(Untersucht ihn.) Ein Kugelschuss und Messerstiche. Wir müssen die Wunden waschen. Ich stütze dich. Komm, lehn dich an.
SAKRISTANIN: Ja, kann er das überleben? Muss er nicht ins Spital?
ARZT: Du weißt, was er gesagt hat: „Die Messe ist die beste Operation.“
SABINERIN: Setzt ihn auf den Stuhl.
SAKRISTANIN: (Bringt einen Stuhl herbei. Zur SABINERIN am Boden.) Du bleibst, wo du bist.
SABINERIN: Ja, ich schaue ihn an. (Sie singt den Kehrvers aus dem Hohelied auf Lateinisch: „Ein Lustgarten sprosst aus dir, Granatbäume mit köstlichen Früchten, Myrrhe und Aloe, allerbester Balsam.“)
ARZT: Wir müssen ihn entblössen. Hilf mir.
SAKRISTANIN: Schau. Sein ganzer Körper ist mit Bildern ausgemalt.
ARZT: Nimm etwas aus dem Koffer, damit ich die Wunden verbinden kann.
SAKRISTANIN: Da. Hier hab ich Balsam für deine Haut.
ARZT: Was ist es?
(Pause.)
SAKRISTANIN: Aloe.
(Gerade singt die SABINERIN das Wort im Kehrvers.)
ARZT: Komm, ich halte dich. (Pause.)
SAKRISTANIN: (Abschliessend.) So.
ARZT: Du musst stehen und die Messe lesen. Kannst du das tun? Komm. (Er hilft ihm auf die Beine.)
SABINERIN: (Hört auf zu singen.) Du taumelst. Aber du stehst... Ganz frei... Hier, ich leg dir das weinrote Band von deinem Kleid zum Schutz um die Hüfte. (Macht es und weicht zurück.) Seht. Seht an unsern wunderbaren Priester.
SAKRISTANIN: Stark ist er und schön.
ARZT: Legt ihm die Gewänder an.
SABINERIN: Gold. Gold sollst du tragen.
SAKRISTANIN: (Öffnet die Kastentür, nimmt ein Gewand und beginnt ihn einzukleiden) Schau. Dieses hier liess ich für dich anfertigen. Es liegt mehr am Körper an als die traditionellen Gewänder. Es wirkt schlichter, ist aber viel kostbarer.
ARZT: Es steht dir perfekt.
SABINERIN: Du wirst die Messe lesen, ja?
(Plötzlich stürzt der PRIESTER zusammen.)
SAKRISTANIN: (Eilt hinzu.) Jesus. Was ist geschehen?
ARZT: (Ist hinzugekommen.) Lasst mich.
SAKRISTANIN: Spürst du sein Herz?
ARZT: (Weint.) Ja, aber es schlägt nicht mehr. (Schluchzt. Auch die SAKRISTANIN schluchzt.)
SABINERIN: Herr, gib mir deine Gewänder. Ich trinke deinen Kelch. (Vom Kirchenraum werden die Stimmen der Leute hörbar. Jetzt riegeln sie an der Tür. SABINERIN zu den andern, mit Autorität.) Helft mir. Läutet die Kirchenglocken! Das Festtagskleid ist mir!
(Die Kirchenglocken werden elektrisch eingeschaltet.)
ARZT Ich trage deinen Körper vor den Tabernakel. Leg du das rote Band über ihn. (Er nimmt ihn über die Schultern.) Du bist leicht. Ich trage dich als wärst du das Kreuz, mein Siegeszeichen.
(Die SAKRISTANIN schliesst die Tür auf, vor der sich die Leute drängen. Der Glockenton und das Rufen der Meute wird stärker.)
SAKRISTANIN (Geht voran und ruft): Zurück! Zurück!
(Der Tumult legt sich und wandelt sich in Staunen. Stille ausser dem Glockenton. Dann stimmt die SABINERIN das „Te Deum“ an, welches als ein Raunen voll Emotion und Trauer von der Volksmenge aufgegriffen wird. Ausblenden.)
Androhungen
(Klopfen an der Tür. VERENA öffnet.)
VERENA: Ivo. Komm rein.
IVO: Ist ihr Mann zuhause?
VERENA: Nein, er ist beim Arzt.
IVO: Was hat er?
VERENA: Depressionen.
IVO: Das ist nicht wahr.
VERENA: Komm herein, damit wir uns kennenlernen.
IVO: Ihr Mann war bis heute kerngesund. Ich weiss das. Ich habe ihn gesehen.
VERENA: Ein psychisches Leiden ist körperlich nicht sichtbar.
IVO: Doch. Schauen Sie mich an.
VERENA: Warum? Was fehlt dir?
IVO: Ich habe perverse Gedanken, die mich verderben.
VERENA: Was für Gedanken?
IVO: Ich bin Ihnen nicht freundlich gesinnt.
VERENA: Das kann ich verstehen. Du liebst meinen Mann.
IVO: Ja. Ich bringe mich um, wenn ich ihn verliere.
VERENA: Ich habe nichts gegen eure Freundschaft.
IVO: Sie haben ihn krank gemacht.
VERENA: Nein. Er hatte immer Depressionen. Ich liebe ihn und es ist mein Wunsch, dass er gesund wird.
IVO: Er hat mir nichts von seiner Krankheit gesagt.
VERENA: Vielleicht dachte er, du würdest ihn von alleine verstehen.
IVO: Ich traue Ihnen nicht. Sie haben ihn allein gelassen.
VERENA: Bist du dafür nicht dankbar? Ihr hättet euch sonst nicht kennengelernt.
IVO: Natürlich hätten wir das. Sie können das nicht verhindern. Das hat Gott gewollt.
VERENA: Möchtest du etwas trinken?
IVO: Wo ist das Kind?
VERENA: Im Zimmer. Es schläft.
IVO: Ich möchte es sehen.
VERENA: Komm. (Sie führt ihn zum Zimmer und öffnet die Tür.) Bitte sei leise.
(Stille. Babygeräusche. Sie treten aus dem Zimmer und schliessen die Tür.)
IVO: Sie sieht aus wie ein Engel mit ihren Pausbacken und blonden Haarringel. – Haben Sie ein Fotoalbum?
VERENA: Ja. Möchtest du es sehen?
IVO: Wann kommt Ihr Mann zurück?
VERENA: Nicht vor fünf Uhr.
IVO: Ja. Dann möchte ich es sehen. Aber sagen Sie ihm nicht, dass ich da war.
VERENA: Natürlich werde ich es ihm sagen.
IVO: Bitte!
VERENA: Nein. Dazu gibt es keinen Grund.
IVO: Dann lasse ich mich nicht mehr blicken. Und Sie wissen jetzt, was das bedeutet.
VERENA: Was ist es denn, was er nicht wissen soll? Dass du ihn liebst?
IVO: Das geht Sie nichts an. – Entschuldigung. Er darf nicht wissen, wie frech ich zu Ihnen bin; dass ich weiss, dass er angeblich krank ist und dass ich mich umbringe.
VERENA: Mein Mann hat schon vieles durchgemacht. Ihn kann nichts so schnell erschüttern.
IVO: Sie verstehen nicht, dass ich nur so rede, weil ich völlig ausser mir bin. Es ist mir egal, wenn dies mein letztes Gespräch überhaupt wird. Es tut mir auch nicht leid um Sie.
VERENA: Du bist verletzend. Dabei hab ich dir nichts getan.
IVO: