Agnes M. Holdborg

Sonnenwarm und Regensanft - Band 4


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mit sei­ner Für­sor­ge ge­gen­über Lo­a­na über­trieb. Die wuss­te um sei­ne Ängs­te, wes­we­gen sie die­se Für­sor­ge ge­dul­dig zuließ.

      An­na leg­te ih­re Wan­ge an Vik­tors, was nur mög­lich war, in­dem sie sich auf die Ze­hen­spit­zen stell­te und sei­nen Kopf zu sich her­ab­zog.

      »Wir könn­ten dein Ta­blet mit ins Schloss neh­men und uns dort ein paar Vi­de­os von dei­ner Ma­ma an­se­hen. Du hast sie al­le di­gi­ta­li­sie­ren las­sen, aber im­mer noch nicht kom­plett an­ge­schaut. Viel­leicht wä­re es gut, sie la­chen zu se­hen«, mein­te sie lei­se.

      »Ja, das könn­ten wir tun.« Nach­dem er noch ein­mal kräf­tig durch­ge­at­met hat­te, sah er An­na freu­de­strah­lend an. »Komm, Sü­ße, sa­gen wir dei­nen El­tern kurz Tschö und hau­en dann ab.« Er grins­te schon wie­der. »Ich krie­ge das Bild von dir als Ve­nus­fal­le ein­fach nicht mehr aus dem Kopf.«

      »Ve­nus-flie­gen-fal­le!«

      »Mei­net­we­gen.«

      ***

      We­ni­ger als zwei Stun­den spä­ter saß Vik­tor ge­mein­sam mit An­na, Vi­tus und Lo­a­na im klei­nen Ka­min­zim­mer des Schlos­ses. Nicht dass die­ses Zim­mer wirk­lich klein war. Nur in An­be­tracht manch an­de­rer Räu­me des rie­si­gen Ge­mäu­ers konn­te man es als re­la­tiv klein be­zeich­nen. Vik­tor moch­te den Raum. Er fand ihn mit sei­nen ge­dämpf­ten Fa­r­ben, den be­que­men Ses­seln und hüb­schen Holz­tisch­chen, auf de­nen man beim Ge­spräch sein Ge­tränk ab­stel­len konn­te, rund­her­um ge­müt­lich.

      Ein­zi­ger Blick­fang ne­ben dem Ka­min war ein gro­ßes be­ein­dru­cken­des Ge­mäl­de, das di­rekt über dem wei­ßen Mar­mor des Ka­min­sim­ses prang­te:

      Es zeig­te lo­dern­des Feu­er mit zün­geln­den Flam­men in­mit­ten ei­nes wild to­sen­den Stur­mes, das durch die Wahl al­ler mög­li­chen Rottö­ne und -schat­tie­run­gen die im­men­se Macht die­ser Na­tur­ge­wal­ten aus­drück­te. Trotz­dem do­mi­nier­te ein dar­in ver­bor­ge­nes, den­noch deut­lich zu er­ken­nen­des Ge­sicht – Lo­a­nas Ge­sicht, das, un­ge­ach­tet der grün-bläu­lich an­ge­leg­ten Fa­rb­wahl, ei­ne un­ge­heu­er wär­me­n­de Kraft und Gü­te ausstrahl­te. Wenn man ganz ge­nau hin­sah, konn­te man in Lo­a­nas Pu­pil­len so­gar Vi­tus er­ken­nen.

      Die­ses Bild hat­te Vik­to­ria für ih­ren Va­ter ge­malt, da­mit der es sei­ner Braut zur Hoch­zeit schenk­te. Vik­tor fand, dass sich sei­ne Schwes­ter mit dem aus­drucks­star­ken, be­rüh­ren­den Bild selbst über­trof­fen hat­te und recht dar­an tat, ihr Kunst­stu­di­um in Düs­sel­dorf fort­zu­set­zen.

      Wäh­rend er noch über das Ge­mäl­de sin­nier­te, rub­bel­te er mit ei­nem Tuch An­nas lan­ges gold­blon­des Haar tro­cken. Denn an die­sem Tag herrsch­te aus­nahms­wei­se sehr schlech­tes Wet­ter im El­fen­land. Es war kalt und goss wie aus Kü­beln. Weil man bei den El­fen üb­li­cher­wei­se zu Pfer­de un­ter­wegs war an­statt in ei­nem schüt­zen­den Au­to oder Ähn­li­chem, wa­ren sie bei­de pit­sch­nass im Schloss ein­ge­trof­fen.

      … Sei­ne El­fen­welt exis­tier­te par­al­lel zu je­ner der Men­schen und konn­te aus­schließ­lich über ge­hei­me Ein­gän­ge er­reicht wer­den. Au­ßer­dem wa­ren vie­le zu­sätz­li­che Por­ta­le zu durch­que­ren, um zum Bei­spiel zum kö­nig­li­chen Schloss zu ge­lan­gen. Da­zu be­nö­tig­te man nicht nur die pas­sen­den Schlüs­sel­wor­te. Auf Rei­sen über Land war es zu­dem rat­sam, ein el­fi­sches Pferd zu be­sit­zen, das einen si­cher zu den oft weit von­ein­an­der ent­fern­ten El­fen­or­ten trug.

      Selbst wenn er mit An­na auf sei­nem schnee­wei­ßem Pferd Ari­el­la ritt, brauch­ten sie fast im­mer ei­ne vol­le Stun­de, um zum Schloss zu ge­lan­gen. Und das, ob­wohl sein Haus di­rekt am Ein­gang zum El­fen­reich lag.

      Auch An­nas Wald be­fand sich nah am Ein­gang, was sie da­mals, als Vik­tor sie an­sprach, na­tür­lich noch nicht wis­sen konn­te. Aber al­lein die­ser Um­stand hat­te ihn zu An­na ge­bracht, als er sei­ner­zeit die dor­ti­ge Ge­gend zu er­kun­den be­gann, da­bei das hüb­sche träu­men­de Mäd­chen auf der Lich­tung ent­deck­te und sich so­fort in ih­re Schön­heit, ih­re Träu­me und in sie ver­lieb­te.

      Sie war sehr klein und zier­lich. El­fen­gleich, wür­den die Men­schen sa­gen. Hin­ter ei­ner schlich­ten Bril­le blick­ten ver­träum­te, be­tö­rend hell­blaue Au­gen, die Vik­tor an die hel­len Sa­phi­re der Edel­stein­mi­ne sei­nes On­kels Estra er­in­ner­ten. Ih­re zar­te Por­zel­lan­haut schim­mer­te hauch­fein ro­sa, wenn sie sich auf­reg­te. Das pas­sier­te so­gar manch­mal wäh­rend ih­rer Träu­me. Sie schien un­ter­des­sen wohl all­zu sehr ab­zu­schwei­fen, sprach da­bei ih­re Vi­si­o­nen und Wün­sche laut aus. Das ver­wirr­te ihn. So­wohl ih­re Wor­te als auch ihr reiz­vol­ler ro­ter Mund, des­sen Lip­pen sich so sinn­lich be­weg­ten.

      Seit er sie dann ei­nes Ta­ges an­ge­spro­chen hat­te, wa­ren sie ein Paar. Seit­dem und für ewig! …

      »Du soll­test mein An­ge­bot an­neh­men, An­na«, mein­te Vi­tus ernst, als er ihr feuch­tes Haar be­trach­te­te.

      Beim An­blick des vor Näs­se trie­fen­den Paa­res hat­te er den Ka­min al­lein mit dem Schnip­pen sei­ner Fin­ger ent­zün­det. Nun pras­sel­te es fröh­lich und wohl­tu­end wär­me­nd vor sich hin.

      »Ger­tus ist ein ru­hi­ges, bra­ves Pferd. Et­was klein ge­ra­ten, den­noch wen­dig, schnell und treu. Mein Ritt­meis­ter hat es mir für dich emp­foh­len. Es wä­re op­ti­mal. Du und Vik­tor, ihr wärt be­stimmt mehr als ei­ne Vier­tel­stun­de frü­her hier im Schloss, wenn du mit dei­nem ei­ge­nen Pferd rei­sen wür­dest.«

      »Dan­ke, Vi­tus«, gab An­na matt zur Ant­wort, »aber ich hab halt im­mer noch rie­si­gen Re­spekt vor den Tie­ren. Ich bin‘s nicht ge­wohnt und hab nie rei­ten ge­lernt.«

      Vi­tus lä­chel­te. »An­na, du musst nicht ler­nen, auf ei­nem El­fen­pferd zu rei­ten. Es muss dich nur ken­nen. Den Rest macht es ein­fach selbst.«

      »Ihr habt gut re­den, ihr El­fen. Ihr seid al­le to­tal groß und stark. Des­halb habt ihr kein Pro­blem da­mit, auf den brei­ten Rü­cken ei­nes sol­chen Rie­sen zu sprin­gen. – Oh, ent­schul­di­ge, Lo­a­na. Es gibt na­tür­lich Aus­nah­men.«

      Schmun­zelnd re­gis­trier­te Vik­tor, dass die für An­na so ty­pi­sche Rö­te bei ihr auf­stieg, und das, wo er ge­ra­de noch ge­nau dar­über nach­ge­dacht hat­te. Sie war sicht­lich ver­le­gen, hat­te sie doch au­ßer Acht ge­las­sen, dass Lo­a­na nur ein paar Zen­ti­me­ter grö­ßer war als sie selbst. Ei­ne wirk­li­che Sel­ten­heit in der El­fen­welt. In der Re­gel wa­ren El­fen eher groß.

      Lo­a­na lach­te hell auf. »Du brauchst nicht rot zu wer­den, An­na. Ich bin halt was klei­ner, ge­nau wie De­n­a­ra. Das macht mir nichts aus.«

      Lo­a­na nipp­te ge­ni­e­ße­risch an ih­rer Tas­se. Es war al­len be­kannt, wie sehr sie ih­ren Kaf­fee lieb­te. Das um­so mehr, seit­dem Vi­tus der Auf­fas­sung war, er könn­te viel­leicht schäd­lich für sie und die Ba­bys sein, wes­halb er ih­ren Kaf­fee­kon­sum seit ei­ni­ger Zeit ra­tio­nier­te.

      »Es ist nicht schwer, auch für uns Klei­ne, auf einen Pfer­de­rü­cken zu kom­men. Das kannst du ler­nen. Vi­tus hat recht, An­na. Al­les Üb­ri­ge über­nimmt das Tier. Ver­such es doch mal.«