Nik Morgen

Animus oder Die Seele eines Stärkeren


Скачать книгу

Nun stell dir aber nichts Zweideutiges oder Verbotenes vor! Es handelt sich um ein ganz öffentliches Geschehen.

      FREMDER: Wie, in welcher Form, findet man sein Glück im Bett?

      DIV.: Ganz einfach, indem man sich hineinlegt.

      FREMDER: Das kann man auch zuhause tun.

      DIV.: Natürlich kannst du das. Aber es hat nicht den gleichen Effekt.

      FREMDER: Und worin besteht der Unterschied?

      DIV.: Im Bett im Zimmer von Hans Tischhauser liegt es sich hundertfach bequemer, und es ist dir tausendmal wohler. Nach zirka fünf Minuten bist du vollkommen selig. Man springt förmlich aus den Federn und geht restlos zufrieden mit sich und der Welt nach hause.

      FREMDER: Was ihr nicht sagt! Und das obwohl es immer wieder andere Betten sind.

      DIV.: Ja, wirklich. Es liegt nicht am Bett. Es liegt im Bett. Kurzum: Es ist ein Phänomen.

      FREMDER: Und wie erklärt sich dieses Phänomen?

      DIV.: Nun, ganz lässt sich das Geheimnis nicht auflösen.

      DIV.: Das lässt sich nur erahnen oder darüber nachdenken.

      DIV.: Die Philosophen der Stadt haben Theorien aufgestellt.

      DIV.: Geistliche haben in der Bibel geblättert.

      DIV.: Beide Sichtweisen ergänzen sich irgendwo.

      DIV.: Der Grund ist selbstverständlich religiös.

      DIV.: Deshalb durften wir ihn nicht stören.

      DIV.: Sein Abendritual schliesst ziemlich lange Gebete ein.

      DIV.: Der Tisch, in dem er nachtsüber haust, ist für ihn eine Art Kapelle. Möglicherweise stellt er Heiligenbildchen und Reliquien auf, die er in seiner Tasche mitführt.

      DIV.: Das glaube ich nicht. Unsere Stadt ist immer protestantisch gewesen. Und Hans ist selber auch Protestant.

      DIV.: Ja. Da hast du recht. Vielleicht richtet er auch nur Brot und Wein her.

      FREMDER: Ich habe euch doch gesagt, es würde sich lohnen, sich diese Tische einmal anzuschauen.

      DIV.: Kommt nicht in Frage. Diese Tische sind sein Dach. Noch niemandem wäre es in den Sinn gekommen, den Hausfrieden zu stören und die Tische abzudecken.

      DIV.: Das kommt nicht eher in Frage als er gestorben ist.

      DIV.: Und davor soll Gott uns noch lange Zeit bewahren.

      DIV.: Es wäre ein billiger Trost, selbst wenn in diese Tische Juwelen eingearbeitet wären oder kostbare Schnitzereien enthielten.

      DIV.: Sein zufriedenes Gesicht nicht mehr zu sehen, das wär ein Grund für Staatstrauer.

      FREMDER: Staats- oder Stadttrauer?

      DIV.: Die Tränen dieser Stadt würden nicht ausreichen, um die Trauer aufzuwiegen.

      DIV.: Aber reden wir nicht davon. Hans ist Gott sei dank quicklebendig.

      DIV.: Und das noch über viele Jahrzehnte hinweg.

      DIV.: So Gott will.

      DIV.: Und ob Er will! - So Gott will.

      DIV.: Genau.

      DIV.: Also. Gehen wir ihn besuchen? Und wecken wir nicht ihn, sondern sein Glück.

      DIV.: Ich glaube, unser Gast ist soweit. Was meint ihr?

      DIV.: Ich denke, wir können es wagen.

      DIV.: Also. Auf geht’s. (Sie stehen auf.)

      DIV.: Aber leise, wenn ich bitten darf.

      WIRT: Ihr geht zu ihm hoch? Dann bringt mir auch seinen Segen mit, ja?

      WIRTIN: Und lasst den lieben Mann um Himmels willen friedlich schlafen.

      DIV.: Keine Angst.

      DIV.: Das ist unser eigenes Interesse.

      DIV.: Du kennst uns doch.

       (Schnitt. Leises Schnarchen. Die STIMMEN flüstern.)

      DIV.: Da. Die Tür steht offen wie immer.

      FREMDER: Gehen wir rein?

      DIV.: Du gehst rein. Wir warten an der Schwelle. Und denk daran. Du

       betrittst ein Heiligtum!

       (Der FREMDE tritt leise über die Holzdiele. Als er beim Tisch vorbeikommt, wird das Schnarchen lauter. Der FREMDE bleibt einen Moment lang stehen. Dann geht er weiter zum Bett. Er deckt es auf und tastet die Madraze ab. Dann legt er Decke und Kissen zurecht, zieht die Schuhe aus und legt sich auf die Madraze. Er kuschelt sich im Bett zurecht. Dann Stille ausser dem leisen Schnarchen. Schliesslich stösst der FREMDE einen erlösenden Seufzer aus. Wieder Stille ausser dem leisen Schnarchen, zu dem sich bald ein zweites gesellt. Die Hörsituation wechselt wieder zurück zur Zimmerschwelle. Flüstern.)

      DIV.: Hört ihr? Er ist eingeschlafen.

      DIV.: Ich denke, der bleibt die Nacht hier.

      DIV.: Er war vollkommen ausgelaugt.

      DIV.: Gut, dass Hans heute gekommen ist.

      DIV.: Er weiss immer, wo er auftauchen muss.

      DIV.: Jetzt hat es geklappt.

      DIV.: Das war sozusagen Rettung zur letzten Stunde.

      DIV.: Wegen Hans zählt unsere Stadt nun einen Bürger mehr.

      DIV.: Kommt. Gehen wir. Lassen wir ihm sein Glück.

      DIV.: Ja. Gott segne dich, Hans und den Tisch, in dem du haust.

      DIV.: Gott segne dich, Hans Tischhauser.

      DIV.: Und das Glück in deinem Bett.

      DIV.: Kommt, wir ziehen ab. (Schritte der Abgehenden.)

      DIV.: Wir sind gegangen.

      DIV.: Psst. Leise.

       (Die Schritte entfernen sich. Stille ausser dem doppelten, leisen Schnarchen.)

      Das Haus

      Mit neunzehn aber war er wieder da.

      Er warf einen Schatten, als er aus der Türe trat, der mächtig genug, die Sonne ganz zu löschen.

      Wie er vorbeistreift, ist nichts wahrnehmbar an ihm, das sein Sein in irgendeiner Weise in Frag oder in Antwort stellen konnte.

      Nur das Auge eben, das alles sah;

       alle Dinge und ihr Eigensinn.

      Gegen alle Regeln der Natur: Er war.

      Er war noch immer der, den es vor dem Sommer gab und deshalb muss er auch inzwischen irgendwo in Wirklichkeit gewesen sein.

      Wo?

      Das erstaunte am allermeisten.

      Nun teilte er das Haus, dasselbe Dach mit Ziegeln über seinem Kopf.

      Das hatte eine Absicht.

      Er war zurückgekommen eines Schicksals wegen.

      Конец ознакомительного фрагмента.

      Текст предоставлен ООО «ЛитРес».

      Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.

      Безопасно