Nik Morgen

Animus oder Die Seele eines Stärkeren


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Ich verurteile dich nicht. Im Gegenteil. Ich kann dich gut verstehen.

      IVO: Warum? Haben Sie auch schon mit Frauen geschlafen?

      VERENA: Nein.

      IVO: Und Ihr Mann? Mit Männern?

      VERENA: Das musst du ihn selber fragen.

      IVO: Vorher bringe ich mich um.

      VERENA: Aber warum denn? Weil du die Wahrheit nicht erträgst?

      IVO: Weil ich verdorben bin.

      VERENA: Mein Mann mag dich. Er hält dich für einen sensiblen, intelligenten Jungen.

      IVO: Das ist nicht wahr.

      VERENA: Natürlich ist es wahr. Warum sollte er sich sonst so zu dir verhalten?

      IVO: Wie verhalten?

      VERENA: Er hat mir von euren Begegnungen erzählt.

      IVO: Pervers. Nicht wahr?

      VERENA: Ich halte es überhaupt nicht für pervers. Mein Mann ist nicht pervers. Er ist ehrlich und integer. Und leidenschaftlich.

      IVO: Er ist eine Ikone.

      VERENA: Ja. Siehst du? Wir stehen auf einer Seite. Wir können Freunde sein.

      IVO: Schon nicht. – Ihr Mann ist nur aus Mitleid gut zu mir.

      VERENA: Ihr versteht euch gegenseitig. Sympathie und Anteilnahme braucht es für eine Freundschaft.

      IVO: Freundschaft? Ich bin einfach sein Kostgänger. Er ist freundlich, solange es ihm nicht zuviel wird. Und das wird es ihm, wenn er hört, was ich heute gesagt habe. Deshalb komme ich auch nicht mehr.

      VERENA: Er empfindet ehrliche Gefühle für dich. Er will dir helfen. Und damit hilft er sich auch selber.

      IVO: Sagen Sie nicht dauernd Dinge, die mich glücklich machen. Sie sind falsch. Sie können unsere Freundschaft nicht wünschen, wenn Sie normal sind.

      VERENA: Normal? Normal ist meine Ehe nicht. Ich habe nichts dagegen, dass du meinen Mann lieb hast. Vor allem nicht, wenn ich sehe, dass du ihm auch etwas bedeutest.

      IVO: Sie sind zu freundlich um ehrlich zu sein. Zeigen Sie mir bitte die Fotos. Ich möchte eine Erinnerung an ihn haben.

      VERENA: Ich zeige sie dir, wenn du das nächste Mal kommst.

      IVO: Ich komme nicht mehr. Ich werde tot sein.

      VERENA: Du machst mir Angst. Das wäre für meinen Mann sehr schlimm.

      IVO: Ach, er wird erleichtert sein. Es befreit ihn von einem Skandal.

      VERENA: Bist du wirklich so unvernünftig wie du sprichst? Ich hoffe, du hast irgendwo ein Gefühl für Verantwortung. Oder bist du so egoistisch, dass du nur an dich selber denkst?

      IVO: Wie soll ich damit leben, was ich Ihnen anvertraut habe? Sie können sich nicht in mich einfühlen.

      VERENA: Natürlich kann ich das. Aber du bewertest alles viel zu schwer. Was du gesagt hast, ist im Grunde ganz normal. Es wäre Wahnsinn, deswegen dein Leben wegzuschmeissen, jetzt wo du einen so wunderbaren Freund gefunden hast.

      IVO: Was glauben Sie wird er dazu sagen, wenn Sie es ihm erzählen?

      VERENA: Er wird nichts sagen. Er wird nur hoffen, dass du wiederkommst, damit er dir zeigen kann, dass für ihn alles in Ordnung ist.

      IVO: Ich kann es nicht glauben. Mich ekelt die Vorstellung, dass jemand mich mag, geschweige denn jemand wie er. Ich liebe ihn. Ich will ihn nicht verlieren. Es macht mich traurig, dass er krank ist. Schauen Sie, da hängt ein Bild von ihm. Er sieht so stark und glücklich aus. Wenn ich so wäre wie er, dann könnte ich auch leben. Ich nehme dieses Bild mit.

      VERENA: Aber du kommst wieder.

      IVO: Ja.

      VERENA: Versprochen?

      IVO: Ja. Ich bringe mich nicht um. Ich möchte ihn wiedersehen. Das verspreche ich. (Er geht zur Tür und rennt hinaus. Die Türe lässt er offenstehen.)

      aries

      ich war ein verwahrloster Stallknecht

       die Arbeit war mir zu schwer

       ich war ständig erschöpft

       und ich starb seelisch in manch einer Ecke der Pferdebox

       nun sollte ich ein junges Pferd bereiten

       und das Pferd hatte unheimliche Kraft

       es freute sich, Sprünge zu lernen und Gangarten zu wechseln

       und seine Lebhaftigkeit griff auf mich über

       ich erwachte allmählich in seinem Sattel

       gemeinsam feierten wir täglich Erfolge

       es wurde das beste Pferd und ich der beste Reiter

       ich weinte, als es verkauft wurde

       und kompensierte die Trauer mit Sport

       ich wurde Bodenturner und meine beste Kür war die am Pferd

       ich hatte einen Trainer, der mich an mein Pferd erinnerte

       er war auch klein und gedrungen und hatte unheimlich Kraft

       er konnte schwere Gewichte herumtragen

       und mit seinen Massagen gab er mir die Kraft weiter

       er war von einer Gutmütigkeit sondergleichen

       wie ein Vater sorgte er für mich und mehr

       gemeinsam feierten auch wir Erfolge

       bis zu dem Tag, als uns ein Unfall auseinander riss

       es war Sabotage: jemand nahm den Bolzen aus dem Bein des Pferdes

       für den Bocksprung

       das Pferd brach auf einer Seite ein und ich fiel ins Genick

       im Spital gab es einen Pfleger

       der genauso verwahrlost war wie ich damals im Stall

       doch im Training mit mir wurde er gesund

       er wurde Musiker und engagierte sich mit seiner Band

       für Entwicklungshilfe

       bevor er starb, schrieb er ein tribute dieses tribute ist dieses Lied

      Arme

      EINER: (Zu sich.) Wie diese kräftigen Arme zittern!

      ARME: Ich hätte dich der Dame mit dem Kinderwagen helfen lassen sollen. Es rächt sich immer, wenn ich nicht zu meinen schwachen Armen stehe.

      EINER: Schwach?

      ARME: Ja. Ich hatte einen Unfall in der Manege. Seit da bin ich Teilinvalid.

      EINER: Das klingt unglaublich, wenn man diese Arme sieht.

      AMRE: Aber man weiss es, wenn man sie spürt.

      EINER: In einer Zeitschrift der Krankenkasse war eine medizinische Muster-Beilage: Blue-X, ein Gel gegen Muskelschmerz.

      ARME: Das könnte mir Linderung bringen.

      EINER: Ich massiere sie dir. Diese Arme verkörpern ein Paradox. Sie sehen überlegen aus und fühlen sich sanft an. Es scheint ihr Sinn liegt darin, berührt zu werden oder zu selber zu umarmen. – Leg mir sie einmal um die Schulter, dann bewege ich sie passiv durch wie beim Tanz.

      ARME: Ja, auf lebendigem Grund nehm ich sie wahr wie früher. Ich habe den Eindruck, ich könnte wieder Bäume ausreissen. Oder ein Kind in Armen halten.

      EINER: Lass das Kind lieber deine Arme tragen. Dann geht deine Kraft auf es über. Nimmst du den Arm schon weg?

      ARME: Ich lasse sie dir da.

      ERZÄHLER: Er schüttelt seine