Jacques Varicourt

Die Villa


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Platz einnimmt, so ein extrem schönes Vorspiel, vielleicht, weil es so spontan und auch so stimmungsbezogen aufkam, es war der Ausdruck unserer Sehnsucht aufeinander, die selbst nach schweren Krisen in unserer Ehe, ungebrochen war. Das Fleischliche, das Animalische, das nur mit dem Wort „Gier“ zu beschreibende Gefühl der totalen Verausgabung, hatte von uns Besitz ergriffen, wir waren wie gefangen in unseren versauten Vorstellungen die Sexualität bis zum Äußersten auszuleben, um die höchste Glückseligkeit der Befriedigung erleben zu dürfen. Nie zuvor hatte mein Bedürfnis nach sexueller Leidenschaft solche Formen angenommen. Es war Britta die durch ihre Ausstrahlung, durch ihre Leichtigkeit und durch ihren Wunsch nach sexueller Befriedigung, auf einer gesunden Basis allerdings, in mir etwas erzeugte, das ich zuvor noch nie erlebt hatte. Es war die Sucht, die Sucht auf den weiblichen Körper, der von Dichtern und Poeten stets vergöttert wurde, dieses Gefühl beherrschte meine Gedanken, ich war dabei mir Britta noch gefügiger zu machen, sie hatte eine Rolle im Bett übernommen, die mir durchaus gefiel, und sie wollte es sowieso nicht anders, also herrschte zwischen uns eine sprühende Atmosphäre, die erst durch das Vollziehen des Geschlechtsaktes auf ein erträgliches Mindestmaß herunter gefahren wurde.

      Britta war im vierten Monat, als sie plötzlich, am Dienstag den 19.10.1937, mit heftigsten Unterleibsschmerzen nach Dr. Feldermann verlangte, der, als er kam, sie sofort ins Hafenkrankenhaus einliefern ließ. Doch die dortigen Ärzte mussten uns die traurige Mitteilung machen, dass die Schmerzen die Britta so sehr in panische Angst versetzten zu einer Totgeburt geführt hatten. „Es wäre ein kleines Mädchen gewesen,“ hatte mir der Oberarzt gesagt, „Ihre Frau braucht jetzt mehr Liebe als jemals zuvor, kümmern Sie sich um sie, das ist die beste Medizin, denn, auch der Ärzteschaft sind Grenzen gesetzt,“ fügte er sehr besorgt hinzu. Britta weinte den gesamten Tag, als ihr bewusst geworden war, was geschehen ist. Sie wirkte so traurig und so hilflos, so allein gelassen, ich nahm sie immer wieder in den Arm, und ich versuchte ihr Kraft zu geben, denn Kraft, hatte sie nach all dem seelischen, wie auch dem körperlichen Schmerz, am nötigsten. Und während ich mit der Situation etwas rascher, und ich würde sagen: Einsichtiger umging, hatte Britta lange mit dem Verlust ihres ersten Babys zu kämpfen. Sie konnte es nicht begreifen, dass eine so junge Frau wie sie keinem gesunden Kind das Leben schenken durfte; doch nach weiteren endlosen Liebesnächten, nach einer Stabilisierung ihrer Psyche, und nachdem sie wieder lachen konnte, da wurde sie erneut schwanger und dieses Mal mit Erfolg.

      Am Donnerstag den 14.07.1938, dem allseits bekannten französischen Nationalfeiertag, obwohl das wohl eher unwichtig ist in diesem Zusammenhang, gebar mir „meine“ Britta-Mausi einen gesunden Jungen – Lukas. Lukas machte sich von der ersten Stunde seines Lebens an dadurch beliebt, dass er wenig schrie, seinen Brei nicht gleich wieder ausspuckte, dass er das Stethoskop des für ihn zuständigen Arztes, mit beiden Händen festhielt und auch offenbar nicht mehr loslassen wollte, weil ihn das Abhorchen seiner Brust so gefiel; Lukas war verspielt und dermaßen drollig, dass ihn die Schwestern und die Ärzte im Krankenhaus voll und ganz in ihr Herz geschlossen hatten. Als Doktor Feldermann von diesen Dingen erfuhr, sagte er zu mir und Britta: „Dem Kind sei der Beruf des Arztes, wahrscheinlich durch schicksalhafte Fügung, und durch die hervorragende medizinische Betreuung im Hafenkrankenhaus, quasi in die Wiege gelegt worden. Anders seien solche frühen Aktivitäten nicht zu erklären, und wohl auch nicht zu deuten.“ Auch meine Mutter und meine Schwester, sowie deren Ehemänner, die einen Monat später aus den USA angereist kamen, waren im höchsten Maße erfreut über den Neuzuwachs in unserer Villa. Mutter und Schwester sahen in Lukas den „wahren“ Nachkommen der Dynastie „Handke“, denn die ewigen Streitereien mit Carina, in all den vorhergegangenen Jahren, nicht zu vergessen das so typisch preußisch/deutsche/nationale Auftreten, welches von meinem ältesten Sohn – Jochen, und natürlich auch von meiner ältesten Tochter - Birgit, so „typisch“ eben, verkörpert wurde, aufgrund ihrer selbstgewählten Zugehörigkeit in verschiedenen nationalsozialistischen Organisationen, in denen ihnen Zucht und Ordnung beigebracht wurde, all das zusammen gewürfelt, hatte, besonders bei meiner Mutter, stets, Ablehnung hervorgerufen. Sie hegte keinen böswilligen Argwohn gegen ihre so genannten ersten Enkelkinder, aber, den Lukas hätte sie am liebsten, mit Haut und Haaren, aufgegessen, so süß und so wonnepoppig fand sie ihn. Ja, selbst Melanie konnte nicht von ihm lassen, vielleicht, weil sie Britta, die ihr vom Wesen her ähnlich war, so sehr mochte. Und auch Britta hatte starke Gefühle der Sympathie für meine Mutter und für meine Schwester Melanie entwickelt. Ich vermute, dass die Chemie zwischen ihnen mehr stimmte, als seinerzeit zwischen Mutter/Melanie auf der einen Seite, und Carina auf der anderen Seite. Carina die im Übrigen von sich, von Albert und von meinen beiden anderen Kindern gar nichts mehr hören ließ, wurde bei Tischgesprächen völlig ausgeklammert, man schwieg sie „vorerst“ tot, weil sie es von sich aus, auch nicht für nötig hielt, anzurufen, oder wenigstens einen Brief zu schreiben. Sie kam, mit oder auch ohne Albert, wenn sie mal kam, immer nur in den Sommerferien, und lud dann die beiden Kleinen bei uns ab. Selbst Weihnachten (das Fest der Familie) spielte sich vorwiegend in Berlin ab, obwohl ich alle gerne unter einem Dach gehabt hätte, aber das war wohl nicht mehr möglich, Carina und Albert zogen Berlin in vielerlei Hinsicht vor. Carina war anscheinend glücklich in Berlin, und sie hatte Hamburg, sowie deren Bewohnern, und vor allem mich, der sie immer noch so ein bisschen liebte, fast schon vergessen. Ich dachte, trotz Britta, trotz Lukas, trotz allem, was sonst so um mich herum geschah - häufig an sie. Und obwohl meine Briefe immer seltener beantwortet wurden von ihr, war da etwas, was ich nicht erklären konnte, es war so eine innere Verbindung, die über jede Distanz hinweg aufrecht erhalten blieb. Britta machte das offensichtlich und ganz ehrlich keine Sorgen, ich meine damit: Britta war nicht eifersüchtig, nein, sie hatte nämlich die Jugend, welcher ein großer Teil ihrer Schönheit, sowie ihrer Attraktivität bildete, auf ihrer Seite, es war ihr großer Trumpf und sie wusste, dass mich das an sie binden würde, weil der Zahn der Zeit, sowie das ausschweifende Leben, welches Carina mit Albert in Berlin führte, deutliche Spuren hinterlassen haben müsste, und damit hatte sie wohl auch recht. Sie sprach nicht mit mir darüber, oh nein, aber sie wusste, dass ich auf so etwas wie Optik Wert legte, vielleicht, weil Carina für mich lange Zeit die schönste Frau auf der Welt war, und weil Carina es war, die mich einst für sich erobert hatte.

      Britta brauchte in der Tat keine Angst zu haben, dass irgendwelche alten Feuer sich wieder entzünden könnten, denn dafür war meine Liebe zu ihr wesentlich stärker, von der Substanz her, als die zu Carina, die von sich aus gesehen, das Interesse an mir sehr deutlich verloren hatte. Albert traf natürlich auch eine Mitschuld, aber er stand unter den schützenden Schwingen von Carina; er war, durch die Heirat mit ihr, der Stiefvater meiner Kinder geworden, er lebte aber auch von Carinas Geld, welches eigentlich von mir und meinem verblichenen Vater stammte, aber man war zufrieden mit sich und mit der Tatsache, dass man mich irgendwie ausgetrickst hatte, um sorglos zu leben. Albert und Carina hatten ihr (mein) Geld unter anderem, in einer altehrwürdigen Berliner Limonadenfabrik angelegt, und waren somit in die Lage versetzt worden, keinen Finger mehr krumm machen zu müssen, um für den täglichen Lebensunterhalt „selbst“ zu arbeiten. Ich empfand das als „erstaunlich“ und „lobenswert“, wenn ich mal, von gewissen Nachbarn, nur mal so als Beispiel, darauf angesprochen wurde – „was Carina, Albert und die beiden Kleinen denn so machen würden in Berlin?“ Insbesondere Dr. Feldermann heuchelte mitleidiges Interesse vor, obwohl ich das von ihm am allerwenigsten erwartet hätte, Rösser fragte zwar auch ab und zu, aber er war zu sehr mit deutsch nationalen Fragen beschäftigt, als dass er sich mit Carina und Albert ernsthaft auseinander setzte. Beide (Carina und Albert) hatten es geschafft, nicht zuletzt mit Hilfe ihrer Parteizugehörigkeit, sich in die oberen Berliner Kreise einzunisten, denn ihren Hamburger Dialekt konnten sie nicht so einfach, von heut` auf morgen ablegen, er war zu eingeprägt, und er wirkte stellenweise, wenn man sich mit der Berliner Oberschicht traf, doch sehr steif und vornehm zurückhaltend, was für „einen“ oder „eine“ Berlinerin, durchaus, eine Herausforderung bedeutete. Der Berliner, welcher sich häufig auf seine Berliner Schnauze beruft, war und ist, verglichen mit einem Hanseaten, doch eher etwas sehr „gewöhnlich“, unter anderem auch in seinem Ess- und in seinem Trinkverhalten.

      Meine Schwester Melanie bemerkte frei, und wie immer, aus dem Stegreif heraus: „Carina und Albert haben eine gute Wahl getroffen sich ausgerechnet in Berlin niederzulassen, sie passen auch besser, und das gilt für beide, natürlich mit Ausnahme der beiden Kinder, sie passen schon in eine Umgebung in der Anstand und Tugendhaftigkeit