Julia Himmel

Stadt und Gespenster


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      Julia Himmel

      Stadt und Gespenster

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      Inhaltsverzeichnis

       Titel

       Familien im Park

       Am Morgen, tiefschwarze Nacht

       Die Stadt in der Metro

       Stimmen der Wissenschaft

       Laborgespenster

       Aufklärung

       Keine Arbeit ohne Leiden

       Die Besten sollen Eltern werden

       Stimmen der Bank

       Fallende Kurse

       Stimmen im Netz

       Des Kaisers neuen Kleider

       Spritzenfieber

       Barbetrachtungen

       Richtig lesen

       Freiheit, Gleichheit, Sicherheit

       Kalter Whiskey

       Vorladung zu den Behörden

       Nach unten lieben

       Das Leben danach

       Der Sprung

       Liebesrettung

       Aufbruch

       Zuhören

       Hinter den Stadtgrenzen

       Kein Ort für Frauen

       Aufstehen nach dem Sturz

       Unterwegs in der Vorstadt

       Wiedersehen in der Fremde

       Zuhause verloren

       Wieder da

       Impressum neobooks

      Familien im Park

      „Alle glücklichen Eltern gleichen einander“, dachte Julia, als sie im Schlussspurt die Treppen im Park hinauf lief. „Alle ungewollt Kinderlosen…“, sie überlegte, wie der Satz weitergehen musste.

      Wie ging es weiter in dieser Geschichte?

      „…gleichen einander noch viel mehr“, schoss es Julia durch den Kopf.

      Sie warf sich auf den Rasen. Eintauchen im Frühlingsgrün, das wäre es. Versinken. Allmählich, ganz allmählich verlangsamte sich ihr Atem.

      Die Blumen hatten ihre Blüten ausgebreitet, als wollten sie möglichst viel Wärme und Licht aufnehmen, bevor die Sonne wieder so plötzlich verschwand wie sie gekommen war. Julia tat es ihnen gleich, streckte Arme und Beine von sich, ganz weit.

      Um sie herum Familien im Park.

      Familien und Kinder, überall.

      Aus den eleganten Wohnungen mit Balkon und Blick auf den Park waren sie gekommen, aus Mietshäusern für die Mittelklasse und aus verfallenen Plattenbauten nur drei Straßen weiter. Schwarze Matronen, die doch noch ganz jung waren, weiße Pärchen, die nur jung taten, Frauen mit Schleier, Männer mit Kippa, Ungläubige und Agnostiker, alle waren sie stolze Eltern und Großeltern im Park. Alle. Großmütter von arabischen Lockenköpfen, Großväter von Chinesen mit glänzenden Knopfaugen, Väter von schwarzen Schönheiten mit staunendem Blick durch dichte, gebogene Wimpern, Mütter von blonden Engeln, deren Vorfahren seit vielen Generationen hier ansässig waren. Vielleicht genau hier, in diesem Viertel, an diesem Park.

      Sie fuhren Bobby-Car, sie spielten Fangen, sie ließen sich widerwillig hinter ihren Eltern herziehen, sie saßen mit ihrer Mutter am Wegesrand, bliesen Luftballons auf. Sie vollführten auf kurzen Beinen ihre ersten wackligen Schritte, warfen sich dann in die Arme eines gerührten Vaters, sie ließen sich in der Kinderkarre über die hügligen Wege des Parks fahren wie Prinzen in einer Sänfte. Hier und da schob ein nicht mehr ganz junges Paar einen Zwillingskinderwagen. Auch im Park hinterließ die Fortpflanzungsmedizin ihre Spuren.

      Ein Enddreißiger mit dunklem, verwegen gewelltem Haar schob einen Säugling in einem geländegängigen Dreiradkinderwagen an Julia vorbei. Er redete auf einen Dreijährigen ein, der sich trotzig hatte zurück fallen lassen, Julia sah er nicht. Julia versunken im grünen Gras. Der Mann war einmal ihr Liebhaber gewesen, in einer schönen Nacht vor vielen Jahren. Jetzt war er Vater, im Park.

      Julia entschloss sich zu einer weiteren Runde um den See. Dort wurde Hochzeit gefeiert. Chinesinnen mit weiten Reifröcken, Rüschen und Puffärmeln, deren Bräutigame gerne weiße Anzüge und Lackschuhe mit rosa Hemden kombinierten. Schwarze Bräute mit prächtig wogendem Hinterteil, deren weibliche Gäste entweder in die bunten, bodenlangen Gewänder Westafrikas oder in tief ausgeschnittene Cocktailmode gehüllt waren. Eine Braut war verschleiert, Trauer im Blick. Nur Männer lachten und tanzten an ihrem Hochzeitstag.

      Unter den Kirschblüten stand eine Braut im cremefarbenen Kleid, eine passende Blume in der Hochsteckfrisur. Stolz hatte sie ihren stattlichen Bräutigam untergehakt. Beide grau meliert, beide strahlend und schön.

      Fotografen sollten den glücklichen Moment festhalten für alle Ewigkeit, im Hintergrund der See mit seinen Grotten und Blumenbeeten. Sie auf dem Rasen