L.U. Ulder

Taubenzeit


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nicht. Bis Hüfthöhe war es noch einigermaßen grün, darüber war es so licht wie ein abgetakelter Weihnachtsbaum.

      Egal. Hauptsache, die reflektierenden Teile des Autos waren verdeckt.

      Wenn nicht gleich etwas passiert, werden wir wohl abbrechen müssen, war ihr nächster Gedanke und schon musste sie über den ungewöhnlichen Auftrag grübeln.

      Ihr Auftraggeber, der Besitzer der kleinen Elektronikfirma in dem eingezäunten Flachbau, vermutete, dass einer seiner Mitarbeiter in dieser Nacht aufkreuzen und die Räumlichkeiten betreten würde.

      Der Mann war durch interne Kontrollen aufgefallen und sollte angeblich die Alarmanlage und die Überwachungskameras manipuliert haben, um ungesehen ins Objekt zu gelangen. Er konnte nicht wissen, dass längst andere, neu installierte Kameras das Geschehen aufzeichnen würden. Der Seniorchef, ein großer, stämmiger Mann mit vollem, schlohweißem Haar und rot durchzogenen Wangen, hatte sie auffallend, ja unverschämt lange gemustert und mit Komplimenten überhäuft. Unverbindlich lächelnd nahm Valerie die gerahmten Bilder der Enkelkinder auf dem Schreibtisch zur Kenntnis.

      „Achtung, es kommt ein Auto.“

      Annas Stimme, von der Freisprechanlage verzerrt, zerstörte die Stille. Obwohl sie auf diese Meldung erwartete, zuckte Valerie kurz zusammen.

      „Das wird er sein, er blinkt. Siehst du ihn schon?“

      „Nein.“ Aufmerksam starrte sie in die Dunkelheit. „Doch. Jetzt sehe ich den Lichtschein.“

      Scheinwerferkegel wurden immer heller, dann bog ein kleiner Kompaktwagen langsam in die Straße ein. Für einen Sekundenbruchteil schaute Valerie direkt in das Licht und war geblendet. Der Wagen fuhr weiter in Richtung des Parkplatzes. Wie in Zeitlupentempo kam er näher, der Fahrer schien auf jedes Detail zu achten. Beim Einbiegen in den kleinen Parkplatz blieb das Fahrzeug kurz stehen, die Scheinwerfer richteten sich genau auf das Gebüsch, hinter dem Valerie mit ihrem Wagen stand. Ihr Herz klopfte bis hinauf in den Hals. Langsam rutschte sie noch tiefer den Sitz hinunter, obwohl sie sich in dem großen SUV ohnehin immer verloren vorkam und kaum zu sehen war. Zwischen dem Lenkrad und der ausgeklappten Navi lugte sie hinüber. Sie atmete erleichtert aus, als der Wagen endlich auf den Platz fuhr und stand, die Scheinwerfer erloschen.

      „Und? Was passiert? Halt mich auf dem Laufenden.“

      Trotz der Verzerrung war Annas Anspannung zu spüren.

      „Gar nichts. Er ist noch nicht ausgestiegen. Schätze, er wartet ab, ob alles ruhig bleibt.“

      Wie zur Bestätigung flammte im Innern des fremden Wagens für einen kurzen Moment ein Feuerzeug auf.

      Valerie nahm das Fernglas mit Restlichtaufheller vom Beifahrersitz und führte es vor die Augen. Augenblicklich wurde die Welt um sie herum grün. Der winzige Glühpunkt der Zigarette reichte aus, um das Gesicht des Mannes soweit zu erhellen, dass sie seine Konturen erkennen konnte. Er schien schlank zu sein, durch den Schattenwurf wirkte er besonders markant. Sie legte das Fernglas zur Seite und nahm die Digitalkamera in die Hand.

      „Er raucht.“

      „Wir leben auch nicht wesentlich gesünder um diese Zeit. Wo sind eigentlich die Außendienstmitarbeiter, von denen du heute gegenüber der Tante vom Jugendamt gesprochen hast?“

      „Ach Anna. Lass deine Sticheleien.“

      „Ich mein ja nur, die könnten uns jetzt mal ablösen kommen.“

      „Anna-Lena, halt endlich deine bösartige Klappe, es geht los.“

      Die Tür des Autos schwang auf. Die Innenbeleuchtung war zuvor ausgeschaltet worden, im Fahrzeuginneren blieb es dunkel. Ohne ein Geräusch zu verursachen, drückte der Mann die Tür zurück ins Schloss. Schnell schoss Valerie einige Aufnahmen. Sich nach allen Seiten umschauend ging die schlanke Person zügig über die Straße zum schweren Rolltor.

      Valerie konnte den Mann hantieren sehen und nach wenigen Augenblicken verschwand die Gestalt auf dem Gelände. Valerie verlor sie aus den Augen, weil die aus ihrer Sicht vordere der beiden Wechselbrücken die weitere Sicht auf das Grundstück versperrte.

       Wieso stehen diese Kisten nicht auf dem Parkplatz?

      Erst als ein Bewegungsmelder die Beleuchtung des unmittelbaren Eingangsbereichs am Gebäude aufflammen ließ, konnte Valerie seine ungefähre Position erahnen.

      „Er ist jetzt im Gebäude.“

      „Na endlich, ich hatte schon befürchtet, wir müssen zu dritt den Mond anheulen.“

      „Ich schalte dich mal kurz weg, muss telefonieren.“

      „Ihr Mann hat soeben das Firmengebäude betreten“, raunte Valerie leise in ihr Handy, als könnte der Observierte mithören. Sie lauschte den Worten ihres Gesprächspartners und schaltete gleich darauf wieder zu Anna zurück.

      „Wir werden ihm folgen, wenn er sich wieder auf den Weg macht.“

      „Das fällt ihm früh ein. Eine Observation mit zwei Fahrzeugen ist unmöglich. Er wird es sofort merken.“

      „Wir werden eben zaubern müssen. Unser Auftraggeber möchte gern wissen, was er mit den Geräten macht, die er raus schafft. Wer weiß, ob es sobald wieder eine Gelegenheit gibt.“

      „So ein Blödsinn. Wir werden ...“

      „Er kommt zurück, Klappe halten“, unterbrach Valerie ihre Freundin in gespielter Strenge. Das zwischenzeitlich erloschene Licht am Gebäude brannte wieder. Gleich darauf hantierte die dunkle Gestalt wieder am Schloss des Rolltors und ging dann, sich immer wieder hektisch nach allen Seiten umschauend, schräg über die Straße zu seinem Wagen.

      Valerie war ausgestiegen und kauerte mit der Kamera in der Hand hinter dem Gebüsch, weil sie sich von hier aus bessere Bilder versprach. Der Auslöser verursachte leise klickende Geräusche.

      „Er fährt gleich los, setz dich schon mal in Bewegung. Du fährst vorweg, solange es möglich ist. Er kommt, es geht los.“

      „Und. Hat er etwas raus geschafft?“

      „Ich konnte nichts erkennen. Wird so klein gewesen sein, dass es in die Jackentasche passt.“

      Der kleine Wagen verließ ohne Licht den Parkplatz, erst als er schon ein ganzes Stück auf der Straße fuhr, wurden die Scheinwerfer eingeschaltet.

      Valerie saß längst wieder hinter dem Steuer. Sie startete den Dieselmotor und fuhr ebenfalls ohne Licht in die Straße. Der Wagen vor ihr bog nach rechts ab und verschwand aus ihrem Blick, endlich konnte sie die Scheinwerfer betätigen.

      „Er ist jetzt hinter mir. Lange wird das nicht gutgehen.“

      „Fahr erst mal. Lass dir nichts anmerken, wenn du falsch abbiegst. Mach keine Fisimatenten, fahr normal weiter, bis du unauffällig drehen kannst. Komm dann einfach hinter mir her und wir wechseln uns ab. Solange wir per Handy verbunden sind, kann nichts schiefgehen.“

      Anna lachte.

      „Fisimatenten, das hat meine Oma auch immer gesagt.“

      Die Fahrt währte nur kurz. Sie ging wenige Kilometer ziemlich direkt durch das nächtliche Hamburg. Der Verkehr war noch lebhaft genug, um nicht aufzufallen. Anna schaffte es geschickt, an zwei Kreuzungen so verhalten zu fahren, dass sie unauffällig vor dem Zielobjekt bleiben konnte. Nur an der dritten Kreuzung sah es zunächst so aus, als würde der Mann geradeaus fahren wollen. Erst im letzten Moment bog er nach rechts ab. Anna musste geradeaus weiterfahren und Valerie schloss dichter auf. Der große Volvo würde im Rückspiegel nicht lange unentdeckt bleiben. Zum Glück ging es nach wenigen Hundert Metern auf einen Gewerbehof, auf dem gleich vorn eine Tankstelle mit großer Waschanlage und ein Autozubehörhandel ihr Domizil hatten. Beide Geschäfte waren längst geschlossen und lagen im Dunklen, nur gegenüber auf dem großen Platz brannte noch die Neonreklame eines Truckerimbisses. Valerie fuhr mit ihrem Geländewagen in größerem Abstand hinter dem Mann her. Der kurvte um die Rückseite der Waschanlage und war nicht mehr zu sehen. Blitzschnell dirigierte sie Anna