Ha-Jo Gorny

Quallen, Bimm und Alemannia


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es funkelte. Sie nahm das Nest auf und nestelte aus den Zweiglein einige kleine Stücke einer glitzernden Folie. Dann entdeckte sie noch eine dünne silberne Halskette mit einem funkelnden grünen Stein daran. Bimms Herz schlug bis zur Schädeldecke, es waren Gegenstände die sie nicht kannte, für sie waren es Zeugnisse aus einer unbekannten Welt. Besonders der kleine grüne Stein war das schönste was sie je in ihrem Leben gesehen hatte. Das Personal durfte bei Strafe keinen Schmuck tragen, um bei den Sklaven keine Begehrlichkeiten zu wecken. So sah Bimm das erste Mal in ihrem Leben ein Schmuckstück und kam ganz aus dem Häuschen. Die Tage darauf suchte sie fieberhaft weiter, in der Hoffnung noch mehr solche Nester zu finden, die Gegenstände einer fremden Welt beinhalteten. Was sie dann fand brachte sie vollends aus dem Gleichgewicht.

      Weit weg von ihrem Dorf hatte das Unwetter, etwa einen Meter vor der Mauer, ein Loch ausgespült. Deutlich war an der mitgerissenen Erde zu erkennen, dass Wasser aus dem Loch geflossen war und sich Hang abwärts ergossen hatte. Bimm betrachtete ratlos die Öffnung die so groß war, dass sie ihren Kopf hineinstecken konnte. Wo konnte hier oben nur so viel Wasser herkommen, fragte sie sich und ob zukünftig bei Regen noch mehr Wasser aus dem Loch fließen würde. Sie kannte selbstverständlich einige Stellen an denen Wasser aus dem Boden kam, Quellen genannt, und wie jedes Tal hatte auch ihres einen Bach. Aber sämtliche Quellen sprudelten viel weiter unten, hier musste irgendetwas nicht stimmen.

      Bimm bückte sich und sah in das Loch hinein, das innen im Durchmesser noch größer war als der Austritt. Es sah irgendwie interessant aus. Sie ging auf die Knie um tiefer hinein schauen zu können und fragte sich sogleich, weshalb es darin so hell war. Sie suchte vor der Mauer nach einer zweiten Öffnung, die das Loch mit Licht versorgte, fand aber kein zweites Loch. In einem Loch hatte es dunkel zu sein, überlegte sie. Nach einer weiteren Begutachtung der äußeren Umstände kam ihr eine Ahnung, die ihr eine Hitze in den Kopf trieb. Sie sah sich gründlich um und widmete sich wieder dem Loch. Bimm begann mit bloßen Händen den Eingang zu erweitern, in der Höhle selber sah sie nur puren Fels. Sie kroch mit dem Oberkörper hinein und schaufelte störende Steine heraus, kroch weiter hinein und sah deutlich, dass am anderen Ende von oben Licht in das Loch fiel. Sie schob und schlängelte sich vorwärts, bekam zwischendurch Angst darin stecken zu bleiben und kam doch mit ihrem Kopf unter die andere Öffnung. Sie drehte sich auf den Rücken und sah den bewölkten Himmel. Nach einer längeren Pause in der sie sich ihrer Tat immer mehr bewusst wurde, setzte sie sich auf und weitete auch den Ausstieg, indem sie oben die Erde wegdrückte. Wie ein überdimensionaler Maulwurf schob sie sich dicht neben der Mauer aus dem Boden.

      Sie war außerhalb der Mauer, es war nicht zu fassen, weg von ihrer Welt. Sollte sie sich freuen oder entsetzt sein? Die Höhle war kaum länger als sie selber und außer ihr würde niemand hindurch passen, war ihr klar. Bimm wagte aufzustehen und betrachtete das Bauwerk von außen. Es hatte einen Tarnanstrich. Gleich darauf erkannte sie wie es zu der Ausspülung gekommen war. Im Abstand eines Meters befand sich eine längere Strecke an der Mauer entlang der felsige Gebirgskamm. In dieser Rinne war ewig das Wasser entlanggeschossen, bis es einen Durchlass geschaffen hatte. Bimm war nicht wohl, stieg wieder mit dem Kopf voraus in das Loch und zog sich auf dem Rücken liegend auf die andere Seite. Nun musste sie erst einmal viel nachdenken.

      Schlafwandlerisch, weil sie total durch den Wind war, schlenderte sie zum Dorf zurück. Sie befürchtete, dass man ihr die Verstörtheit ansah und machte deshalb um das Personal einen großen Bogen, ging in ihre Kammer, legte sich auf die Matratze und überlegte was es bedeutete jetzt nach draußen zu können. Nach Feierabend fasste sie einen Entschluss. Bimm stand auf, ging an den Dorfrand, sammelte dürre Stängel und Zweige und ging zur Feuerstelle. In das Loch dort legte sie ein Stück Sturmbruch, darüber die Stängel und Zweige und steckte sie an. Jeder der an das Feuer wollte, musste erst Holz sammeln gehen, wer zu träge war herrschte sie energisch an. Beim Ins-Feuer-starren konnte sie am besten überlegen. Es wurde dunkel, es wurde Mitternacht und Bimm konnte es drehen und wenden wie sie es wollte, es blieben ihr immer die gleichen zwei Optionen: Entweder das Loch zu melden oder sich auf der anderen Seite umzusehen, etwas anderes kam nicht in Frage. Beim letzteren fürchtete sie sich weniger davor entdeckt zu werden, sie wusste ja wie blind das Personal war. Sie fürchtete sich davor was sie drüben erwarten würde, denn sie rechnete fest damit dort die Welt der Glitzerfolie und funkelnden Steine zu finden. Als sie am nächsten Morgen erwachte war der Entschluss gefestigt diese Welt kennenzulernen.

      Noch bevor Albritz Gruppe auftauchte, marschierte Bimm festen Schrittes in Richtung Loch. Noch nie hatte sie beim Hochklettern eines Hanges so weiche Knie verspürt. Vor dem Loch jedoch handelte sie entschlossen. Aufmerksam blickte sie sich um, legte sich hin, drehte sich auf den Rücken und zog sich hinein. Bevor sie auf der anderen Seite das Loch verließ, sah sie sich abermals gründlich um. Dann ging sie erst einmal schnurstracks, wie sie es sich in der schlaflosen Nacht überlegt hatte, nach unten. Auch hier lag viel Holz herum, sie befand sich ja im Nationalpark Schwarzwald. Vorsichtig, sich immer wieder umsehend, überstieg sie Baum für Baum. Nicht lange und sie stand auf einem Pfad der parallel zur Mauer verlief. Nach einem Zögern hielt sie es für besser von diesem Pfad zu verschwinden und das ging nach unten am Schnellsten. Häufig machte sie Pausen, lauschte, späte in alle Richtungen, die Bäume und Vogelstimmen waren auf jeden Fall die Bekannten.

      Nach einer gewissen Zeit wurde es unten heller, was einen Waldrand ankündigte. So leise sie es vermochte bewegte sie sich auf das offene Land zu, ging in die Hocke und krabbelte auf allen Vieren durch die letzten Blätter. Wiesen, und zwei Steinwürfe entfernt standen drei Häuser. Ihr Herz pochte laut, nie würde sie es wagen das schützende Laub zu verlassen. Aber zurück wollte sie auch nicht, dazu war sie zu neugierig. Sie wollte wenigsten etwas von den Bewohnern sehen. Sie lag und lag und beobachtete, die Klamotten wurden von der Erde immer feuchter, sie wurde auch hungrig und durstig, aber nichts tat sich. Schließlich zog sie sich zurück und schlich sich innerhalb des Waldes talwärts, weil sie hoffte dort noch mehr Häuser zu finden. Tatsächlich erreichte sie ein weiteres Haus, das sie sehr beeindruckte. Es war sehr groß, hatte mehrere Dächer, war blendend weiß und drum herum standen seltsame kugelige Büsche. Der Hof bestand aus einer grauen Fläche und machte einen glatten Eindruck.

      Hier warte ich jetzt egal wie lange, sagte sie sich, denn sie wollte unbedingt wissen wie die Bewohner aussahen. Bimm ging davon aus, dass in dem prächtigen Haus keine Sklaven wohnten, eher dachte sie an Bewohner in schwarzen Overalls. Das Haus würde sehr gut zu Dr. Albritz passen, bestimmt hat er viele Kinder. Nachdem eine Zeitlang nichts geschah, robbte sie zu einem einzelnen Busch, der etwas abgerückt vom Waldrand in der Wiese stand. Kurz darauf bewegte sich ein kleines Fahrzeug lautlos auf das Haus zu. Es war ein Fahrzeug wie sie es noch nie gesehen hatte, sie kannte ja nur Buse und Laster. Es fuhr auf den Hof und kaum dass es gehalten hatte, sprangen lärmend zwei kleine Kinder heraus. Magere Kinder, fast so dünn wie sie und sie trugen bunte Kleidung, in so kräftigen Farben wie es nur die Blumen hervorbrachten. Bimm war wie vor den Kopf geschlagen. Dann stieg auch die Mutter der Kinder aus, ohne schwarzen Overall, auch sie in bunten Kleidern. Aus dem Fahrzeug löste sich noch ein kleiner beladener Wagen der auf das Haus zufuhr. Nach den Kindern verschwanden auch die Mutter und zuletzt der kleine Wagen hinter dem Haus, wo vermutlich der Eingang lag.

      So farbenfrohe Kleidung gab es. Bin ich blöd, schalt sich Bimm, die Overalls sind ihre Arbeitsklamotten. Nur kurze Zeit später bewegte sich noch etwas den Berg herauf, das sie noch nie gesehen hatte, ein Ei. Ein großes Ei das an den Seiten offen war, vorne ein Fenster hatte und nur auf einem Rad fuhr, stoppte neben dem Fahrzeug. Ihm entstieg ein Mann mit einer Knielangen Jacke die er vorne offen trug. Das Muster der Jacke war unregelmäßig schwarz-weiß gestreift, doppelt so viel schwarz als weiß. Bimm dämmerte, dass sie außerhalb der Mauer nur unbekanntes zu sehen bekam. Für den Tag hatte sie genug gesehen, traute sich aber nicht aus den Busch. Erst als Hunger und Durst unerträglich wurden, kroch sie flach an den Boden gedrückt rückwärts zum Wald. Verlaufen konnte sie sich ja nicht, sie musste nur den Berg hoch und oben an der Mauer entlang bis zu ihrem Loch.

      Tief versunken in Gedanken stieß sie, fast oben angekommen, auf den Pfad. Mit der letzten Neugier folgte sie ihm aufwärts und erfuhr den Schreck ihres Lebens. Vor ihr stand ein Tier, riesig gegen ein Eichhörnchen und es hatte zwei bedrohliche Zweige auf dem Kopf. Mit großen braunen Augen glotzte es Bimm an, die wie angewurzelt stehen blieb. Der Rehbock, eigentlich ein harmloses Tier, erkennt einen Mensch nur