L.U. Ulder

Taubenzeit


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      Wieder eine Pause.

      „Ja, das stimmt, man sieht niemandem seine Präferenz an. Bis morgen dann.“

      Langsam ließ sie die Hand mit dem Fernglas sinken.

      Mit großen Augen starrte Anna sie fragend an.

      Unterdessen verließen beide Wagen das Gelände und verschwanden auf verschiedenen Wegen in der Nacht.

      „Und? Was ist jetzt?“

      Valerie lächelte tiefgründig.

      „Ich habe ihm gerade sein Weltbild zerstört. Der arme Mann war ganz geschockt. Lesben waren für ihn latzhosentragende Frauen mit kurzen stacheligen Haaren, vorzugsweise bunt.“

      „Wer sagt uns denn, dass es nicht so ist? Und, was machen wir beide jetzt?“

      „Feierabend.“

      Kapitel 5

      „Los, nun mach endlich. Mir ist kalt. Steck ihr endlich die verdammte Zunge in den Hals.“

      „Anna, Mensch. Hör auf damit“, raunte Valerie leise. Erschrocken drehte sie sich nach allen Seiten um, ob irgendjemand Notiz von Annas Ausfällen genommen hatte. Die beiden älteren Damen am Nachbartisch schienen nichts mitbekommen zu haben, sie unterhielten sich weiter angeregt und nippten dabei an ihrem Kaffee. Davon abgesehen hätte sich Anna ohnehin nicht stören lassen, wenn sie erst einmal in Fahrt geraten war. Sie versuchte, mit den Händen über Kreuz die Kälte von den Oberarmen und Schultern zu reiben. Gleichzeitig behielt sie angespannt den abgewinkelten Monitor der Hochleistungskamera im Auge, die unscheinbar auf ihrem rechten Oberschenkel lag. Das Objektiv dieser Kamera wiederum fixierte ein Pärchen, das sich mindestens dreißig Meter entfernt in der Außengastronomie des benachbarten Restaurants niedergelassen hatte. Der Mann war Anfang 40, schlank, korrekter Haarschnitt, Businessanzug mit Krawatte, sein Trenchcoat hing über eine freie Stuhllehne. Die Frau nur wenig jünger, blonde Pagenfrisur, ebenfalls schlank und ebenso geschäftsmäßig mit dunkelblauem Hosenanzug bekleidet. Zwei Arbeitskollegen, so wirkten sie zumindest, Banker oder Versicherungsvertreter. Während Anna hochkonzentriert auf den richtigen Moment wartete, tat Valerie, genauso hochkonzentriert, als ginge sie das alles nichts an und versuchte, so unauffällig wie möglich zu wirken.

      „Ja genau, bis ran an die Mandeln. Super. Geht doch. Gib alles.“

      Valerie verdrehte die Augen. Die Freundin würde sich nie ändern.

      Leise Klickgeräusche verrieten, dass Anna den Auslöser drückte und eine ganze Serie von Bildern schoss.

      Mit Schwung drehte sie den Rollstuhl eine Vierteldrehung herum, dass beinahe die Kamera von ihrem Schoß gefallen wäre. Ihre großen dunklen Augen funkelten listig.

      „Geschafft, den Sack haben wir im Sack. Jetzt können wir zum gemütlichen Teil übergehen.“

      „Schön wär’s. Die Bilder reichen seiner Frau nicht, wir werden die beiden weiter observieren müssen. Ich muss wissen, was sie unternehmen. Wenn wir Glück haben, geht es nur ins nächste Hotel.“

      „Und dann?“

      Anna schaute ungläubig.

      „Müssen wir auch noch fotografieren, wenn sie ...?“

      Sie formte mit Daumen und Zeigefinger der linken Hand einen Kreis und ließ ihren rechten Zeigefinger rein und raus fahren. Die obszöne Geste war der jüngeren der beiden älteren Damen aufgefallen, mit gerunzelter Stirn unterbrach sie ihr Gespräch, setzte ihre Tasse ab und visierte Anna irritiert. Danach schaute sie über ihre zu Valerie herüber, die schmunzeln musste.

       Guck mal an, so alt bist du doch noch nicht.

      „Keine Panik. Wenn sie in ein Hotel verschwinden, rufe ich seine Frau an, sie wird ihn dann in der Empfangshalle in Empfang nehmen, wenn er fertig ist.“

      „Die Überraschung dürfte ihr gelingen. Also müssen wir hier noch länger rumlungern. Hoffen wir, dass er scharf genug ist und Geld für ein Hotel ausgeben will. Stell dir vor, die wollen es womöglich im Auto machen. Ich sehe uns schon in einem dunklen Parkhaus herumturnen.“

      Sie seufzte und drehte sich mit dem Rollstuhl wieder so, dass sie aus dem Augenwinkel die Zielpersonen beobachten konnte und richtete die Kamera erneut ein.

      „Was ist eigentlich aus unserer Observation neulich Nacht geworden, der Mann an der Tankstelle? Du hast dich doch mit dem Auftraggeber, deinem neuen Verehrer getroffen.“

      Valerie beugte sich vor, weil sie die Stimme absenkte, die Dame vom Nachbartisch unterhielt sich zwar weiter mit ihrer Begleiterin, aber Valerie war nicht entgangen, dass sie ständig herüber spannte.

      „Das mit dem Verehrer hat sich zum Glück erledigt. Mein kleiner Hinweis auf eine Lebensgefährtin hat ihn abkühlen lassen. Er war völlig distanziert und professionell, ganz so, wie es sich gehört. Seine Firma wartet und vertreibt EC-Terminals, das sind diese Dinger, wo du im Geschäft deine EC Card reinsteckst.“

      „Mensch Valli. Stell dir vor, ich weiß, was ein EC-Terminal ist.“

      Anna zog schnaufend die Luft ein und drehte ruckartig den Kopf weg.

      „Skimming!“

      „Und was ist das nun wieder?“

      „Aha. Ich dachte, das wüsstest du auch.“

      Annas rotzige Art forderte regelrecht zum Sticheln heraus, Valerie grinste bewusst so überheblich, wie es ihr möglich war.

      „Datendiebstahl. Er hat einen Terminal so manipuliert, dass er die Daten des Magnetstreifens und die PIN aufzeichnet. Das manipulierte Gerät hat er seinem Komplizen, dem Tankwart gegeben, der es, damit es niemand bemerkt, in der Nacht im Geschäft ausgetauscht hat. Mit dem Gerät konnten sie über mehrere Tage die Kundendaten auslesen und damit aus stinknormalen Kartenrohlingen mit Magnetstreifen EC-Karten-Dubletten herstellen und die Konten abräumen. Das heißt nein, es muss heißen 'hätten sie können', denn nach jener Nacht haben die Kollegen der Kripo übernommen. Wir sind raus.“

      „Dann war er ja ein richtig dicker Fisch.“

      „Na ja, wenn überhaupt untere Mittelklasse. Die dicken Fische brechen nicht nachts in die eigene Firma ein.“

      „Und. Bekommen wir zehn Prozent der möglichen Beute?“

      „Ja, schön wär's. Ich konnte nur den üblichen Satz berechnen. Aber wir haben einen neuen Auftrag. Eine Inkassofirma sucht einen Leasingbetrüger.“

      „Das sind ja wirklich die unglaublichsten Kriminalfälle, die wir klären.“ Anna rümpfte die Nase.

      „Was hast du denn gedacht, was ein Privatdetektiv so treibt? Die großen Fälle gibt’s nur im Fernsehen. Es könnte noch viel schlimmer kommen, als Kaufhausdetektive kleinen Mädchen und gefrusteten Hausfrauen hinterher zu schleichen.“

      „Vergiss es, dafür müssen wir uns nicht hergeben. Über die Runden kommen wir allemal.“

      „Ja klar, aber das hier hält unsere Reflexe auf trapp und du bist abgelenkt und kommst nicht so schnell auf dumme Gedanken.“

      Anna reagierte nicht auf die Provokation, sie starrte angespannt hinüber zu den beiden Zielpersonen.

      „Da hinten bei den Turteltauben kommt Bewegung ins Spiel, er winkt nach der Kellnerin. Wahrscheinlich soll es jetzt losgehen.“

      Valerie schaute unauffällig hinüber. Der Mann bezahlte, stand auf und half seiner Begleiterin in einen dünnen Sommermantel, den sie zuvor nicht gesehen hatten.

      „Wow, ein Kavalier alter Schule. Ich wette, das hat er bei seiner Frau schon ewig nicht mehr gemacht.“ „Die muss er auch nicht mehr beeindrucken, um sie zum Streichelzoo zu überreden. Wir müssen los, ich schiebe dich.“

      Beinahe wäre wieder die Kamera von Annas Schoß gerutscht, die Freundin erwischte sie im letzten Moment.