L.U. Ulder

Taubenzeit


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die gelegentlich zu Besuch kommen.“

      „Die sind dann aber eher schwul, ja?“

      Kratz, kratz.

      Valerie starrte die Frau an. Zu gern hätte sie gewusst, was sich in diesem Moment hinter dieser Stirn abspielte. Ein Bild altrömischer Gelage schoss ihr durch den Kopf, wild kopulierende Männer und Frauen, wie in dem alten Caligulafilm. Und Zoè tapste, mit hasenängstlichen Augen, den Rücken an der Wand, durch diese Szene.

      „Nicht nur, manche schon“, hörte sie sich sagen.

      „Mein Vater kommt regelmäßig vorbei. Er ist für Zoè ein wunderbarer Opa. Die beiden verstehen sich prima, und er ist nicht schwul, jedenfalls nicht, dass wir es wüssten.“

      Annas Tonfall war noch eine Nuance streitsüchtiger geworden. Valeries Gedanken rotierten.

      „Wir haben auch einige männliche Mitarbeiter, die den Außendienst machen, sozusagen.“

      Jetzt wurden Annas Augen kugelrund, sie schaute für einen winzigen Moment erstaunt, dann hatte sie sich wieder im Griff und lächelte freundlich. Jedenfalls hätte ein Nichteingeweihter es für freundlich halten können..

      „Kann ich mal das Zimmer des Kindes sehen?“

       Sag nicht ständig Kind, gibt ihr eine Identität, sag ihren Namen oder sag wenigstens Mädchen.

      Mit mulmigem Gefühl ging Valerie vor und öffnete die Kinderzimmertür.

      „Süß, ein wenig übertrieben vielleicht, aber süß“, war die einzige Reaktion.

      Blickpunkt des Zimmers war ein Himmelbett, das mitten im Raum stand. Der Rest des in zarten Pastelltönen gehaltenen Raumes wurde von Stofftieren und anderem Spielzeug dominiert.

      „Wie sehen Sie unsere Chancen, als lesbisches Paar die Kleine zu adoptieren? Müssen wir schnellstens heiraten?“

      „Nein, müssen Sie nicht. Auch alleinstehende Personen, ob homo- oder heterosexuell, können ein Kind adoptieren. Die Vermittlungsstellen bevorzugen zwar in der Regel traditionelle Familienformen, aber in Ihrem Fall ist das sicher etwas anderes, das Kind lebt ja schon bei Ihnen.“

      Die Besucherin ging durch den Flur zurück in Richtung der Eingangstür. An einem kleinen Bild blieb sie hängen und betrachtete es, ihr Kopf ging dabei hin und her.

      „Das Bild ist wirklich hinreißend. Es nimmt einen regelrecht gefangen. Man kann gar nicht daran vorbeigehen.“

      Noch weiter nach vorn rückte ihr Kopf, bis sie in der Lage war, die kleine Schrift zu lesen.

      „P.S. Kroyer. Porträt von Tove Bentzon. Nie gehört.“

      „Das Original hängt in einem Museum in Skagen, Dänemark. In unserer Familie heißt es nur 'Das kleine blaue Mädchen', wegen der dominierenden Farbe des Mantels.“

      „Ganz reizend.“

      Dann war sie verschwunden. Valerie atmete tief durch. Keine Stunde hatte der Besuch gedauert, ihr war es wie eine kleine Ewigkeit vorgekommen.

      Nachdem Valerie die Tür geschlossen hatte und in den Essbereich zurückgekehrt war, funkelten Annas Augen sie an wie glühende Kohlen.

      „Einzelperson, homo- oder heterosexuell“, ahmte sie die Besucherin nach.

      „Es ist völlig scheiß egal, wer oder was du bist. Das ganze Theater können wir uns sparen. Was hat dir der Rechtsanwalt bloß für einen Mist erzählt? Wie bist du überhaupt auf den gekommen?“

      „Durch meine Mutter. Der Mann war der Partner meines Vaters.“

      „See- und Schifffahrtsrecht, na klasse. Der kennt sich mit Containern und Schweröl aus. Was für eine Referenz! Und der hat dir das mit der Lesbenvorstellung vorgeschlagen?“

      Valerie ließ sich auf einen Stuhl sinken, ihr Blick war nach innen gekehrt.

      „Ich habe ihn gefragt, ob das etwas bringen würde. Weil ich keinen Mann als Partner präsentieren konnte und es auch nicht wollte. Ich habe es ihm in den Mund gelegt und er hat nur gemeint, dass es vermutlich nicht schaden kann.“

      Valerie besann sich an das Gespräch in dem mit dunklem Holz getäfelten Büro. Sie hatte noch gedacht, dass es der richtige Ort sei, um über Lieferverträge und Schiffstonnagen zu verhandeln, aber nicht über das Leben eines kleinen Mädchens. Sie erinnerte sich, dass eigentlich nur sie geredet und sich über die Schwerfälligkeit des Behördenapparates echauffiert hatte. Ihr Gegenüber blätterte in den Akten, machte sich Notizen, nickte hin und wieder und versprach, den Fall zu prüfen. Ihr war es vorgekommen, als hätte er überhaupt nicht richtig zugehört. Aber kaum, dass sie die Kanzlei verlassen und sie in ihrem Auto saß, klingelte bereits das Handy. Ihre Mutter war am Apparat und bombardierte sie mit Fragen über ihre vermeintliche homosexuelle Partnerschaft. Es gelang Valerie ziemlich schnell, ihrer Mutter den wahren Hintergrund zu erklären und sie zu beruhigen. So geriet die Episode vorübergehend in Vergessenheit, bis sie einige Tage darauf die Durchschrift des Briefes erhielt, den der Rechtsanwalt an das Jugendamt geschickt hatte. Darin stand es schwarz auf weiß und in ganzer epischer Breite, Valerie und Anna waren ein glückliches, gleichgeschlechtliches Paar, das sich nichts sehnlicher wünschte, als einen kleinen Menschen zu umsorgen.

      „Egal.“

      Ihr Körper spannte sich wieder.

      „Das ziehen wir jetzt so durch, wie wir es besprochen haben, zurück können wir nicht mehr. Zumindest solange, bis die Adoption besiegelt ist.“

      Sie schaute Anna in die Augen. Die Freundin verzog das Gesicht.

      „Hast du den Blick gesehen? Die Frau hat mich angeschaut, als wäre ich ein Insekt, das sich auf ihren Teller verirrt hat.“

      „Du hättest dich ruhig etwas geschickter anstellen können, beruflich stark eingespannt, mein Gott. Was hast du dir dabei gedacht?“

      „Ich hab gedacht, ich sage was Schlaues, von wegen finanzieller Absicherung und so weiter. Das ist doch nur gut für die Kleine. Man kann auch alles auf die Goldwaage legen. Du verlangst von mir, dass wir ein lesbisches Pärchen geben, das überfordert mich. Als du vorhin Herzilein gespielt hast, habe ich befürchtet, du knutscht mich gleich ab.“

      „Na und. Wäre das so schlimm gewesen? Wir müssen diese Rolle jetzt durchziehen. Und dazu passt auch nicht, dass du ständig im Internet chattest.“

      „So? Warum denn nicht?“

      „Weil du gelähmt bist und im Rollstuhl sitzt.“

      Sofort biss sich Valerie auf die Zunge, aber es war zu spät. Die Worte waren ihr im Ärger einfach herausgerutscht, sie konnte sie nicht mehr zurückholen. Sie hätte sich ohrfeigen können, weil sie genau wusste, wie sehr es Anna kränkte, aber es war zu spät.

      Augenblicklich trat ein feuchter Schimmer in die Augen der Freundin.

      „Na und? Was willst du damit sagen? Ich muss doch nicht den Laden zumachen so wie du, nur weil du enttäuscht worden bist. Ich habe keine Kontrolle über meine Beine, aber noch völlig normale Empfindungen. Dieses verdammte Ding hier“, sie schlug mit der rechten Hand auf die Armlehne ihres Gefährts, „hat mich in die Grube gelegt, aber du beerdigst mich endgültig.“

      Abrupt drehte Anna den Rollstuhl und rollte schnell den langen Flur hinunter. Sofort lief Valerie hinter ihr her und erreichte sie kurz vor ihrem Zimmer.

      „Anna warte. Das war unglaublich dumm von mir, es tut mir leid. Ich bin so angespannt wegen Zoè, das habe ich wirklich nicht so gemeint.“

      Valerie legte ihr den Arm auf die Schulter.

      Anna winkte ab und drehte ihr Gesicht zur Seite.

      „Ich weiß, ich auch nicht.“

      Valerie war bewusst, was sie der Freundin und auch sich abverlangte.

       War es wirklich die richtige Entscheidung gewesen?

      Ja, sagte