Ana Marna

Wächterin


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Reisender“, lächelte er. „Ich bereise die Welt und sammle.“

      „Und was genau sammeln Sie?“

      „Hm, das kommt darauf an. Besonderes. Dinge, die einzigartig sind, wertvolles Wissen, interessante Bekanntschaften - so wie Sie.“

      „Ich bin nicht interessant, wertvoll oder einzigartig“, wehrte Valea unwillig ab.

      „Sind Sie sich da sicher?“

      Er beugte sich vor und ergriff so schnell ihre Hand, dass sie sie nicht rechtzeitig wegziehen konnte. Mit sanfter Gewalt hielt er sie fest.

      „Ich glaube, wenn ich bei Ihren Arbeitgebern nachfragen würde, bekäme ich zumindest die Aussage, dass Sie sehr wertvoll sind. Einzigartig ist jeder Mensch, manche aber doch etwas mehr als andere. Und dass ich Sie für äußerst interessant halte, habe ich schon zum Ausdruck gebracht.“

      Er führte ihren Handrücken an seinen Mund und hauchte einen sanften Kuss darauf.

      Valea entzog ihm hastig die Hand. Sein Verhalten irritierte sie.

      Wieder lehnte er sich zurück und gab ihr Raum.

      „Dr. Noack.“ Seine Stimme hatte einen sanften Klang angenommen. „Ich will Sie nicht bedrängen. Wenn Sie darauf bestehen, werde ich mich zurückziehen. Allerdings möchte ich auf die Tatsache hinweisen, dass Ihnen dann mit Sicherheit anregende Gespräche entgehen. Ich bin nicht darauf aus, Sie zu verführen. - Noch nicht. Das ist bei weitem nicht abwertend gemeint. Sie sind äußerst attraktiv. Aber im Moment bin ich an Ihnen nur als Gesprächspartner interessiert.“

      Valea ließ seine Worte in sich wirken. Sie waren freundlich und ohne Druck. Vor allem aber klangen sie ehrlich. Trotzdem, sie musste darüber nachdenken. Roman Rothenstein schien ein anspruchsvoller Diskutant zu sein, und es war sehr wahrscheinlich, dass auch persönliche Dinge zum Gesprächsthema werden würden. Sie wusste nicht, ob sie dafür bereit war.

      „Geben Sie mir Zeit“, bat sie. „Ich muss darüber nachdenken.“

      Er nickte zustimmend. „Gut, dann gestatten Sie mir, dass ich Sie morgen Abend nach dem Essen wieder aufsuche?“

      „Gerne.“

      Er erhob sich und deutete eine Verbeugung an.

      „Dann freue ich mich auf morgen Abend. Schlafen Sie gut, Dr. Noack.“

      Valea sah ihm nach und registrierte seine flüssigen Bewegungen. Unwillkürlich kam ihr der Gang eines Raubtiers in den Sinn. Kraftvoll, geschmeidig, immer in gespannter Erwartung auf eine Gelegenheit.

      Sie schüttelte die Assoziation von sich. Roman Rothenstein war ganz gewiss kein Raubtier. Aber mit Sicherheit war er ein Mann, der genau wusste, was er wollte und wie er es erreichen konnte. Und sie passte offensichtlich in sein Beuteschema, - warum auch immer.

      Sie konnte sich ein leises Lächeln nicht verkneifen. Vielleicht war eine nähere Bekanntschaft doch nicht so uninteressant. Zumindest würde er sie von ihren Grübeleien ablenken. Doch sie musste darüber schlafen. Sie hatte schließlich Zeit dafür, und die wollte sie auch nutzen.

      Am nächsten Abend saß Valea an ihrem Tisch und ließ während des Essens den Blick schweifen. Roman Rothenstein war jedoch nirgends zu sehen. Beinahe spürte sie Enttäuschung in sich hochsteigen. Den ganzen Tag waren ihre Gedanken um diesen geheimnisvollen Mann gekreist. Erst die letzten Mugai Ryū Übungen hatten sie wieder zur Ruhe kommen lassen. Als sie ihr Katana zurücklegte, wusste sie, dass sie Roman Rothenstein näher kennen lernen wollte. Vielleicht konnte sie seine Gesprächsbereitschaft sogar nutzen, um Ordnung in ihre eigenen Gedankengänge zu bringen.

      Sie griff zu ihrem Weinglas und leerte es. Als sie es senkte, stand er vor ihr. Wieder hatte sie nicht mitbekommen, wo er herkam, und wieder war sie irritiert.

      „Haben Sie sich entschieden, Dr. Noack?“, fragte er. Sie nickte und erwiderte sein Lächeln.

      „Das habe ich, Herr Rothenstein. Ich muss zugeben, dass Sie mich neugierig gemacht haben.“

      „Das höre ich gerne.“ Er hielt ihr die Hand hin. „Darf ich Sie an einen angenehmeren Platz führen, an dem wir ungestört sind?“

      Valea ergriff die Hand und erhob sich.

      „Gerne.“

      Er brachte sie in den Kellerbereich, wo eine gemütliche Bar war, die von leiser Musik beschallt wurde. Sie zogen sich in eine Nische zurück, die etwas abgelegen zu den anderen Tischen lag.

      Roman Rothenstein bestellte eine Flasche Wein und wandte dann Valea seine gesamte Aufmerksamkeit zu.

      Valea war angenehm überrascht. Ihre neue Bekanntschaft entpuppte sich nicht nur als neugierig, sondern auch als erstaunlich belesen und wortgewandt. Sie genoss es, endlich einmal einen Gesprächspartner zu haben, der sie mit seinen Fragen und anspruchsvollen Gedankengängen herausforderte. Natürlich drehte es sich anfangs um sie selbst. Innerhalb kürzester Zeit wusste Roman Rothenstein mehr über ihren beruflichen Werdegang und ihre Motivation zu diesem Beruf als irgendein anderer Mensch. Doch als er weiter in ihre Vergangenheit eindringen wollte, blockte sie dezent ab. Noch kannte sie diesen Mann nicht gut genug, um mit ihm über private Dinge zu reden. Er akzeptierte es und wandte sich wieder anderen Themen zu. Schließlich griff er das Thema Forensik auf und wiederholte seine Frage vom Vortag.

      „Was haben Sie im Busch erlebt, dass Sie sich jetzt für Forensik interessieren?“

      Valea antwortete nicht sofort. Doch ihr Zögern dauerte nicht lange. Es gab keinen Grund, diese beiden verstörenden Erlebnisse zu verschweigen. Interessiert lauschte Rothenstein ihrer Erzählung.

      „Wenn ich Sie richtig verstanden habe, zweifeln Sie, dass die beiden bedauernswerten Menschen von einer Großkatze getötet wurden.“

      „Ich bin mir nicht ganz sicher“, bestätigte Valea. „Diese Verletzungen waren so - gezielt - so systematisch. Natürlich gibt es bestimmte Vorgehensweisen bei Raubtieren, doch so etwas ... Es hatte etwas Bewusstes an sich. Solch eine Bewusstheit ist menschlich, nicht tierisch. Und zumindest bei dem Mann wurde ja auch behauptet, dass ein Mensch gesehen wurde. Dass er dann angeblich zum Leoparden wurde - na ja.“

      „Anioto ist ein Begriff aus der afrikanischen Mythologie“, meinte Rothenstein nachdenklich. „Er beschreibt die Leopardenmenschen.“

      Valea nickte. „Ja, ich habe darüber nachgelesen. Allerdings bezeichnet es auch eine Gruppe von Menschen, die sich für Leoparden halten. So eine Art Geheimbund, der die Leoparden verehrt und seine Opfer mit echten Leopardenkrallen tötet. Ganz schön abstrus. Aber möglicherweise gehen diese Tötungen ja darauf zurück.“

      Rothenstein betrachtete sie aufmerksam. „Was haben Sie noch darüber herausgefunden?“

      „Über diese Leopardenmenschen? Nicht allzu viel. Dafür habe ich mehrere Todesfälle gefunden, die auch in diese Richtung deuten. Zumindest eine Leiche wurde mitten in Kinshasa entdeckt. Ihr Tod konnte nie ganz geklärt werden. Die Bissspuren deuten auf eine sehr große Raubkatze hin, doch wie die hierhergekommen sein soll, konnte nie geklärt werden. Die Vorgehensweise war übrigens genau die gleiche wie die Fälle im Busch. Ich habe mich mit dem damaligen Gerichtsmediziner unterhalten und er teilt meine Überlegungen und Zweifel. Außerdem hat er noch an die dreißig ähnlich gelagerte Fälle ausgegraben, die bis zu siebzig Jahre zurückreichen. Das ist schon reichlich seltsam.“

      „Und deswegen beschäftigen Sie sich jetzt mit der Forensik.“ Das war keine Frage, sondern eine Feststellung. „Was haben Ihnen die ganzen Statistiken verraten?“

      „Hm.“ Valea überlegte. „Dass es viel zu viele ungelöste Fälle gibt. Gute Forensiker gibt es viele, aber häufig scheitert es an fehlenden Spezialisten. Der internationale Austausch ist nicht schlecht, doch er könnte noch deutlich besser sein. Hinderlich sind häufig diese politisch bedingten Zuständigkeitsstreitereien. Das ist - traurig.“

      „Es ist etwas Persönliches“, vermutete Rothenstein vorsichtig. Wieder antwortete sie nicht sofort.

      „Das