Byung-uk Lee

Stimme aus der Tiefe


Скачать книгу

weg war.

      „Wo hast du das Tier?“

      „Das sag ich dir nur, wenn du ihm nichts tust“, forderte Bassam.

      „Hast du es immer noch nicht verstanden. Das Tier hat Elham krank gemacht und es kann auch dich krank machen.“

      „Er sieht doch so harmlos aus. Wie kann so etwas Kleines einen großen Menschen krank machen?“

      „Wo ist das Tier?“, fragte ich erneut.

       Bassam kniete sich hin und öffnete die Klappe des Ofens, die knarrte. Spröder Rost rieselte von den Scharnieren zu Boden. Vorsichtig holte er die Ratte heraus. Sie bewegte sich langsam auf beiden Handflächen und ihr Fell war mit etwas Asche bedeckt.

      „Siamak wird ihn töten“, sagte Bassam besorgt.

      „Woher weißt du, dass es ein Männchen ist?“

      „Ich glaube es nur. Er ist mein Freund.“

      „Ich bin auch dein Freund, aber einer, der Elham nicht krank macht.“

      „Woher willst du wissen, dass er es war?“, fragte Bassam gereizt. Ich war ein wenig überrascht über seinen Gefühlsausbruch. So zeigte er sich nur sehr selten.

      „Du Dummkopf, weil ich es weiß“, schimpfte ich. „Wenn du ihn behalten willst, dann musst du ihn draußen lassen.“

       Mit gesenktem Kopf trat Bassam vor die Tür und ließ den Nager frei.

      „Was machst du da?“, fragte ich. „Ich dachte, du wolltest ihn behalten.“

      „Vielleicht ist es doch besser, wenn er in Freiheit lebt, als hier in Gefahr zu sein. Hier zu leben ist gefährlich und schrecklich.“ Sehnsüchtig blickte Bassam der Ratte hinterher, die flink über den Boden in die Ferne huschte.

      „Warum bist du nur so undankbar!?“, meinte ich. „Elham und Siamak haben dich doch immer gut versorgt.“ Selbst ich wusste, dass Bassam mit seinen Worten nicht unrecht hatte, wollte es mir aber trotzdem nicht eingestehen.

       Mein Baba sah aufgewühlt aus, als er wieder ohne Elham nach Hause kam.

      „Wie geht es ihr?“ Ich stürzte sofort zu ihm hin.

       Er antwortete zunächst nicht, sondern setzte sich erschöpft auf einen Stuhl. Ein Blick von mir genügte, damit Bassam aufstand und meinem Baba aus einem Tonkrug Wasser in einen Becher goss, den mein Baba in einem Zug leerte.

      „Sie hat noch hohes Fieber“, sprach er schwer atmend. „Der Arzt wollte sie über Nacht dort behalten.“

       Aus seiner Tasche zog er eine durchsichtige Plastikfolie, in der sich schwarze Krümel befanden.

      „Wir werden diese verdammten Biester jetzt ausrotten“, sagte er, während er begann, einige Krümel in die Ecken zu streuen.

      „Das darfst du nicht.“ Bassams Worte waren unbedacht.

       Die Augen meines Babas weiteten sich vor Zorn. Langsam ließ er den kleinen Beutel in der Hosentasche verschwinden und ging mit geballten Fäusten auf Bassam zu.

      „Was darf ich nicht?“

      „Du darfst die Ratte nicht töten.“

       Der Stoß war so fest, dass Bassam mit dem Hinterkopf gegen die harte Wand aufschlug. Wimmernd hielt er sich den Kopf, während er gekrümmt auf dem Boden lag.

      „Du hast das schmutzige Ding also hier reingeschleppt. Das passt zu dir. Bist selbst so ein dreckiges Ding.“

       Sofort versuchte ich meinen Baba davon abzuhalten, weiter auf Bassam einzuprügeln.

      „Er war es nicht. Die Ratte ist von selbst ins Haus gekommen.“ Flehend zog ich meinen Baba zurück, der sich wieder besinnungslos auf den Stuhl fallen ließ. Dort vergrub er das Gesicht in seine Handflächen. So betrübt hatte ich ihn noch nie erlebt.

       ***

      „Ich weiß nicht, wie lange ich das noch ertragen kann“, sagte Yassir. „Je mehr ich von dir erfahre, desto mehr verfluche ich dich. Sag mir doch einfach, wo mein Sohn ist, statt mich mit deinen Worten zu quälen.“ Yassir war, während Husseins Erzählung, zu Boden gesunken und wusste nicht mehr weiter.

      „Wir hatten eine Abmachung, die ich gerade einhalte.“ Djamals Stimme klang wie immer klar und fest. „Sie hingegen wollen Ihren Teil nicht erfüllen.“

      „Doch das tue ich, aber es fällt mir schwer. Versteh doch. Ich kann mir das nicht länger anhören und weiß immer noch nicht, was der Sinn des Ganzen sein soll.“

      „Das werden Sie früh genug erfahren. Ich kann Sie zwar nicht sehen, aber ich spüre, dass Sie ein guter Mensch sind, genauso wie Bassam.“

      „Wenn mein Junge ein so guter Mensch war, warum habt ihr ihm das alles angetan!?“

      „Deswegen bewundere ich Sie und Ihren Sohn“, meinte Djamal. „Erst durch ihn konnte ich Recht von Unrecht unterscheiden. Vorher war mir das unmöglich, da ich immer dachte, dass ich und meine Eltern rechtmäßig gehandelt haben. Ich sehe nun ein, dass ich für meine Taten bestraft werden muss, sonst würde ich nicht hier in diesem Verlies sitzen. Jeder Mensch muss seine Strafe akzeptieren, anderenfalls verkommt man zu einem Feigling.“

      „Bitte, ich kann es nicht mehr.“ Der Verzweiflung nahe lag Yassir gekrümmt auf dem Boden, wo er sein Gesicht auf den harten Grund legte. Das Gestein, das die Hitze des Tages konserviert hatte, verbrannte seine Haut, aber der Schmerz um den Verlust von Bassam überwog. Sein Körper fühlte sich erschöpft an und sein Herz war leer.

      Eine Zeit lang sagte Djamal nichts. Es wehte ein kräftiger Wind durch die steinige Landschaft, der die Einsamkeit an diesem Ort noch stärker untermalte. Yassir war erleichtert, als er den Dienstwagen in der Ferne erspähte. Von Djamal hörte er nichts mehr, als hätte er sich die Stimme aus der Tiefe nur eingebildet.

      Fast gleichzeitig öffneten Mehran und Omid die Seitentüren. Ihre adretten Uniformen waren durchtränkt mit Körpersäften. An den schwarzen Ledergürteln baumelten die Schlagstöcke. Allzeit bereit, Kriminellen die Härte des Gesetzes zu spüren zu geben.

      Omid begleitete Yassir zum Wagen, während Mehran auf das Gitter zulief.

      „Hussein!“, brüllte der kleinwüchsige Polizist hinunter. „Ich soll dir von Iraj bestellen, dass du den guten Mann nicht verarschen sollst. Und er will wissen, wie oft wir ihn noch hierhin fahren müssen. Ehrlich gesagt, hab ich die Schnauze voll, nur deinetwegen jeden Tag in diese gottverlassene Einöde zu fahren. Ich hab besseres zu tun, hörst du!“ Die letzten Worte sagte Mehran mit einem verächtlichen Lachen. Er spuckte auf das Gitter. Der Speichelfaden zog sich in die Länge, bevor er von den Stäben in die Tiefe tropfte.

      „Es ist bald vollbracht“, hörte Mehran von unten.

      ***

      „Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten?“, fragte Polizeichef Iraj, während er steif in seinem Ledersessel saß.

      Yassir schüttelte den Kopf.

      „Aghaye Navid, darf ich Sie fragen, was für einen Eindruck Sie in den letzen Tagen sammeln konnten?“

      „Was meinen Sie damit?“ Misstrauisch blickte Yassir in das fleischige Gesicht des Polizeichefs.

      „Verzeihen Sie mir meine unklare Formulierung, eine furchtbare Angewohnheit von mir. Was denken Sie, ist Djamal Hussein für ein Mensch? Mit welchen Charakterzügen hat Allah ihn gesegnet oder verflucht?“

      „Warum wollen Sie das so genau wissen? Es spielt doch keine Rolle, was für einen Charakter er hat. Er hat das Gesetz gebrochen und gehört ins Gefängnis. Was er genau getan hat, haben Sie mir außerdem