Jacques Varicourt

Die Villa


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im Fall von Rösser, unverzüglich den staatlichen Organen zu melden. Doch Doktor Feldermann hatte Glück, vielleicht sogar von höchster Stelle aus gesteuert, weil neben den Morpheinen und dem Heroin sowie dem Kokain, die „Lust“ einen ähnlich hohen Stellenwert in der Gesellschaft einnahm. Tatsache ist, in diesem Zusammenhang, nun mal, dass der Mensch eben Mensch bleibt, mit all seinen innersten Träumen, Auslebungen und Begierden, die bisweilen zu einer Intensivität explodieren, mit der er nur noch schlecht zurecht kommt, deswegen berauscht sich der ehemals gesunde Geist, weil die Menschheit, in besonderen Zeiten, von Hochs und Tiefs gekennzeichnet, nach Vernebelung geradezu verlangt. Doktor Feldermann war seinen Träumen erlegen, er, der sonst der Trostspendende war, der Mut machte, der in den Häusern der Patienten ein Gefühl von Sicherheit mit sich brachte, er war plötzlich nicht mehr in der Lage immer nur zu geben, er wollte jetzt auch mal nehmen, er wollte aus der Ehe und aus der Zwangsjacke die man ihm angezogen hatte ausbrechen, er wollte sogar seinen Beruf an den Nagel hängen, aber, dieses gab er sehr schnell wieder auf, als eine von seinen Geliebten ihn wieder zurück auf den Boden der medizinischen Tatsachen holte. Sara war eine von vielen die er sich gegen Bargeld gönnte, sie beschaffte ihm auch immer mal wieder den einen oder den anderen Burschen, wenn Feldermann der Hafer stach und er nach Abwechslung verlangte. Sara, Anfang zwanzig, stark geschminkt, war mit einem Kapitän verheiratet, doch der Kapitän war allzu oft nicht dort, wo er hingehörte – nämlich in Saras Bett, er fuhr lieber über die Weltmeere, er liebte seinen Beruf, und nach einem komplizierten Geständnis, welches er Sara unter Tränen gestand, liebte er die männliche Gesellschaft mehr als die von Damen. Sara lebte also parallel zu ihrem Gatten, sie musste, nicht nur aus Gründen des Geldes schweigen, nein, sie wollte auch „ihre“ natürlichen Anlagen behalten, und die waren bizarrer, perverser und fernab jeglicher Vorstellung; nur Doktor Feldermann hatte Verständnis für Sara ihre Situation, und er nutzte es schamlos aus, so erzählte er es mir einmal, als seine Zunge vom Alkohol und von Opiaten gelöst war. Er bezahlte Sara mit viel Geld, aber auch in Naturalien – vorwiegend in Form von Morphium, dafür musste „er“ alles mit ihr machen, was „ihr“ so gefiel, er wiederum bestand auf: Gelegentliche Zuführungen von jungen Liebhabern, die sich seinen Leidenschaften voll und ganz hingaben. Stattgefunden haben alle sexuellen Treffen in einer Pension in Barmbek bei Frank Zaböhl. Zaböhl der schon mehrfach in der Klapsmühle gewesen war, aufgrund von schizophrenen Verhaltensmustern, die nicht unerheblich waren, der allerdings von Doktor Feldermann und Herrn Rösser mit Geld und Medikamenten unter Kontrolle gehalten wurde, ja, dessen Pension war zu einem Treffpunkt geworden. Zaböhl vermietete insgesamt acht Zimmer auf drei Stockwerke verteilt, offiziell gab es so etwas natürlich nicht, aber die allgegenwärtige Partei wurde in so fern beruhigt, als dass man die Pension als normales Seefahrerheim deklarierte, um so Ärger aus dem Wege zu gehen, und hier verkehrten regelmäßig Doktor Feldermann wie auch der boshafte und exzentrische Ludwig Rösser, für den Zaböhl immer eine Buddel Schnaps stehen haben musste, ebenso Sekt und ein frisches Handtuch durfte niemals fehlen, sonst wurde es ungemütlich im Stadtteil Barmbek. Feldermann war da allerdings genügsamer, ihm reichte ein blonder, blauäugiger gut gebauter jüngerer Mann, der ohne langes Gerede gleich zur Sache kam, Feldermann mochte den devoten Charakter eines Jünglings, wenn er ihn dann, nach einem kurzen Vorspiel, von hinten so richtig rannahm, und sich an ihm bis zum totalen Höhepunkt der Leidenschaft befriedigte, in solchen Momenten spürte Feldermann die Größe und die Adelsauszeichnung, die er in der männlichen Liebe, anfangs nur vermutete, später jedoch fand, weil sie für ihn etwas Gesegnetes und etwas Religiöses bedeutete, obwohl ihn auch junge, natürliche, unkomplizierte Frauen genauso auf Touren brachten, aber er gönnte sich eben seine kleinen Abstecher. Die Ehefrauen von Feldermann und Rösser waren, nach wie vor, über jeden Verdacht erhaben, anscheinend ignorierten sie die Wahrheit, sie ließen auf ihre Ehemänner nichts kommen, im Gegenteil, sie selbst gingen mit ihren sexuellen Wünschen offener um, als ich es für möglich gehalten hätte. Und so kam es, dass ich Frau Feldermann eines schönen Tages begegnete, zusammen mit „ihm“ auf dem Blankeneser Marktplatz. Obwohl sie mit ihm fast ein halbes Jahr verheiratet war, war sie mir noch nie vorgestellt worden, um so erfreuter war ich jetzt. Sie war eine schlanke, dunkelhaarige Erscheinung, und sie wirkte an der Seite ihres Gatten – majestätisch und anmutig, ihre vollen, rot geschminkten Lippen waren absolut passend zu ihrem ebenmäßigen, schönen, mit einer leichten Melancholie versehenen Gesicht, welches Sehnsucht und Empfänglichkeit ausstrahlte. Ivonne, so lautete ihr Vorname, Yvonne war höchstens Ende zwanzig, sie sah mich schweigend an, ich blickte zurück, und es war in jenem Moment, völlig unverhofft, ganz plötzlich, so ein Funke des Herzens übergesprungen der mich zu tiefst erstaunte, Doktor Feldermann war der Augenflirt, den ich für eine Sekunde mit seiner Frau hatte, nicht aufgefallen, dafür war er zu sehr in Gedanken versunken, er hatte mir zwar zur Begrüßung die Hand gegeben, aber, er hatte mich und Britta nur sehr flüchtig wahrgenommen, Feldermann schien in Eile, also zog er seine (bereits schon) zweite Ehefrau in eine andere Richtung an mir und Britta vorbei, dennoch blieb das Erlebnis mit Ivonne in meinem Kopf erhalten. Ihr muss es ähnlich mit unserer ersten Begegnung vorgekommen sein, denn irgendwann auf einer relativ großen Feierlichkeit, die von der NSDAP ausgerichtet worden war, kamen wir uns im Festzelt näher: wir tanzten, wir waren beschwipst, wir schwebten durch das Menschenmeer von Uniformen, Fahnen und Lobreden auf den Führer, ich drückte sie an mich, sie spürte mein steifes Glied und sie bemerkte inmitten der guten Laune: „Dietmar betrügt mich, nicht wahr?“ Was sollte ich sagen? Wäre es richtig gewesen Ivonne reinen Wein einzuschenken? Also nickte ich nur „ganz langsam“ mit dem Kopf, dann küsste ich sie und fühlte, wie ein paar Tränen an ihrer Wange hinunterliefen, sie musste höllisch enttäuscht gewesen sein, als ihr die Tatsache der Untreue klar wurde, sie war verängstigt und gedemütigt, und in mir war plötzlich der Beschützerinstinkt erwacht, Yvonne tat mit leid, ich war aber auch von ihr fasziniert und wurde durch ihre kühle Erotik die sie versprühte eigenartig angezogen. Britta hatte noch nichts bemerkt zu dem Zeitpunkt, ich ließ sie auch im Glauben, dass alles unverändert wäre in unserer Beziehung. Es dauerte sowieso recht lange, bevor ich mit Yvonne schlief, denn ich suchte eigentlich nur eine Abwechslung – anfangs, doch als ich mehr erwartete, weil ich so verschossen in sie war, ließ sie von mir ab, sie vermied es mit mir zu sprechen, sie nahm die Betrügereien ihres Gatten, aus unerfindlichen Gründen, so hin, ja, sie kehrte sogar zu ihm zurück, warum habe ich nie verstanden, aber ich spielte trotzdem weiter mit, alles im Interesse einer guten Nachbarschaft, denn wer versteht schon die Frauen? Und so verliebte ich mich aufs Neue in Britta, sie passte ja auch viel besser zu mir, vor allem durch ihre Jugend, ihre Frische, ihre Einstellung zur Liebe, nein, ich sollte mich wirklich nicht beklagen, obwohl „ich“ mit der Treue so meine Probleme hatte, besonders, wenn eine schöne Frau wie Ivonne auftauchte. Britta gab mir so viel, - sie hätte damals im Grunde genommen etwas Besseres als mich verdient, aber vielleicht verzieh sie mir auch bloß alle meinen kleinen Fehler und Ausrutscher. Vorwürfe hatte ich von ihr nie gehört, und so heirateten wir im Sommer 1937 (zusätzlich) kirchlich, sowie in aller Öffentlichkeit, obwohl mich viele Menschen vor dieser, nun durch Gottes Segen endgültigen Ehe warnten - des Altersunterschiedes wegen, aber irgendwann war auch das kein Thema mehr, weil niemand auch nur geahnt hätte, dass wir standesamtlich längst ein Paar waren. Britta wurde schon recht bald schwanger nach den offiziellen Flitterwochen, welche wir auf Helgoland verbrachten, - die Zeit dort raste davon, wir hatten den gesamten August bis in den September hinein, auf der Insel mit dem roten Fels verbracht. Und als die Vorboten des Herbstes ihre ersten Stürme aussandten, da fuhren wir zurück in unsere Villa nach Nienstedten, um Hamburg im Wechsel seiner Farben zu erleben. Das Laub in unserem Garten hatte bereits all seine Nährstoffe an die Bäume abgegeben und lag nun in kleinen Haufen, vom Wind durcheinander gewirbelt, wie ein Puzzle, sich der Ordnung der Natur beugend, nur noch so da, es hatte seinen Zweck erfüllt, und wartete nun darauf endgültig zu zerfallen, um in den Kreislauf von Tod und neuem Leben zurückzukehren. „Was für eine wunderbare Sache,“ dachte ich so bei mir, „dass alles, was gegeben wird, zwangsläufig auch wieder genommen wird, damit das Gleichgewicht der Kräfte, welche sich „nicht“ immer nur und ausschließlich rational erklären lassen, wieder voll und ganz hergestellt werden.“ Ich und Britta saßen schweigend am Fenster, ja, und wir dachten wohl auch das Gleiche, jeder empfand etwas Bestimmtes, etwas Wohltuendes und Britta sah mich mit einmal so seltsam an, dann küsste sie mich, ich erwiderte ihr Bedürfnis nach Liebe indem ich ihr beide Hände unter den Rock schob, - sie hingegen ließ von meinem Mund nicht ab; ich war erregt, wir hatten Lust, wir ließen unsere Gefühle