Günter Billy Hollenbach

Berkamp - Ein langer schwarzer Schatten


Скачать книгу

weg. Einverstanden?“

      Ganz zufällig spiele ich dabei am linken Bund meiner Lederjacke herum. Das öffnet die Vorderseite weit genug, um ein Stück der schwarzen Pistole in dem dunkelgrauen Halfter unter meinem linken Arm zu zeigen. Der Anblick macht den meisten Leute unaufdringlich klar, dass mit mir nicht zu spaßen ist.

      „Ja, selbstverständlich, einverstanden, Herr Berkamp. Bitte, ich habe nur eine Bedingung; ich erwarte strikte Vertraulichkeit ihrerseits. Das müssen Sie mir versprechen.“

      „Was halten Sie davon? Ich betrachte Sie als Coaching-Kundin und versichere Sie meiner Verschwiegenheit. Keine Angst, ich schicke Ihnen keine Honorarrechnung. Erste Frage: Wo waren Sie während der vergangenen drei bis vier Stunden?“

      Sie reißt erschrocken die Augen auf.

      „Was soll das? Denken Sie, dass ich ...?“

      „Eine einfache Frage mit der Bitte um wahrheitsgemäße Antwort.“

      Um von Anfang an klarzustellen, wer hier das Sagen hat.

      Sie schüttelt kurz den Kopf, atmet entrüstet aus.

      „Sie sind nicht gerade rücksichtsvoll,“ befindet sie. „Ich war in Frankfurt Höchst, wenn Sie das beruhigt.“

      Ich schaue sie nur ungerührt an.

      „Bei der Firma Habicht, mein BMW-Händler,“ schiebt sie nach. „Genaugenommen war ich in einem BMW X-1 auf der Autobahn in Richtung Wiesbaden. Ich suche einen neuen Wagen, und wir haben eine ausgedehnte Probefahrt gemacht, der Verkäufer und ich. Bis zum Rastplatz Bad Camberg.“

      Frau Aschauers Mimik und Tonfall wirken unerfreut, aber stimmig. Ich halte ihre Antwort für glaubwürdig. Nach einem der ersten Lehrsätze in jedem Kriminalistenhandbuch ist die Person, die ein Gewaltopfer meldet – oder findet –, zum engeren Kreis der Tatverdächtigen zu rechnen. Häufiger als man ahnt, verständigen planvoll handelnde Täter selbst die Polizei in der Hoffnung, betroffen und unverdächtig zu erscheinen.

      Wir stehen, ein paar Schritte ins Grundstück hinein, neben den Birken. Ich mache keine Anstalten, ins Haus zu gehen.

      „Wohnen Sie in diesem Haus?“

      „Nein, gegenüber; ich wohne in dem Haus da. Sie müssen wissen, ... das alles dürfte für Sie etwas ungewöhnlich erscheinen, aber ...“

      „Sie besitzen einen Schlüssel zu dem Haus hier?“

      „Ja, natürlich. Verstehen Sie, ich muss Ihnen das erklären ...“

      Ich unterbreche sie erneut. Was auch immer mich gleich erwartet, hat Frau Aschauer heftig erschüttert. Das klang in ihrem Anruf vorhin glaubwürdig durch. Doch seitdem ist genug Zeit vergangen, um sich Erklärungen zurechtzulegen. Aussagen, die sie in ein gutes Licht rücken. Oder von ihr ablenken könnten. Falls die Frau in das Geschehen verwickelt ist. Oder falls die Ermittlungen Dinge zutage fördern, die sie in ein schlechtes Licht rücken, auch wenn sie selbst nichts mit dem erschütternden Ereignis zu tun hat.

      Ich will mich eigenen ersten Eindrücken überlassen, unvorbereitete Antworten hören. Zudem soll mein Drittes Auge Gelegenheit haben, sich auf die Person einzuschwingen und krasse Lügen zu spüren. In dem Fall empfinde ich ein kreisendes Kribbeln etwas oberhalb der Mitte meiner Augenbrauen. Ein weitgehend zuverlässiges Signal, dass mir gelegentlich allerdings erst einige Sekunden später bewusst wird, wenn ich in Gedanken woanders bin.

      „Wer sonst noch besitzt einen Schlüssel zu dem Haus?“

      „Frau Kermaz. Das ist unsere Pflegehilfe, auf Deutsch Putzfrau. Sie kommt aber nur montags und donnerstags Vormittag für zwei, drei Stunden. Seit Jahren und ganz sicher zuverlässig. Wollen wir nicht hinein ...?“

      „Gleich. Wie viele Personen leben in dem Haus?“

      Frau Aschauer schüttelt sich wie einem Schreck getroffen, schluckt gegen aufkommende Tränen an, holt ruckartig Luft.

      „Leben? Eine Person. Petra Wernecke, sechsunddreißig Jahre alt.“

      „Dann gehen wir jetzt rein.“

      Ohne Schlüssel ist die Tür nicht zu öffnen. Als Frau Aschauer einen von mehreren Schlüsseln an ihrem Schlüsselbund in das Türschloss unter einem breiten Knauf steckt, zittern ihre Hände.

      „Wir müssen die Treppe runter, ... in den Keller, ... das Zimmer unten gleich gegenüber.“

      „Okay, Frau Aschauer. Bitte bleiben Sie hinter mir und sagen nichts zu dem, was geschehen ist.“

      *

      Im Haus ist es kühl, verglichen mit der warmen Außentemperatur. In dem breiten Eingangsraum riecht es ... sauber, allenfalls eine Spur nach Steinfußboden und Reinigungsmittel aus dem breiten flauschigen, dunkelrot und dunkelblau geblümten Teppich. Durch eine breite Windfangtür zwischen zwei seitlichen Feldern, ebenfalls mit eingelegten, kleineren Glasscheiben, betreten wir den eigentlichen Flur; Marmorfußboden, weitgehend mit Teppichen bedeckt. Links hinter einer Zimmertür führt eine breite, offene Marmortreppe nach unten, ein Stück weiter nach oben. Durch ein schmales, senkrechtes Band aus Glassteinen fällt gedämpftes Licht auf die Stufen.

      „Da, die Treppe runter.“

      Im Vorraum am Fuß der Kellertreppe zögert Frau Aschauer.

      „Warten Sie, ich schalte das Licht ein. Was jetzt kommt ... Sie sollten sich ... das wird Ihnen ungewöhnlich erscheinen, aber ...,“ erklärt sie mit belegter Stimme.

      Ich streife die Latex-Handschuhe über.

      „Schon gut. Also, machen Sie Licht.“

      Ich lasse ihr den Vortritt, atme einmal kräftig durch. Okay, nur wahrnehmen, nicht sprechen, was auch kommt. Und nichts anfassen.

      Frau Aschauer öffnet die Tür gegenüber der Treppe einen Spalt breit, greift halb zur Seite gedreht und mit dem Blick auf mich gerichtet nach einem Lichtschalter rechts hinter der Tür und tritt sogleich zurück in den Vorraum.

      „Ich mag sie nicht noch einmal so sehen,“ bekennt sie mit feuchten Augen und zitterndem Kinn und macht einen Schritt zur Seite.

      Der Schauer trifft mich, bevor ich etwas sehe. Deutlich spürbar. Noch ehe ich die Tür langsam halb geöffnet habe. Mir ist, als höre ich einen stummen Schrei. Eindringlich flehend. Zugleich berührt etwas Unsichtbares mein Gesicht und meine Brust. Wie ein schmaler Windhauch, ein fühlbarer Druck in der Luft, der mich zu umschließen scheint und an hellgrauen, durchscheinenden Nebel erinnert. Für einen Augenblick lässt mich die Berührungsempfindung an meinen Sinnen zweifeln. Ein Luftzug der stillstehenden Tür kann es nicht gewesen sein. Zugleich fährt mir ein kaltes Zittern in die Knochen.

      Ich weiche unbewusst einen halben Schritt zurück, schließe kurz die Augen, atme tief durch, spanne die Schultern an. Mit dem Jackenärmel drücke ich die Tür vorsichtig ganz auf.

      Ungewöhnlich, hat die Aschauer gewarnt?

      Mir fallen sicher treffendere Wörter ein, wenn ich den Sinn hätte, danach zu suchen. Ich fürchte, ich blinzele mehrmals, um mir des Anblicks bewusst zu werden. Dann fällt es mir schwer, den Blick von ihr zu nehmen.

      Die Frau liegt auf einem etwa Knie hohen, fast quadratischen, mit schwarzem Samt oder Wildleder bezogenen Bett. Ihr schlanker Oberkörper ist verzogenen. Ihre weit ausgespreizten Arme und Beine sind mit festen, schwarzen Lederschlaufen an breiten, dunkelgrauen Nylongurten nahe den Bettkanten gefesselt. Ihre Brüste quellen ungleich aus einem glänzenden, schwarzen Halbschalen-BH. Ansonsten ist die Frau völlig nackt, ihre Schamgegend und das weite Dreieck ihrer Oberschenkel wie dargeboten für jeden, der den Raum betritt.

      In ihrem verzerrten Mund steckt eine tischtennisballgroße, schwarze Gummikugel an einem schmalen Ledergurt, der um den Kopf läuft. Ein Knebel, wie ich ihn im Schaufenster eines Erotik-Ladens