Nik Morgen

Animus oder Die Seele eines Stärkeren


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wusste jetzt mit Sicherheit, dass mich nur der blosse Gedanke an meinen Vater niederschmettern konnte. Daher versuchte ich, mit dem Fiasko meiner Letztbegegnung mit ihm nachsichtig umzugehen. Als ich über den lichtbeschienenen Markusplatz taumelte, wurden die Eindrücke dieses Abschieds noch einmal klar und stark. Mich überkam die jähe Einsicht, dass ich wieder einmal meinem eigenen Paradox in die Falle gelaufen war. Wollte ich den Bann, der von meinem Vater ausging, tatsächlich mit einer Gürtelschnalle und Gamaschen lösen?! Da stolperte ich wie über meinen eigenen Schiedsspruch, fiel mitten aufs Kopfsteinpflaster und blieb schluckzend liegen. Das Erbe meines Vaters war unter mir begraben. Ich betete um Erbarmen und einen Gnadenstoss, so ergeben fühlte ich mich in meiner Nichtsnutzigkeit. Ich kam mir vor wie ein Pilger, dessen Glaubenskraft kurz vor der Wallfahrtskirche versiegt war. Die Sonne gleiste auf mich herab, aber ich war unbeweglich und wie gebunden. Ich war Isaak, der auf dem Brandopferalter seinem Schicksal harrte. Über mir spürte ich ein konkaves Glas, welches die Sonnenstrahlen auf meinem Mantel bündelte, und ich wartete darauf, entfacht zu werden. Da legte ein Engel seine Hand an mich und half mir auf die Beine.

      HÄNDLER: Kommen Sie. Ich helfe Ihnen aufstehen.

      Es war ein Händler, der hier in der Nähe sein Geschäft haben musste und vom Mittagsgebet in der Kirche zurückkam. Er trug ein reich besticktes, gelbes Kleid und einen Bart, ähnlich wie mein Vater, aber blond. Ich konnte nicht anders als ihn schluchzend umarmen; das Erbe drückte ich ihm in den Rücken. Er versuchte mich zu beruhigen. Aber als ich meine Umklammerung nicht löste, wurde es ihm unangenehm. Er befreite sich und strich mich aufmunternd über den Hinterkopf.

      HÄNDLER: Haben Sie Mut, junger Mann. Und beten Sie zu San Marco, dem

       Löwen, um Kraft.

      Auch er war wie alle andern schönen Männer auch, nur eine Variation meines Vaters. Und er war ein Abbild des allmächtigen, himmlischen Vaters. Mein Vater aber war nicht Gott, sondern ein Götze, ein Bronzeschmied aus Tyrus, ein Kraftprotz und ein Heide. Und ich war sein Erbe, der Riemen um seine Lenden, der Schutz seiner Schuhe vor dem Schmutz der Strasse. Und als solcher fühlte ich mich in diesem Moment auf seltsame Art geliebt, wenngleich ich mich in dieser Liebe verloren fühlte.

       Ich blickte dem reichen Händler nach und seinen kräftigen Waden. Bestimmt war er so reich, dass er sich das Almosen leisten konnte, mich zu umarmen. Es bedeutete ihm nichts. Mir aber war sein Almosen geschenkt worden, und nun war ich wieder allein mit Gott.

      Das Glück im Bett

      WIRT: (Im Hintergrund. Ein Herr tritt ein.) Guten Abend, Hans Tischhauser.

      WIRTIN: Guten Abend, Hans Tischhauser. Bitte sehr, hier ist Ihr Schlüssel.

      HANS T.: (Heller Tenor.) Danke. (Er verschwindet durch eine Tür.)

      DIVERSE: He, habt ihr das mitbekommen? Was für ein Zufall!

      DIV.: Was ist denn?

      DIV.: Was ist geschehen?

      DIV.: Eben ist Hans Tischhauser eingetoffen.

      DIV.: Du machst Witze.

      DIV.: Nein. Wirklich. Habt ihr denn nicht gehört, wie er vom Wirt und der Wirtin begrüsst worden ist?

      DIV.: Wo ist er denn jetzt?

      DIV.: Er hat den Schlüssel bekommen und ging durch die Tür zum Treppenhaus.

      FREMDER: Ach. Du meinst den kleinen Zwerg mit der hellen Stimme?

      DIV.: Natürlich. Hans ist Kleinbürger in unserer Stadt.

      DIV.: Ja,hast du wirklich einen Riesen erwartet? Wie will er denn im Tisch hausen, wenn er zwei Meter misst? Er ist doch kein Selbstquäler!

      FREMDER: (Steht auf.) Ich geh ihn sofort begrüssen.

      DIV.: Nein, bleib noch hier. Der Zeitpunkt ist nicht günstig.

      DIV.: Man darf ihn nicht stören, wenn er auf sein Zimmer geht. Wir stören ihn jedenfalls nie.

      DIV.: Er wird müde sein. Sonst wäre er bestimmt von sich aus hergekommen.

      DIV.: Bestimmt hätte er sich dir vorgestellt. Er freut sich immer über neue Gesichter.

      DIV.: Aber jetzt braucht er Ruhe.

      DIV.: Er geht jetzt in seinen Tisch.

      DIV.: Warte, bis er eingeschlafen ist.

      DIV.: Dann kannst du in sein Zimmer.

      DIV.: Er schliesst die Tür nicht ab.

      DIV.: Ausser wenn er schnarcht. Dann hängt er das Schild hinaus, weil er niemanden stören will.

      DIV.: Das tönt nämlich besonders laut im Tisch.

      DIV.: Es klingt, als würde er Holz sägen.

      FREMDER: Das macht er ja vielleicht wirklich.

      DIV.: Wie meinst du das denn wieder?

      FREMDER: Ja, heisst er nicht „Hans Tischhauser“? Wenn er nachts in Tischen haust, dann zersägt er doch womöglich im Schnarchen das Holz, um den Tisch in ein kleines Haus umzubauen. Das würde doch irgendwie passen. Und dann will er nicht, dass man ihn bei der Arbeit stört. Ja, sagt: Habt ihr denn diese Tische niemals angeschaut, in denen er gewohnt hat?

      DIV.: Nein, auf die Idee bin ich nicht gekommen.

      FREMDER: Aber warum? Das wäre doch das Naheliegendste. Das verstehe ich nicht. Das müsst ihr mir erklären.

      DIV.: Natürlich. Du weißt ja immer noch recht wenig.

      DIV.: Du weißt ja nicht, wo er für gewöhnlich schläft.

      FREMDER: Ja, offenbar hier im Hotel. Mich hat einzig überrascht, dass ihr mir das nicht angekündigt habt.

      DIV.: Woher sollten wir es denn wissen? Nicht einmal der Wirt hat es gewusst.

      FREMDER: Ach, wo! So selbstverständlich, wie er ihm die Schlüssel ausgehändigt hat.

      DIV.: Hans Tischhauser schläft in jedem Haus, wo ein Zimmer mit einem Tisch für ihn bereit steht. Und das gibt es praktisch in allen Häusern dieser Stadt.

      DIV.: Du weißt wie gesagt noch wenig von unserem Geheimnis. Wie auch sehr wenig noch von deinem Glück.

      DIV.: Ja. Du weißt ja nicht, wie du dir das Glück bescherst durch seinen Besuch.

      FREMDER: Das war also kein Witz, als ich sagte, ich müsse nach hause um zu sehen, ob Hans im Tisch ist.

      DIV.: Nicht unbedingt. Aber es braucht gewisse Voraussetzungen, dass dieser Wunsch wahr wird.

      DIV.: Ja, sonst ist die Wahrscheinlichkeit allerdings sehr gering.

      DIV.: Er hat ja wirklich keine geringe Auswahl an Übernachtungsmöglichkeiten.

      DIV.: Er bleibt dort, wohin ihn die Füsse den Tag durch und durch die Stadt getragen haben.

      DIV.: Danach ist er meist kurz entschlossen.

      DIV.: Du hast ja halbwegs mitgekriegt, wie schnell er auf sein Zimmer ging.

      FREMDER: Also. Erläutert mir, wie man sich eventuell das Glück seines Besuches verschafft, und schliesslich worin dieses Glück besteht.

      DIV.: Ach, um das zu erfahren, brauchst du nicht sehr viel Geduld.

      DIV.: Genau. Er wird sich mittlerweilen eingenistet haben.

      DIV.: Wir werden ihm bald einen Besuch abstatten.

      DIV.: Bald wirst du dein Glück umarmen.

      FREMDER: Umarmen? Das ist doch hoffentlich bildhaft und nicht etwa wörtlich gemeint?

      DIV.: Doch. Das liegt nämlich im Bett. Im Bett vom Zimmer von Hans Tischhauser.

      DIV.: Dadurch dass er im Tisch übernachtet, bleibt das Bett nämlich frei. Und jeder ist eingeladen, sein Glück