Agnes M. Holdborg

Sonnenwarm und Regensanft - Band 4


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wie auch -un­ter­gang glei­cher­ma­ßen, lieb­ten sich im­mer wie­der und ver­wöhn­ten ein­an­der zwi­schen­durch mit den Köst­lich­kei­ten, die Wo­nu, der Koch und ein­zi­ge Be­diens­te­te, der sie be­glei­te­te, vor­be­rei­tet hat­te.

      Es war bis zu die­sem Zeit­punkt wirk­lich ei­ne durch und durch wun­der­vol­le Hoch­zeits­rei­se.

      Trotz­dem hob Vi­tus nach vier­zehn Ta­gen Lo­a­nas Kinn an und mus­ter­te sie, be­vor er ihr schlicht er­klär­te: »Auf geht‘s, Ke­ned, zu­rück zur bre­to­ni­schen Küs­te. Ich den­ke, dort gibt es noch so al­ler­hand, was du mir gern zei­gen möch­test.«

      Wie gut er sie kann­te, dach­te Lo­a­na.

      So ver­brach­ten sie noch ei­ne Wo­che an den Or­ten, an de­nen Lo­a­na vor lan­ger Zeit mit ih­ren El­tern ge­lebt hat­te, be­vor die­se bei ei­nem Boo­ts­un­fall ums Le­ben ge­kom­men wa­ren. Vi­tus‘ Vor­schlag, auch ih­ren Schwa­ger Ewen und des­sen Frau Ar­mel­li­ne zu be­su­chen, lehn­te sie al­ler­dings rund­weg ab. Die Er­in­ne­rung an ih­ren er­mor­de­ten ers­ten Ehe­mann Tan­guy schmerz­te noch im­mer, wes­halb sie die Ge­gend, in der sie mit ihm ge­lebt hat­te, lie­ber mied.

      Al­les an­de­re je­doch er­füll­te ihr Herz mit rei­ner Freu­de. Wenn sie dar­an zu­rück­dach­te, konn­te sie die sa­l­zi­ge Luft schme­cken und das Brau­sen des Mee­res, die kla­gen­den Schreie der Mö­wen hö­ren. Es war, als wä­re sie wie­der klein und ihr Va­ter wür­de ihr zei­gen, wie man die Se­gel raff­te oder die Net­ze aus­wa­rf, wäh­rend ih­re Mut­ter sich um den letz­ten Fang küm­mer­te oder sie in die Heil­kunst ein­wies.

      Auch an Land hat­te sie ih­ren Spaß, konn­te sie Vi­tus doch noch ein­mal in al­ler Ru­he zei­gen, wo auf dem schrof­fen Fels der Klip­pen die sel­te­nen Kräu­ter wuch­sen, von de­nen sie ihm schon so oft er­zählt hat­te. Sie nutz­te die Ge­le­gen­heit, gleich einen Korb voll zu pflü­cken. Zu­dem grub sie ein paar be­son­de­re Ex­em­pla­re aus, weil sie die­se im hei­mi­schen Gar­ten an­pflan­zen woll­te. Na­tür­lich ha­lf Vi­tus ihr da­bei, denn sei­ner Mei­nung nach durf­te sei­ne schwan­ge­re Frau kei­ne solch schwe­re Ar­beit ver­rich­ten.

      Sie er­in­ner­te sich noch ge­nau dar­an, wie sie mit dem Korb in der Hand auf den von Pflan­zen über­sä­ten Klip­pen über das to­sen­de Meer schau­te und der Wind an ih­ren Haa­ren zerr­te. Trotz­dem emp­fand sie es als Strei­cheln. Zum Ab­schied be­glei­te­ten Del­fi­ne und Mö­wen das Boot, wäh­rend sie einen letz­ten Blick auf die sanft ge­schwun­ge­nen Dü­nen und ma­le­ri­schen Buch­ten wa­rf, be­vor das nächs­te Por­tal sie fort­trug. …

      Bei der Er­in­ne­rung an die­sen spek­ta­ku­lä­ren Oze­an lä­chel­te Lo­a­na, wuss­te sie doch, dass sie ihn je­der­zeit in den Au­gen ih­res Man­nes wie­der­fand. Noch ein­mal seufz­te sie mit ei­nem se­li­gen Lä­cheln.

      »Ja, wir sind wie­der zu Hau­se.«

      ***

      An­nas Sehn­sucht nach ih­rer som­mer­li­chen Lieb­lings­stel­le im na­he­ge­le­ge­nen Wald wuchs von Tag zu Tag. Der Ge­dan­ke an die klei­ne Lich­tung mit der gro­ßen Bir­ke, an die­ses be­son­de­re Licht mit sei­nen Sil­ber- und Gold­re­fle­xen, wel­ches die Son­ne dort in die grü­nen Bäu­me und den be­moos­ten Bo­den hin­ein­wob, so wie sie es aus­schließ­lich im Som­mer ver­moch­te, ließ sie nicht mehr los.

      Al­ler­dings war es jetzt im April noch viel zu früh für Som­mer­sehn­sucht. Au­ßer­dem ließ ge­ra­de in die­sem Jahr der Früh­ling lan­ge auf sich war­ten. Erst seit ein paar Ta­gen gab es end­lich wie­der Son­nen­schein, nicht ge­ra­de viel und nur mä­ßig warm. Aber im­mer­hin brach­te er die Na­r­zis­sen und Trau­ben­hya­zin­then, die An­nas Mut­ter vier Wo­chen zu­vor so lie­be­voll auf dem Bal­kon in Kü­bel ge­pflanzt hat­te, doch noch zum Blü­hen. Auch die be­reits ver­lo­ren ge­dach­ten Ver­giss­mein­nicht, Bel­lis und Pri­meln hat­ten sich auf­grund der wär­me­n­den Son­nen­strah­len er­holt und leuch­te­ten wie­der in fröh­li­chen Fa­r­ben. Nie­mand aus der Fa­mi­lie hat­te mehr da­mit ge­rech­net, dass sich über­haupt noch ein Fünk­chen Le­ben in den Blu­men­trie­ben reg­te. Denn der spä­te Frost hat­te selbst das Rhein­land, und so­mit auch den Bal­kon der in der Nä­he von Düs­sel­dorf le­ben­den Fa­mi­lie Nell, über al­le Ma­ßen lang im ei­si­gen Griff ge­hal­ten. Ei­ne ge­fühl­te Ewig­keit lang.

      Nun stand An­na auf dem Bal­kon, ließ sich das Ge­sicht ge­ni­e­ße­risch von der Son­ne be­schei­nen und da­bei ih­re Ge­dan­ken trei­ben. Ob­gleich die Er­in­ne­rung an die bit­te­re Käl­te und Näs­se, die be­son­ders am Tag des ka­len­da­ri­schen Früh­lings­be­ginns im ge­sam­ten Land ge­herrscht hat­ten, sie ei­gent­lich frös­teln las­sen müss­te, glitt ein Schmun­zeln über ih­re Lip­pen. Sie hat­te in gar nicht so gro­ßer, den­noch un­end­lich wei­ter Ent­fer­nung, un­ter wär­me­n­der Früh­lings­son­ne die Hoch­zeit des Va­ters ih­res heiß­ge­lieb­ten Freun­des Vik­tor ge­fei­ert. Ei­ne ganz be­son­de­re Hoch­zeit. Ei­ne Hoch­zeit im El­fen­land.

      … Am zwan­zigs­ten März, zu Früh­lings­be­ginn, fand die­se Hoch­zeit des Kö­nigs des west­li­chen El­fen­rei­ches statt. Trotz der frü­hen Jah­res­zeit ga­ben sich Vi­tus und sei­ne Braut Lo­a­na im Schloss­park un­ter duf­tig blü­hen­den Kirsch­bäu­men ih­re Ehe­ver­spre­chen, wo­bei ein an­ge­nehm lau­es Früh­lings­lüft­chen weh­te.

      Al­lein ei­ne sol­che kö­nig­li­che El­fen­hoch­zeit ge­mein­sam mit ih­rer Fa­mi­lie mit­zu­er­le­ben hat­te An­na schon auf­re­gend ge­fun­den. Dass sie dann so­gar Lo­a­na als ei­ne der sechs Braut­jung­fern be­glei­ten durf­te, mach­te das Gan­ze für sie zu ei­nem ein­ma­li­gen, traum­haf­ten Er­leb­nis. …

      Bei die­ser Er­in­ne­rung seufz­te sie, da die Sehn­sucht nach Wär­me, Som­mer, be­son­ders dem spe­zi­el­len Zau­ber­licht in ih­rem Wald sie nicht losließ.

      »Oh Gott, bald ist es ein Jahr her, ein gan­zes Jahr! Was für ein wun­der­vol­les Jahr!«

      Sie schloss se­lig die Au­gen.

      »Wer hät­te ge­dacht, dass ich mich in­ner­halb so kur­z­er Zeit der­art ver­än­dern könn­te? – Vom Mau­e­r­b­lüm­chen zur Son­nen­blu­me!«

      »Du warst nie­mals ein Mau­e­r­b­lüm­chen, An­na. Und du bist viel mehr als ei­ne ein­fa­che Son­nen­blu­me, mei­ne Sü­ße«, schlich sich Vik­tor in An­nas Geist ein. »Du bist viel, viel mehr! Mor­gens bist du ei­ne zar­te Ane­mo­ne, die man kaum zu be­rüh­ren wagt. Dann aber er­b­lühst du zur wil­den Ro­se, mit de­zen­tem Duft. Spä­ter erst er­scheinst du mir wie ei­ne Son­nen­blu­me, strah­lend hell, groß und stark. Tja, und in der Nacht, da mu­tierst du zur Ve­nus­fal­le, schlägst mich im­mer wie­der in dei­nen Bann und ver­schlingst mich mit Haut und Haa­ren.«

      Vik­tors Wor­te in ih­rem Kopf ent­lock­ten An­na ein Ki­chern.

      »Wow, Vik­tor Mül­ler, bist du un­ter die Ly­ri­ker ge­gan­gen? Wenn ja, dann ein­deu­tig nur un­ter die el­fi­schen! Gott, war das schwüls­tig! Und eu­er ›Son Ca­lee‹ ist mit Si­cher­heit der ein­zi­ge El­fen­dich­ter, dem bei die­sem Vor­trag spei­übel ge­wor­den wä­re! Au­ßer­dem meinst du si­cher­lich die Ve­nus–flie­gen-fal­le. Ich hät­te nicht ge­dacht, dass du dich mal mit ei­ner klei­nen Flie­ge ver­gleichst.«

      Sie zuck­te er­schro­cken zu­sam­men, als er sie plötz­lich