Agnes M. Holdborg

Sonnenwarm und Regensanft - Band 4


Скачать книгу

hei­te­re Lä­cheln ih­rer fast drei Jah­re jün­ge­ren Schwes­ter ließ Le­na un­an­ge­nehm be­rührt und ver­le­gen zur Sei­te schau­en, wäh­rend sie Hand in Hand mit ih­rem sehr gro­ßen Freund Sen­tran, ei­nem von Vi­tus‘ sechs Eli­te­wach­män­nern, Rich­tung Kü­chen­tisch ging. Ei­gent­lich hat­te sie ge­hofft, dass um die­se Zeit nie­mand mehr früh­stü­cken wür­de. Doch war dem nicht so.

      »Ja, hal­lo«, gab sie klein­laut zu­rück.

      An­schei­nend war ihr Den­ken da­bei wie­der ein­mal so laut, dass An­na ver­gnügt wei­ter­lä­chel­te. »Du musst nicht mit zum Ge­richt kom­men, Le­na«, er­klär­te sie. »Es reicht mir völ­lig, dass Pa­pa Ne­ben­klä­ger ist und Ma­ma im Pu­bli­kum sitzt. Vik­tor und ich wer­den da hin­ge­hen, aus­sa­gen und hof­fent­lich schnell wie­der ab­hau­en. Du und Jens, ihr müsst nicht auch noch dort auf­kreu­zen.« An­na leg­te den Kopf schief und sah Le­na mit zu­sam­men­ge­knif­fe­nen Au­gen an. »Du bist schon seit Län­ge­rem hier im Schloss, nicht wahr? Sen­tran hat dich be­reits ges­tern ab­ge­holt, wie ich ge­hört ha­be. Hast du dich wirk­lich nicht ge­traut, mit mir zu re­den?«

      Jetzt fühl­te Le­na ei­ne hei­ße Rö­te in sich auf­stei­gen. »Äh, tut mir leid«, drucks­te sie her­um. »Ich dach­te, du wärst viel­leicht be­lei­digt, weil ich nicht dort­hin will. Ich, ich … Mir wä­re da­bei nicht wohl, glaub ich.«

      … Sie und An­na teil­ten das Schick­sal, ent­führt wor­den zu sein. Auch Le­na war erst kur­ze Zeit zu­vor ge­walt­sam ver­schleppt wor­den. Und zwar von ih­rem Ex-Freund Ma­ri­us, ei­nem Jour­na­lis­ten, der Le­n­as Wis­sen über die El­fen hat­te aus ihr her­aus­pres­sen wol­len und ge­droht hat­te, ihr et­was an­zu­tun, wenn man ihm die ge­for­der­ten In­for­ma­ti­o­nen nicht gä­be. Bei ih­rer Be­frei­ung war Vik­tor bei­na­he ge­tö­tet wor­den.

      Of­fen­bar war es gar nicht gut für die geis­ti­ge Ge­sund­heit, sich mit den Schwes­tern und dem­zu­fol­ge mit den El­fen an­zu­le­gen, denn bei­de Kid­nap­per ver­brach­ten ih­re Ta­ge in­zwi­schen in der Psych­ia­trie.

      Trotz­dem, die Er­in­ne­rung dar­an be­rei­te­te Le­na nach wie vor Bauch­schmer­zen. Die Ge­richts­ver­hand­lung, so fürch­te­te sie, könn­te sie noch mehr aus den Tritt brin­gen. …

      »Le­na, du musst mich nicht be­glei­ten. Das ich hab dir doch von An­fang an klar und deut­lich zu ver­ste­hen ge­ge­ben.«

      Dass An­na sich wei­ter­hin über ih­re Ver­le­gen­heit zu amü­sie­ren schien, ha­lf Le­na kei­nes­wegs. So trat sie von ei­nem Fuß auf den an­de­ren und ver­such­te, ih­re Ge­dan­ken auf »laut­los« zu stel­len, so wie es ihr Sen­tran und Lo­a­na bei­ge­bracht hat­ten. In die­sen Din­gen war sie reich­lich un­er­fah­ren.

      Auch konn­te sie im­mer noch kei­ne Ge­dan­ken le­sen, kann­te ih­re Schwes­ter den­noch gut ge­nug, um de­ren Ängs­te hin­ter der all­zu fröh­li­chen Fas­sa­de wahr­zu­neh­men. Au­ßer­dem hat­te Lo­a­na ihr al­ler­hand em­pa­thi­sche Ge­schi­cke über­tra­gen, da­mit sie als Hei­le­rin ih­re Fä­hig­kei­ten ent­fal­ten konn­te. Dank die­ser Kraft konn­te Le­na Krank­hei­ten und Ver­let­zun­gen er­spü­ren, so­wohl kör­per­li­chen als auch see­li­schen Schmerz, und so­gar al­les, falls nö­tig und so­weit wie mög­lich, in sich auf­neh­men, um es zu kom­pen­sie­ren.

      So er­kann­te sie, dass An­na selbst nach all der ver­stri­che­nen Zeit gro­ße Furcht bei dem Ge­dan­ken an die­sen schreck­li­chen Leh­rer emp­fand. Aber auch bei der Vor­stel­lung, noch ein­mal von Vik­tor ver­las­sen zu wer­den. Und zu­dem bei der Er­in­ne­rung an die grau­sa­men Se­kun­den, in de­nen sie hat­te an­neh­men müs­sen, Vik­tor wä­re von Ma­ri­us er­schos­sen wor­den.

      Am liebs­ten hät­te Le­na ih­re klei­ne Schwes­ter ein­fach in den Arm ge­nom­men, um ihr die­se schmerz­vol­len Emp­fin­dun­gen zu neh­men. Aber das hat­te Lo­a­na be­reits vor ei­ni­ger Zeit ge­tan. Die Angst vor ih­rem Pei­ni­ger hat­te An­na da­durch bei­na­he über­wun­den. Ih­re an­de­ren Ängs­te al­ler­dings sa­ßen sehr viel tie­fer und be­durf­ten da­her weit­aus grö­ße­ren Zu­spruchs.

      »Okay, du hast recht«, lenk­te sie schließ­lich ein und zog Sen­tran hin­ter sich her.

      Sie gab al­len einen klei­nen Wan­gen­kuss, auch Vi­tus, der ihr stets ge­hö­ri­gen Re­spekt ein­flößte. Da­nach stell­te sie sich an der Kü­chen­the­ke ein Früh­stück zu­sam­men und setz­te sich da­mit an den Tisch.

      Ihr ent­ging nicht, wie Sen­tran ih­ren Tel­ler wie­der ein­mal kri­tisch be­äug­te, wäh­rend er ne­ben ihr Platz nahm. Noch be­vor er den Mund rich­tig auf­ma­chen konn­te, stopp­te sie ihn: »Kein Wort über mei­ne Ess­ge­wohn­hei­ten, Wach­mann.«

      Ener­gisch auf ih­ren Tel­ler deu­tend, blitz­te sie zu­dem sämt­li­che Män­ner am Tisch ge­konnt an, so­dass selbst Vi­tus sei­nen be­reits ge­öff­ne­ten Mund mit ei­nem wi­der­wil­li­gen Ge­sichts­aus­druck wie­der zu­klapp­te. »Dies ist mein Tel­ler, mit mei­ner Por­ti­on Rührei und mei­nem Mar­me­la­den­bröt­chen. Und da­nach wer­de ich papp­satt sein, bas­ta! Al­so spart euch eu­re Kom­men­ta­re, ja? Es wä­re wirk­lich schön, end­lich mal ei­ne Mahl­zeit mit euch zu er­le­ben, bei der ihr mich, An­na oder Lo­a­na nicht stän­dig an­me­ckert, von we­gen, wir wür­den zu we­nig es­sen und sei­en viel zu zart und zu dünn.«

      »Gut ge­brüllt, Lö­we«, hör­te sie An­na mur­meln und an­schlie­ßend gluck­sen.

      »Ich me­cke­re nicht und wer­de auch nicht an­ge­me­ckert«, mel­de­te sich Vik­to­ria zu Wort. Weil nicht nur Le­na, son­dern auch An­na und Lo­a­na sie für die­sen Bei­trag mit stren­gen Bli­cken straf­ten, so, als wä­ren sie von ihr ver­ra­ten wor­den, senk­te sie reu­mü­tig den Kopf und ver­such­te sich an ei­nem ver­ba­len Rü­ck­zie­her: »Ja­ja, okay, ich bin ein biss­chen grö­ßer als ihr. Des­we­gen muss ich eben et­was mehr es­sen, oder?« Sie gab sich zer­knirscht, wäh­rend sie nach rechts und links schiel­te, muss­te an­ge­sichts des miss­bil­li­gen­den Kopf­schüt­telns ih­res Freun­des Ke­tu schließ­lich doch schwach grin­sen.

      Le­na quit­tier­te Vik­to­ri­as Ein­wand mit ei­nem wei­te­ren Au­gen­fun­keln, ließ die Sa­che dann aber auf sich be­ru­hen. Statt­des­sen schob sie sich ge­ni­e­ße­risch die ers­te Fuh­re Rührei in den Mund und nahm Vik­tors Schwes­ter wäh­rend­des­sen nä­her in Au­gen­schein.

      Man sah Vik­to­ria die Hal­bel­fe deut­lich an, dach­te Le­na, war die ih­rem Bru­der doch sehr ähn­lich, mit der gro­ßen, schlan­ken Sta­tur und dem dun­kel­brau­nen Haar. Der kur­ze pfif­fi­ge Haar­schnitt stand ihr aus­ge­spro­chen gut und hät­te durch­aus von Le­n­as Sche­re stam­men kön­nen. Als an­ge­hen­de Fri­sö­rin hat­te sie einen ge­üb­ten Ken­ner­blick für der­ar­ti­ge Din­ge.

      Die un­ge­heu­re Ähn­lich­keit der Zwil­lin­ge fas­zi­nier­te Le­na im­mer aufs Neue. Je­der der zwei wä­re ir­gend­wie die Aus­ga­be des an­de­ren, fand sie, – der ei­ne halt auf sehr männ­li­che, der an­de­re auf sehr weib­li­che Art.

      Mit ei­nem Mal stieg ihr der aro­ma­ti­sche Duft ei­nes Ap­fels in die Na­se. Of­fen­bar hat­te Sen­tran, oh­ne groß auf das vor­he­ri­ge Ge­plän­kel we­gen der Es­se­rei zu ach­ten, den Ap­fel aus der reich be­stück­ten Obst­scha­le ge­pflückt und ihn de­mon­s­tra­tiv ne­ben Le­n­as Tel­ler ge­legt. »Für spä­ter«, mur­mel­te