Till Angersbrecht

Allah und die Klavierspielerin


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       Da können die Stewardessen noch so lächeln. Gegen die unvermeidliche Langeweile bietet das keine ausreichende Medizin, allenfalls eine schnell vergängliche Aufmunterung. Gegen das unvermeidliche Nagen der Zeit liegen daher gleich am Eingang eine Reihe von Zeitungen aus, bunte und weniger bunte. Die werden von beinahe allen Eintretenden denn auch hastig aufgegriffen, allenfalls nach einem kurzem Zögern, ob sie die bunte Variante der einfarbigen vorziehen sollen oder doch eher umgekehrt.

      Merkwürdig, der Beobachter kann da noch vor dem Abflug der Maschine eine wichtige Entdeckung machen. Nach gängiger Meinung sind Zeitungen zum Lesen da. Vermutlich wird das auch stimmen, aber darüber hinaus erfüllen sie mehr als nur eine passive Rolle. Sie verhalten sich sogar äußerst aktiv, denn jeden, der an ihnen vorübergeht, zwingen sie, Farbe zu bekennen. Sie wirken sozusagen wie ein Sieb, das die Passagiere gleich in zwei verschiedene Kategorien unterteilt. Da sind einmal die sogenannten seriösen Blätter, die mit betont langweiligen Titeln ihre Anständigkeit proklamieren. Dem Eintretenden geben sie zu verstehen, dass sie die Anbiederung an den billigen Geschmack, an den Krimskrams der Fernsehbilder, an die Schliche der Werbung nun wirklich nicht nötig haben. Natürlich verzichten sie auf knalliges Rot oder überhaupt auf jegliche Farbe. Selbst wenn verschiedene erogene Zonen, vornehmlich die des weiblichen Geschlechts, an mehr oder weniger versteckter Stelle doch einmal vorkommen sollten – und das ist inzwischen fast bei allen unweigerlich der Fall – dann ist doch ein betont nüchterner Text so berechnet, dass er die aufgestörte Sensibilität empfindlicherer Naturen durch eine biedere, manchmal geradezu betont wissenschaftliche Verpackung beschwichtigt.

       Aus diesem Grund bieten sie gegen die unvermeidliche Langeweile eines Inlandfluges nur unzureichenden Schutz. Die meisten Passagiere, selbst solche der höheren Bildungsschichten, greifen in dieser Situation, zumal sie ja überwiegend alleine reisen und sich daher von ihren Freunden und Kollegen unbeobachtet wissen, vorzugsweise nach den bunten Blättern mit den phantastischen Überschriften. Ein solches Verhalten lässt sich auch am heutigen Tag konstatieren. Es ist diesmal sogar besonders naheliegend, denn da sticht eines der Blätter mit auffallend grellen Farben und einem in die Augen springenden Titel hervor. Man sieht das Bild eines Mannes, dem das Blut von den Armen trieft. Darunter steht der viel versprechende Titel „Bossi frisst Herrn in Raten auf“. Das kleinere Foto der Bulldogge mit dem Namen Bossi, die dieses Verbrechen verübte, bietet sich dem wissbegierigen Betrachter ebenfalls an.

       Natürlich wird das Blatt von der überwiegenden Zahl der Eintretenden ergriffen, auch solchen, die sich zusätzlich noch mit einem der seriösen Blätter versorgen.

       Das bunte Blatt mit der Bulldogge Bossi ist auch die Zeitung, nach der die gerade eintretende Frau Meierdom mit schüchternem Lächeln greift. Sie ist sich nicht ganz sicher, ob sie dafür nicht zahlen muss, daher ihre Schüchternheit. Auch Herr Meierdom, ein über fünfzigjähriger Mann mit zwei wunderlich rechts und links der Glatze abstehenden Schläfenlocken, nimmt sich ein Exemplar von dem Stoß. Doch kaum ist sein Blick auf den Titel gefallen, wirft er den Kopf unwillig in die Höhe und schnaubt seiner Frau ein empörtes „So ein Unsinn“, hinüber, wobei er die lächelnde Stewardess mit seinem wütenden Blick erschreckt. Gewiss, Herr Meierdom versteht etwas von Hunden, deswegen hat er ja vor zwei Wochen seinen preisgekrönten Beitrag über ihr Seelenleben verfasst. Ein Mann wie er weiß natürlich, dass ein normales Tier zu einem solchen Verhalten gar nicht imstande ist. Der Titel empört ihn erst recht bei einer Zeitung, der er nun schon seit zwei Jahrzehnten die Treue hält. Warum steht denn da jetzt auf einmal ein so hanebüchener, schamloser Unsinn drin? Das kann man sich doch nicht bieten lassen!

       Wie immer, wenn Herr Meierdom sich erregt, hat das Auswirkungen auf seinen Kreislauf. Ein gar nicht so leichtes Rot überströmt seine Wagen, die Adern treten an Nase und Wangen hervor. Sein Schritt stockt, obwohl die nachrückenden Passagiere in den offenen Leib des Airbus drängen. Am liebsten würde Herr Meierdom es gleich hier am Eingang den Leuten sagen, dass sie einen derartigen Unsinn auf keinen Fall glauben dürfen. Wie kann man den Hunden eine solche Verleumdung antun, die doch seit Jahrtausenden die treuesten Freunde des Menschen sind! Seine einzigen wahren Freunde sogar, denn auf Kameraden in Menschengestalt kann sich ja heute, wenn es wirklich auf Treue ankommt, keiner mehr wirklich verlassen. Dem Herbert Kungel hat er geglaubt. Sein bester Freund war das einmal gewesen, jedenfalls hatte er ihn dafür gehalten. Aber auch der hat ihn von einem Tag auf den anderen im Stich gelassen. Ein Hund würde das niemals tun. Ein Hund hat ihn noch nie verraten. Hunde sind einfach treu, von Natur aus.

       Welch frecher Unsinn!, schnaubt er, den Druck der Nachkommenden in seinem Rücken spürend, noch einmal in Richtung zur Stewardess. Die aber lächelt, wie sie es immer tut - bei jedem der eintretenden Passagiere. Das ist die Vorschrift, und sie gilt jedenfalls solange, wie die Passagiere nicht aufsässig werden und die Ordnung im Flugzeug stören. Dann gibt es natürlich nichts mehr zu lächeln. Leider kommt dieser Fall in letzter Zeit gar nicht so selten vor ...

      10 Uhr 56

      Etwas vor elf tritt Kapitän Behrends, ein mächtiger blonder Mann um die fünfzig, mit seinem gebückten Kopiloten Kroschke als letzter durch die Eingangstür. Er hat noch Zeit, es wird noch eine Viertelstunde vergehen, bis die Maschine auf die Startbahn hinausgeschleppt wird. Die üblichen Verzögerungen, der Hamburger Nieselregen spielt wieder einmal eine leidige Rolle. Stellenweise liegt er als dichter Nebel über der Bahn. Behrends lässt sich einen heißen Kaffee in das Cockpit bringen. Dabei kann er es nicht lassen, der jungen Stewardess Ute Dalz sozusagen versehentlich über die Hand zu streichen.

       Die Ute kennt er schon lange. Er freut sich immer wieder, wenn er sie sieht. Er mag ihr Lächeln und ihren kecken Witz, auch wenn sie jetzt auf seine Vorschläge zu einem Treffen im Café Stern längst nicht mehr eingeht. Seit sie verheiratet ist, wie sie sagt. Aber er glaubt, dass das eher etwas mit seinem Alter zu tun hat. Immerhin ist es ein Vergnügen, die Ute anzuschauen, und einen duftenden süßen Café, den wird sie ihm jedenfalls immer servieren. Dagegen wird der magere Kopilot, dieser bleiche, unscheinbare Kroschke, den Flug ganz bestimmt nicht versüßen. Außer einem hingelispelten Gutenmorgengruß und dem üblichen Dialog über die technischen Angaben der Instrumente, ist mit dem Mann ja l kein Wort zu wechseln.

       Ja, Behrends sieht es deutlich voraus. Dieser Flug wird in beiderseitigem mürrischen Schweigen vergehen. Mit ernüchternder Klarheit stellt sich der Kapitän die kommenden eineinhalb Stunden vor. Schweigen, nichts weiter als tonloses Schweigen. Das ist nicht so leicht zu ertragen, zumal wenn man so ein Bedürfnis nach Worten hat wie gerade er. Wie gut es im Vergleich mit ihm die Reisenden haben! Die können doch wenigstens ein Buch oder eine Zeitung lesen, aber er muss schweigend in den Nebel, die Wolken oder auf die Instrumente starren, beinahe zwei Stunden lang. Für ihn gibt es keinen Pardon.

       Ja, es wird wohl das unselige Wetter sein, dieser verdammte Nieselregen, der einem das Gemüt auf den Boden drückt. In Hamburg ist es eben die meiste Zeit nass. Das ist schon merkwürdig, wenn man bedenkt, dass auf die Stadt an der Elbe insgesamt nicht mehr Regen fällt als zum Beispiel auf Rom. Das hat Behrends vor kurzem in einer Zeitung gelesen. Nicht mehr Regen im ganzen Jahr als in Rom! Man stelle sich vor, wie schön es in Hamburg sein könnte! Doch leider hat ein launischer Wettergott Hamburg und seine Bewohner bestrafen wollen - für irgendein unbekanntes Vergehen vermutlich. Er hat es so eingerichtet, dass der Regen seine Fracht an wenigen Tagen auf die heilige Stadt entlädt, in Hamburg dagegen ist er zu einem Sprühnebel aufgefächert. Ohne eine bestimmte Vorliebe für besondere Tage verteilt der sich gleichmäßig über alle dreihundertfünfundsechzig von ihnen.

       Es ist wohl der verdammte Regen, aber vielleicht bin ich auch einfach nur schlechter Laune, gesteht sich Kapitän Behrends. In letzter Zeit kommt das öfter vor, eigentlich bin ich ja schon permanent schlechter Laune. Als ob man nicht auch Grund genug dazu hätte! Es braucht ja auch gar kein schlechtes Wetter, keinen Nieselregen, damit einem die üble Laune auf das Gemüt drückt. Die feinen Herren der Direktion sind daran schuld. Die haben sich doch schon wieder etwas einfallen lassen, womit sie uns ärgern können. Soeben haben sie die Einstiegsgehälter für die Piloten um ganze zehn Prozent hinuntergeschraubt. So geht das nun schon seit Jahren, und auch die Festangestellten kriegen keine Zulagen mehr. Bei sich selbst sparen die da oben natürlich gar nicht. Es heißt, der Diefenstein habe sich schon wieder