mehr von tauber Angst getrieben, dir in den Rachen zu greifen. weil er daraus die grässlichste Diktion über sich selber aufzusteigen fürchtete. Seine Taubheit ist gewichen, nach seinem langen Komponieren vernimmt er, ganz Ohr geworden, deine überragende Stimme. Der Sehnsucht nach Frieden und Einheit, die er zeitlebens, aber nochmals vernehmbar in seiner Choral-Symphonie, genährt und aufgebaut hat, wird endlich genüge getan.
Nun bist du ihm Vater, und zwar ein ganz anderer, als jener alkoholsüchtige Kappelmeister, der den Sohn noch nachts zu endlosem Geigenspiel gezwungen hat. Die Angst und Aggression gegen Autorität hat sich verwandelt, und seine Kunst, die grosse Kompensation seines Herzen, ist ganz geworden.
Wohltun, wo man kann! - Freiheit über alles lieben! - Wahrheit nie, auch sogar am Throne nicht, verleugnen!
Mit seinem Gehörleiden wurde Bee existentiell attakiert, denn in diesem Körperteil war eine wesentliche Quelle seiner Freude beheimatet; und diese Freude, die gleichzeitig ein Bindeglied zur menschlichen Mitwelt war, war nun wesentlich beschnitten.
Notgedrungen kehrte er noch weiter gegen innen, um sich mit noch mehr Intensität und Ernst mit den zwei Seiten seiner selbst auseinanderzusetzen, die offenbar unermesslich viel hergaben.
So lange schon ist der wahren Freude inniger Widerhall mir fremd. - O wann - o wann - o Gottheit - kann ich im Tempel der Natur und der Menschen ihn wieder fühlen?
Mag sein, dass ihn die schmerzliche Entbehrung menschlicher Bindung zu Einsichten führte, die deutlich ins Gebiet der Mystik hineinreichen. So will ich folgende Aussage aus seinen berühmten Briefen an die "Unsterblich Geliebte" verstehen und mit der "Geliebten", die durch die Bee-Forschung nicht eindeutig identifiziert werden konnte, die "Gottheit" meinen, wie neben Bee auch Meister Eckhart das letzte Geheimnis der Dreifaltigkeit nennt.
Du leidest, mein teurestes Wesen! Du leidest! - Ach, wo ich bin, bist auch Du mit mir!
Das Grab ist zu und der Kranz aus seinen eignen Worten ist gewunden, ich lege ihn an seine Ruhestätte - Blumenbeethoven, Beethoven-Fioretti; Erinnerungen, Blümlein, mit deren Hilfe man den Heiligen gedenkt. Heilige, die nach der Bibel diejenigen bezeichnen, die jetzt im Himmel, im Reich Gottes sind. So wage ich, dich, Bee, direkt anzusprechen: Danke, dass auch du stellvertretend geliebt und gelitten hast, wie es Christus unüberbietbar und endgültig für alle getan hat, und nicht zuletzt auch deinetwillen. Mögest du nun glücklich sein und den Segen des Stück-für-Stück-Erkennens der Gesamtherrlichkeit für die erbitten, für welche du als Compositeur, der Harmonie auf der Grundlage von innerem Leid und Unfrieden schuf, selber ein herzergreifendes Stück Menschenleben darstellst, und der seinem Fidelio noch im Gefängnis Liebesarien aus der Brust aufsteigen liess, um befreit zu werden.
So wär’s geschehen. (So schreibst du, erst 31jährig, im Heiligenstädter Testament.) – Mit Freuden eil‘ ich dem Tode entgegen.– Komm, wann du willst, ich gehe dir mutig entgegen.
Lebt wohl und vergesst mich nicht ganz im Tode! Ich habe es um euch verdient, indem ich in meinem Leben oft an euch gedacht, euch glücklich zu machen. Seid es!
Beethoven, bitte für uns!
Broccione
ERZÄHLER: Waschbär hatte die Eigenschaft, dass, wenn er gut gelaunt war, die Hände hinter dem Rücken verschränkte, sich auf die Zehenspitzen stellte und jederman mit hochgezogenen Augenbrauen und geschlossenen Augen mit den Haarspitzen seines Schnauzes zärtlich küsste.
(Kusslaute.)
Manchmal wiederholte er das bei der gleichen Person so viele Male, dass es ihr zuviel wurde und man weglaufen musste.
FRAU: (Lacht.) Lassen Sie das, Broccione. Schluss jetzt.
ERZÄHLER: Aber auch dann kitzelte die Berührung durch die Schnauzhaare noch eine ganze Weile nach. Man konnte nicht anders als den Waschbär gern haben, denn seine Küsse waren auch bei schlechtem Wetter wie Sonnenstrahlen.
Brust
ERZÄHLER: Der Bus stoppt so ruckartig, dass EINER unsaft gegen den BRUSTKASTEN stösst. Er verzieht wegen dem Schmerz für einen Moment das Gesicht. Der BRUSTKASTEN hält sich verlegen die Front. Sie steigen aus.
BRUST: Entschuldige. Habe ich dir weh getan?
EINER: Nicht die Rede. Ich bin gegen dich gestossen. – (Zu sich.) Diese Brust enthält tausend spitze Magnete.
BRUST: Ich hab an dieser Stelle eine harte Lädierung. Ich bin nämlich beim Hilfskorps.
EINER: Komm rein!
BRUST: Ah, diese Aussenwand ist aus Metall. Da fühlt man sich sicher. Hier darf ich das Hemd öffnen.
EINER: (Zu sich.) Ich fühl mich auf einmal so glücklich. Ich verzichte auf all meine Körperteile, wenn ich diese Brust bekomme.
BRUST: Habe ich es mir gedacht. Da waren doch Splitter in dem Stein, den ich wegstossen musste.
EINER: Du allein?
BRUST: Die andern zogen an Stricken. Aber mich setzten sie an die Front. Du musst dir vorstellen: Der Stein schleift auf dir, wenn du ihn wegstösst. Ich traute mir aber trotzdem zu, ihn zu umarmen und mit ihm zu kämpfen. Erst jetzt stelle ich fest, der Geliebte hatte Splitter.
EINER: Lass mich sehen! Ah, wie das blendet. Als wäre die Wunde aus Kristall. (Zu sich.) Wie teuer ist wohl dieser Schrein? (Zum Brustkasten.) Deine Arbeit kommt dich teuer zu stehen. Wenn jedesmal Metall da hineingeht.
BRUST: Ja, sie mussten mir den ganzen Korb versilbern und vernieten. Kannst du mir die Steine entfernen?
EINER: Ja. Ich halte die Pincette von blosser Hand. Diese Kristalle sind wie Reliquien.
BRUST: Jeder Stein, den du wegnimmst, nimmt mir wie durch einen Nadelstich den Schmerz.
EINER: (Zu sich.) Ich bin wie benommen. Mir scheint, als tue ich zum ersten Mal etwas Sinnerfülltes. Noch nie bin ich der Quelle so nahe gestanden. (Zum Brustkasten.) So. Das war der letzte.
BRUST: Da, ich schenke dir den Schrein.
ERZÄHLER: Er fasst seinen Brustkorb an den Seiten und stösst ihn ruckartig von sich ab und gibt ihm den schweren Kasten.
EINER: Der Tresor wiegt Tonnen. Ich stell ihn hier mitten aufs Pult. Was soll ich sagen, wenn jemand fragt, wem er gehört.
BRUST: Sag, es sei deiner.
EINER: Ich war in meinem Leben noch nie so zerrissen. Die Flammen aus deiner Brust stieben auch aus mir.
BRUST: Denke daran: Unten wird der Feuerstrauss gebündelt. Und die Dornen schützten die Schönheit der Rosen. Du wirst an deiner Liebe gesund werden.
EINER: Ich werde jeden Tag deinen Korb öffnen. Gott behüte dich!
Brustöffnung
Ich fing daher an, Fensterchen zu öffnen, um den Erfolgreichen und Mächtigen und zwar den Sympathischen unter ihnen, denn das war die Voraussetzung, mit ein wenig Mystik Tief-, bzw. Wellenhochgang beizubringen. Das Leben ist doch keine Schnur!
Jedem, der den Anschein machte, er könnte es verkraften (und eine besondere Begabung zu haben schien) öffnete ich auf der linken Brusthäfte das Fensterchen. Im Tram, auf Plätzen oder an Haltestellen, wo ich die Menschen beobachten konnte, ging ich als Art Taschendieb und Strassenkünstler durch die Reihen und schob das kleine Scharnier, dessen Stelle ich mikrobiologisch genau kannte, einen Fingerbreit zurück und täuschte dabei vor, ich hätte eine kleine Münze aus der Brusttasche des Betroffenen gezogen, was gar nicht gelogen war. Die meisten nahmen mir den Spass willig, ein paar auch unwillig ab, denn ich war offensichtlich harmlos.
Die