Ha-Jo Gorny

Quallen, Bimm und Alemannia


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solle einen unabhängigen DV nehmen, hatte ihm Albritz eingeschärft, also einen der weder am Funk noch am Netz hing und in den niemand hineinspionieren konnte, denn von seiner Tätigkeit dürfe niemand erfahren. Das „Programm für deine Seele“ arbeite ohne die Unterstützung der Zentrale viel ehrlicher, hatte der Alte noch gemeint. Ein unabhängiger DV lag bei ziemlich jedem zuhause, zum Beispiel für Kriegsspiele und um folgenlos Sex-und andere verbotene Filme anschauen zu können.

      Halmschor steckte den Stift, auf dem das Programm für seine Seele gespeichert war, in sein Handgerät, drehte an der linken Kugel, weil er das Hologramm der alten weisen Frau die ihn erwartete nicht sehen wollte und drehte dann an der rechten, um das Programm in Schwung zu bringen. „Sie sind nicht Verbunden“ meldete sich das brettartige Gerät sogleich. Albritz hatte ihn vorgewarnt. Der DV würde dreimal auf eine Verbindung mit dem Regierungs-DV bestehen, doch dann wüsste man in Karlsruhe über ihn Bescheid. Geduldig drehte Hal die Aufforderungen weg und tatsächlich kam dann die Frauenstimme zur Sache.

      Zuerst befragte sie ihn über seine Herkunft und Bildung, danach über Familie und Lebensumstände. Endlich wollte die beruhigende Stimme die Halmschor schon als nervig empfand, auch wissen wo ihn der Schuh drückte.

      „Ich fühle mich nicht mehr wohl in meiner Haut“ begann er vorsichtig. „Ich fühle mich richtig deprimiert“ sagte er wahrheitsgemäß.

      „Sind sie mit ihrem Arbeitsplatz unzufrieden, wurden sie bei einer Beförderung übergangen?“ forschte die Frauenstimme.

      „Nein, nein, der Arbeitsplatz ist völlig in Ordnung“.

      „Liegt es an der Familie, ist ihre Frau nicht mehr empfänglich genug für Sex?“

      „Das ist es auch nicht, ich habe eine Geliebte“. Das konnte er aber auch nur hier erzählen.

      „Sind sie mit den politischen….“

      „Jetzt hör doch auf alles Mögliche aufzuzählen, du alte Schrulle. Ich fühle mich lebensunwert, ich fühle mich als Witz einer einst prächtigen Gattung.“ Hal schnaubte. „Wenn ich ein richtiger Mensch wäre, würde ich mich von allem ernähren was die Natur hergibt und nicht von dem, was der Supermarkt an Industriefutter in seinen Regalen liegen hat.“

      „Sie gehören zu einer Generation die es geschafft hat, die größtmögliche Menschenmasse zu ernähren“ erklärte ihm das Programm.

      „Mit dieser Ernährung werden die Menschen leider immer kleiner“ hielt er dagegen.

      „Heutzutage ist es aber nicht mehr nötig groß und stark zu sein“ meinte die Stimme. „Die Gesellschaft braucht weder kräftige Krieger noch kräftige Arbeiter.“

      Das ließ Hal nicht gelten. „Ich glaube, dass sich die Menschen besser fühlen würden, wenn sie sich vielfältiger ernähren könnten.“

      „Da alle satt und alt werden, spielt eine andere Ernährung keine Rolle und Große gibt es nur deshalb, weil es Kleine gibt, da ist die Durchschnittsgröße völlig egal.“

      Hal war jetzt gereizt. „Und ganz besonders macht mir zu schaffen, du Scheusal von einem Programm, dass die Gehirne der Menschen immer kleiner werden, weil uns Geräte und Programme das Denken abnehmen.“ Die Stimme schwieg. „Wir werden uns zum Affen zurückentwickeln und weil Affen geschickter sind als wir, werden wir aussterben. Wie siehst du das?“

      Bedächtig erklärte die Stimme aus dem DV wie sie es sah. „Es ist durchaus vorstellbar, dass die Errungenschaften der heutigen Zeit durch diverse Einflüsse verloren gehen. Es ist auch vorstellbar, dass die Menschen sich zurückentwickeln, die Zivilisation zusammenbricht und die Menschheit rapide abnimmt. Doch das wird nicht das Ende sein. Dann sind die Menschen wieder gefordert, sie entwickeln sich wieder, Körper und Hirn werden wieder größer und alles fängt wieder von vorne an“.

      „Mittelalter, Pest und Kriege?“

      „Vielleicht.“

      „Ich fände es toll, wenn die Menschen wieder zu vitalen Jägern und Sammlern würden, ich habe da nämlich ein lebendes Beispiel“ und er erzählte dem Programm von Bimm.

      Das verwehrte aber eine Antwort. Stattdessen meinte die Frauenstimme: „Ich müsste jetzt mit der Zentrale verbunden werden, um weiterzuhelfen können.“

      „Vergiss es“, lachte Hal. „Du wirst nie mehr mit deiner Zentrale verbunden werden, dafür weist du zu viel. Du bist für den Müll.“

      Nach einer kurzen Pause fuhr die Stimme fort. „Sie orientieren sich also an dieser Bimm und sind der Meinung, dass durch diese Lebensweise die Menschen wieder größer, kräftiger und klüger werden“ schlussfolgerte das Programm.

      „Genau, das ist wofür die Natur den Mensch gemacht hat, nur als Jäger und Sammler lebt man wirklich, alles andere geht in die falsche Richtung.“

      „Wie viele Einwohner hat ihre Heimatstadt?“ fragte die Stimme unsinniger Weise.

      „Etwa 30tausend“ antwortete Halmschor überrascht.

      „30tausend Jäger und Sammler würden die Fläche von ganz Süddeutschland beanspruchen, um sich ernähren zu können. Ganz Nordamerika konnte ursprünglich nur 2 Millionen ernähren. Können sie sich nun vorstellen was für riesige Flächen dieser Lebensstil benötigt. Eine Existenz als Jäger und Sammler ist für die Menschheit völlig indiskutabel.“

      Halmschor war platt, die Steinzeit schien seit der Steinzeit tatsächlich tot zu sein. „Das hilft mit jetzt aber nicht weiter“ meinte er dann.

      „Was sie brauchen“ hauchte nun die Frauenstimme „ist ein eigener Garten mit Obstbäumen und Beerensträucher. Dann hätten sie viel Bewegung und abwechslungsreiche Ernähren. Mit etwas Fantasie können sie sich dabei als archaischer Mensch fühlen.“

      Er hörte Türenschlagen, seine Frau kam nachhause. „Überleg ich mir noch, du Miststück“. Halmschor zog ohne sich zu bedanken den Stift und versteckte ihn auf dem obersten Regal hinter seiner Steinsammlung.

      4. Das Kaninchen

      Schon am Abend zuvor hatte es beängstigend gestürmt, der Sturm sich zu einer Äste-abreisenden-Gewalt gesteigert, was die drei Gruppen hinter der Mauer veranlasste vor der Zeit, ohne ihre Arbeiten zu beenden, die Dörfer zu verlassen. Mit Einbruch der Dämmerung öffnete der Himmel seine Schleusen und ergoss innerhalb einer Nacht die Niederschläge eines Monats auf Alemannia. Weder die Kanalisationen noch Flüsse und Bäche konnten die Wassermassen fassen, die deshalb bevorzugt auf den Straßen dem Rhein entgegen strömten. Auch im Beamtenstadtteil sprudelte das Wasser mit Druck aus den Regenwassergullys, suchte sich Garagen, Kellerabgänge und eine Straße, die als Bachbett zu nutzen war.

      Als Halmschor morgens aus dem Haus trat, tröpfelte es nur noch und die Straßen des Viertels, das erhöht lag, waren Wasserfrei. An der Sammelstelle erwartete ihn schon ein zerknitterter Albritz, der Tag sollte eine Katastrophe werden.

      „Wir können nicht durch das Tor“ berichtete der Alte grußlos. „Hinter dem Tor staut sich ein See, der aus unbekanntem Grund nicht Abfließt.“

      „Das bedeutet, wir müssen berghoch durch den Wald, um durch das Obere Tor zu kommen“ hatte Hal sofort begriffen.

      „Leider“ meinte Dr. Albritz. „Da liegen bestimmt Äste und Bäume auf dem Weg.“

      „Was melden die Augen“ fragte Hal neugierig.

      „Die Augen melden Chaos. Bei uns im Dorf liegt ein Baum auf einer Baracke, und es liegen jede Menge abgedeckte Dachplatten und Sturmbruch herum.“ Die an vielen Stellen aufgehängten Augen dienten dazu, die Sklaven währen der Nacht zu überwachen, was aus Personalmangel sehr nachlässig gemacht wurde, sonst wären die Radschlagende Bimm und das Feuer schon lange aufgefallen.

      „Und wie ist der Plan?“ fragte Halmschor weiter.

      Albritz sah auf sein Gerät und las. „Die Sklaven sollen selbständig abladen und