Hannover-Hemmingen, Haus einer Jugendfreundin, ihres Zeichens Anthroposophin. Die könne mir weiterhelfen.“

      „Nun und?“

      „Die Anschrift stimmte. Am Stadtrand gelegen, ein hübsches Häuschen mit gepflegtem Garten. Die ältere Dame, schlank, in langem Wollkleid, öffnete freundlich, stritt aber heftig ab, von einem Professor Ziegler gehört zu haben, gar zu wissen, wo der sich aufhalte …“

      „Diese Situation kenne ich aus dem illegalen Kampf“, wirft Genossin Änne ein.

      „Ja, meine Anthroposophin war recht bestürzt, hat aber schließlich einen kräftigen, ziemlich bärbeißigen Mann herbeitelefoniert. Während der mich in die Stadt geleitete, nahm er mich recht ins Gebet: „Und Sie kommen aus Ostberlin? Und wollen zum Ziegler-Vortrag - zum Thema …?“ – Ich sage: Kaukasus! – „Und Sie kennen Professor Ziegler?“ – Ich nicke. – „Und er kennt Sie?“ –. „Nun ja.“ – „Gut, ich bringe Sie hin. Aber wenn er Sie nicht erkennt – ich breche dir alle Knochen …“

      So näherten wir uns den Völkern des Kaukasus. Im Hinterzimmer eines Gastwirts in Hannover-Linden löste mich der Professor aus. Der Bärbeißige murmelte: „Entschuldige, Genosse.“ – „Das will alles bedacht sein“, sagt Genossin Änne lächelnd, und glaubt, wenn nichts sonst dagegen spricht, für diesen Bernhard Ziegler den genau Richtigen gefunden, für die Kommission die Kaderlücke geschlossen zu haben. „Ich freu‘ mich“, sagt sie. „Ein Weilchen mag’s dauern, bis alles überprüft ist, und dann bist du, im Leninschen Sinne, Berufsrevolutionär. Das ist dann dein Parteiauftrag. Du hörst von uns.“

      „Wie lange ist ein Weilchen?“, fragt Konstantin den Papagei und der weiß es auch nicht. Hast du im Hohen Haus nicht ein bisschen wirr gesprochen? Entwirren braucht Zeit. Doch die Deichsel steht wohl nicht nach China, mehr zum Rosa-Luxemburg-Platz. – Ist er traurig? Stolz? Konstantin spürt Vertrauen, das rare beglückende Gift.

      Ein Weilchen, oh, das kann dauern. Peter ist froh, dass Papa für ihn Zeit hat. Der erzählt Märchen. Die schaurige Geschichte von Hänsel und Gretel und der Hexe möchte der Junge immer aufs Neue hören. Koko freut sich, aus dem Käfig zu dürfen. Er zieht seine Runde, lässt sich auf dem Ofensims nieder und hat keine Lust herunterzukommen.

      Konstantin entschließt sich, die Arbeitssuche in die eigenen Hände zu nehmen. Sich bei diversen Verlagen, für die er Außengutachten geschrieben hatte, in Erinnerung bringen? Will er das überhaupt? Was ganz Neues anfangen! Er kramt einen Lebenslauf heraus und zwei alte Passbilder, die ihn jünger machen als er ohnehin aussieht. Mugele macht sich auf, in einem volkseigenen Betrieb anzuklopfen, und möglichst in der Nähe, sei’s eine Klitsche. Mit der Elektrischen fährt er zur Greifswalder, steigt um, fährt zur Ostseestraße. VEB Luftfilterbau steht über dem Werktor. Und es ist eine Klitsche. An einem Pfeiler hängt die Tafel mit den unbesetzten Stellen: Schweißer, Elektriker, Maler und so fort, wovon er nichts versteht. Beim Gang zur Kaderabteilung entscheidet er sich für Schlosser, wovon er auch nichts versteht. Eine resolute Mittvierzigerin empfängt ihn hoffnungsvoll, und er will sie nicht enttäuschen. „Ich möchte mich bei den Schlossern einarbeiten, als Anlerner.“

      „Schlosser, Lohngruppe III, das bringt nicht viel. Freilich kommen Zuschläge dazu, Leistungslohn, bei Planerfüllung auch Prämie“, sagt die Kaderleiterin geschäftig. „Wo haben Sie bislang gearbeitet?“ Mugele nennt den Studenteneinsatz im Stahlwerk Riesa, der liegt ein Jahrzehnt zurück. Die letzten zwei Jahre habe er, entsandt von der DDR, in einem Pekinger Staatsbetrieb gearbeitet, der Auftrag sei nun erfüllt. „Liegt was Besonderes an?“, fragt die Kaderchefin besorgt und überfliegt den Lebenslauf, murmelt: „Abiturient, Neulehrer, Germanistikstudium … Sind Sie Genosse?“

      Mugele bejaht: „Seit Mai 48.“

      „Na dann bitte ich gleich mal den Parteisekretär hinzu“, nimmt den Hörer: „Alfons, kannst du bitte mal rüberkommen, eine etwas komplizierte Kadersache. Danke.“

      Genosse Alfons, ein kräftiger grau melierter Mann in blauer Kluft, wird mit den Worten empfangen: „Das hier ist Genosse Mugele, knapp 30, hochqualifiziert mit Universitätsexamen, Wohnung braucht er nicht. Er will bei uns als Schlosser anfangen, aber Schlosser kann er nicht. Da denke ich …“

      Alfons fällt ihr ins Wort: „Willkommen, Genosse. Das Feilen und Schleifen, das lernst du bei Tummatsch. Er ist unser bester Meister, parteilos, freundlich, sogar geduldig. Er wird dir alles zeigen. Aber unsere Schlosser, wie sag ich’s, sind nicht einfach. Ein wilder Haufen von Individualisten. Es ist gut, dass da ein Genosse hinkommt …“ Ein Arbeiter steckt seinen Kopf in die Tür, wird aber von der Kaderchefin noch mal fortgeschickt.

      „Aber lass dich nicht unterbuttern“, sagt Alfons. „Klimper wird’s versuchen. Den erkennst du an seiner struppigen Mähne und der schwarzen Partisanenmütze. Aber er ist ein tüchtiger Arbeiter.“

      Man sieht es der Kaderchefin an, dass sie diesen Neuling nicht gern einstellt. Während Alfons und Mugele ein paar Worte wechseln, dass das Parteilehrjahr recht im Argen liege, ist sie aufgestanden und macht einen Betriebsausweis zurecht. „Na ja“, sagt Mugele, „ich muss mich hier erst mal einfuchsen, hab ja was nachzuholen.“

      „Du kommst aus China, Genosse! Da rechnen wir mit chinesischem Elan“, sagt der Parteisekretär und verabschiedet sich. – Die Kaderleiterin bringt den Ausweis, lässt Mugele unterschreiben. „Hier die Bons fürs Mittagessen. Lassen Sie sich im Depot einen Schlosseranzug aushändigen. Die Unterlagen von Ihrer vorletzten Arbeitsstelle lassen wir uns zuschicken. Na, dann bis morgen 7 Uhr. Ziehen Sie sich festes Schuhwerk an.“ Und Konstantin glaubt, nun eingestellt zu sein.

      Ein Mann in blauer Bluse, drüber eine Joppe, Mugele, wird am Werkstor durchgewunken, geht zur Stechuhr. Meister Tummatsch weiß Bescheid und führt