wegen, traurig. Aufgang und Untergang der Sonne - Symbol des Werdens und Vergehens alles Menschlichen! Nie empfand ich dies so klar und eindringlich wie an diesem Morgen. Die Sonne, die heute für uns aufging, war gestern Abend für achtzehn unserer Mitreisenden untergegangen - auf ewig untergegangen für achtzehn Menschen, die wir kannten!
Mit ihnen war die Dhau versunken, und sie trieben nun dahin zwischen Klippen und Seetang, menschliches Treibgut im großen Ozean des Todes! Nur wir vier hatten überlebt. Doch eines Tages, wenn die Sonne aufgeht, werden wir unter den Verlorenen sein, und andere werden diese herrlichen Strahlen betrachten und inmitten all der Schönheit in Traurigkeit versinken und angesichts des glanzvoll erwachenden Lebens des Todes gedenken.
Denn dies ist Menschenlos.
5. Der Kopf des Äthiopiers
Endlich hatten die Herolde und Vorläufer der Sonnenkönigin ihr Werk getan und die Schatten in die Flucht gejagt. Nun erhob sie sich strahlend aus ihrem Meeresbett und überflutete die Erde mit Licht und Wärme. Ich saß im Boot, lauschte dem leisen Plätschern des Wassers und sah zu, wie die Sonne aus dem Meer stieg, als sich unversehens die Felskuppe am Ende des von uns unter so großer Gefahr umschifften Vorgebirges zwischen mich und das majestätische Bild schob und es meinem Blick entzog. Ich starrte, tief in Gedanken versunken, weiter vor mich hin, bis plötzlich mein Blick auf die sich scharf vom hellen Himmel abhebenden Umrisse der Felskuppe fiel und ich zusammenzuckte, denn ich bemerkte, dass die Spitze des Felsens, der etwa achtzig Fuß hoch war und an seiner Basis hundertfünfzig Fuß Umfang haben mochte, wie ein Negerkopf geformt war, dessen Gesicht einen teuflischen, schreckenerregenden Ausdruck hatte. Es gab keinen Zweifel; klar hoben sich die wulstigen Lippen, die dicken Backen und die platte Nase von dem glühenden Hintergrund ab. Und da war auch der runde Schädel, dem wohl Wind und Wetter in Tausenden von Jahren seine Gestalt verliehen hatten, und um die Ähnlichkeit zu vollenden, wucherte darauf ein Gestrüpp von Unkraut oder Flechten, das dem Kraushaar eines riesigen Negers glich. Es war ein überaus seltsames Bild; so seltsam, dass ich heute annehme, es handle sich nicht um eine Laune der Natur, sondern um ein gigantisches Denkmal wie die ägyptische Sphinx, das ein vergessenes Volk aus dem Felsen schlug, vielleicht zur Abschreckung von Feinden, die sich von der See her näherten. Leider gelang es uns nicht festzustellen, ob dies der Fall war, denn der Felsen war sowohl von der Land- wie von der Wasserseite her sehr schwer zugänglich, und wir hatten auch Wichtigeres zu tun. Ich persönlich bin angesichts dessen, was wir später sahen, der Meinung, dass er von Menschenhand geformt wurde, doch wie dem auch sein mag - er steht dort und starrt düster von Jahrhundert zu Jahrhundert hinaus aufs Meer. Er stand dort schon vor zweitausend und mehr Jahren, als Amenartas, die ägyptische Prinzessin und Gemahlin von Leos fernem Vorfahren Kallikrates, sein teuflisches Gesicht erblickte, und ich zweifle nicht daran, dass er dort noch stehen wird, wenn so viele Jahrhunderte, wie zwischen ihrem und unserem Tag liegen, dem Jahr unseres Todes hinzugezählt werden.
»Was sagst du dazu, Job?«, fragte ich unseren Diener, der, sich sonnend und düster vor sich hinstarrend, auf dem Bootsrand saß, und deutete auf den unheimlichen Kopf.
»Oh, mein Gott, Sir«, erwiderte Job, der ihn jetzt erst erblickte, »der Teufel selbst muss dafür Modell gesessen haben.«
Ich lachte und weckte damit Leo auf.
»Nanu«, sagte er, »was ist denn mit mir los? Ich bin ja ganz steif - wo ist die Dhau? Gebt mir bitte einen Cognac.«
»Sei froh, dass du nicht noch steifer bist, mein Junge«, antwortete ich. »Die Dhau ist untergegangen, und alle anderen, bis auf uns vier, sind ertrunken. Und du wurdest nur durch ein Wunder gerettet.« Und während Job in einem Spind nach dem Cognac suchte, berichtete ich ihm von unserem nächtlichen Abenteuer.
»Großer Gott!«, sagte er leise. »Kaum zu glauben, dass gerade wir dazu auserkoren wurden, zu überleben!«
Job brachte die Cognacflasche, und wir taten alle einen tiefen Zug daraus. Auch die Sonne gewann jetzt an Kraft und durchwärmte unsere starren Glieder, wofür wir sehr dankbar waren, denn immerhin waren wir nun seit über fünf Stunden völlig durchnässt.
»Sieh da«, sagte Leo, als er tief aufatmend die Flasche vom Mund nahm, »da ist ja dieser Kopf, von dem die Inschrift auf der Scherbe spricht, der wie der Kopf eines Äthiopiers geformte Felsen.«
»Ja«, sagte ich, »da ist er.«
»Ausgezeichnet«, erwiderte er. »Dann ist auch alles andere wahr.«
»Ich bin nicht so sicher, dass man dies daraus schließen kann«, sagte ich. »Dass dieser Kopf hier ist, wussten wir ja; denn dein Vater hat ihn gesehen. Höchstwahrscheinlich ist es aber nicht derselbe Kopf, von dem auf der Scherbe die Rede ist; und selbst wenn er es wäre, so würde das nichts beweisen.«
Leo lächelte überlegen. »Du bist ein ungläubiger Thomas, Onkel Horace«, sagte er. »Nun, wir werden ja sehen.«
»Das meine ich auch«, antwortete ich. »Doch jetzt richte bitte deine Aufmerksamkeit auf jene Sandbank, über die wir in die Flussmündung treiben. Nimm dein Ruder, Job. Wir wollen hineinrudern und uns nach einem Platz zum Landen Umsehen.«
Die Flussmündung, in der wir uns jetzt befanden, schien nicht sehr breit zu sein, doch infolge der langen Nebelschwaden, die immer noch über ihren Ufern hingen, konnten wir ihre genauen Ausmaße nicht erkennen. Wie in den meisten ostafrikanischen Flussmündungen befand sich auch in dieser eine ausgedehnte Sandbank, die zweifellos bei Landwind oder Ebbe selbst für Boote mit sehr niedrigem Tiefgang unpassierbar war. Uns behinderte sie jedoch kaum, und wir gelangten leicht über sie hinweg. In etwa zwanzig Minuten hatten wir es geschafft und wurden von einem starken, wenn auch etwas veränderlichen Wind weiter stromauf getrieben. Mittlerweile hatte die heiß herniederbrennende Sonne den Nebel verscheucht, und wir sahen, dass die Flussmündung an dieser Stelle etwa eine halbe Meile breit war. Die beiden Ufer waren sumpfig und wimmelten von Krokodilen, die regungslos wie Baumstämme im Schlamm lagen. Ungefähr eine Meile vor uns entdeckten wir jedoch einen Streifen festen Landes, auf den wir zusteuerten. Nach einer weiteren Viertelstunde erreichten wir ihn und banden das Boot an einen schönen Baum, der breite glänzende Blätter und magnolienartige Blüten hatte, nur dass sie nicht rötlich waren. Wir stiegen an Land, zogen uns aus, wuschen uns und breiteten unsere Kleider sowie den Inhalt des Bootes in der Sonne zum Trocknen aus. Sodann ließen wir uns im Schatten einiger Bäume nieder, bereiteten uns aus den Büchsen mit eingemachter Zunge, von denen wir einen ansehnlichen Vorrat besaßen, ein kräftiges Frühstück und beglückwünschten uns, dass wir am Tag zuvor, ehe der Orkan die Dhau zerstörte, unsere Sachen und den Proviant in das Walboot umgeladen hatten. Als wir mit dem Essen fertig waren, schlüpften wir in unsere indessen getrockneten Kleider und fühlten uns wie neugeboren. Sieht man von unserer Müdigkeit und einigen Schrammen ab, so hatten wir das schreckliche Abenteuer, das unsere Gefährten das Leben kostete, heil überstanden. Leo war zwar halb ertrunken, doch für einen kräftigen jungen Mann von fünfundzwanzig Jahren ist das keine große Sache.
Nach dem Frühstück hielten wir Umschau. Wir befanden uns auf einem zweihundert Meter breiten und fünfhundert Meter langen Streifen trockenen Landes, der auf der einen Seite vom Fluss und auf der anderen, so weit das Auge reichte, von endlosen öden Sümpfen begrenzt war. Dieser Landstreifen war etwa fünfundzwanzig Fuß höher als der Fluss und die ihn umgebenden Sümpfe, und es sah fast so aus, als sei er von Menschenhand angelegt.
»Dies war einst ein Landeplatz für Schiffe«, sagte Leo mit Bestimmtheit.
»Unsinn«, erwiderte ich. »Wer wäre denn so töricht, inmitten dieser schrecklichen Sümpfe in einem - falls überhaupt - von Wilden bewohnten Land einen Landeplatz zu bauen?«
»Vielleicht waren hier nicht immer Sümpfe, und vielleicht haben hier nicht immer Wilde gelebt«, sagte er trocken und blickte das steile Ufer hinab. »Sieh dir das an«, fuhr er fort und deutete auf eine Stelle, wo der Orkan der vergangenen Nacht einen Magnolienbaum entwurzelt und ein großes Stück Erde aus dem Ufer herausgerissen hatte. »Ist das nicht Mauerwerk? Wenn nicht, so sieht es doch ganz ähnlich aus.«
»Unsinn«, sagte ich wiederum, kletterte jedoch mit ihm zu der Stelle hinunter, und wir traten zwischen die herausgerissenen