L.U. Ulder

Taubenzeit


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vor. „Na und? Das passiert doch ständig. Irgendwelche betrunkenen Jugendlichen, die nicht wussten wohin mit ihrer Energie.“

      „Nein, in diesem Fall war es anders. Gesi hat mir erzählt, was nicht in der Zeitung steht. Der Auspuff wurde mit Montageschaum vollgepumpt und auf die Motorhaube wurde das Wort 'Kinderporno-Graf' gekratzt. Graf, wie der Adelstitel. Ganz schön unangenehm, wenn deine Nachbarn am nächsten Morgen so etwas lesen können.“

      „Muss ja nicht stimmen. Vielleicht haben sich Jugendliche einen üblen Scherz erlaubt.“

      „Gesi meint, dass sich solche Vorfälle seit einiger Zeit häufen, als wenn jemand selbst Polizei spielt. Was treibt ihr da eigentlich in der Küche?“, rief er über die Schulter. Durch das Milchglas konnte man sehen, dass Valerie und Gesi bereits dicht an der Tür standen, aber immer noch miteinander sprachen.

      „Wir kommen gleich“, antwortete Valerie und drückte Gesi schnell einen Zettel in die Hand.

      „Kannst du den mal durch deinen Computer laufen lassen? Kontaktadressen, Fahrzeuge, Handynummern.“

      Gesi schaute sich den Zettel an. „Was ist das für ein Kunde?“

      „Deine Branche, Betrüger.“

      „Der Name sagt mir nichts. Ich rufe dich morgen an.“

      „Danke. Ach, noch etwas. Kennst du einen Kollegen, der Stefan heißt? Um die Dreißig, sportliche Figur, die Haare seitlich ganz kurz und gegelt.“

      „Sagt mir nichts. Und auf die Beschreibung passen bestimmt ein paar Hundert Kollegen.“

      „Von welchem Grafen spracht ihr?“, fragte Valerie, als sie aus der Küche zurück ins Esszimmer kam.

      Anna lachte laut auf.

      „Was du alles mitbekommst. Von dem Porno-Grafen.“

      Valerie schaute verständnislos von einem zum anderen.

      Gesine, die hinter ihr gegangen war, klärte sie auf.

      „Es gibt mehrere Fälle hier in der Stadt, bei denen Autos beschädigt wurden und jeweils der Schriftzug 'Kinderporno-Graf' in den Lack gekratzt wurde.“

      „Was passiert eigentlich, wenn man dieses Schaumzeug, von dem du sprachst, in den Auspuff pumpt?“, wollte Anna wissen.

      „Nichts“, bemerkte Thore trocken. „Also mit dem Auto passiert erst mal nichts mehr, der Auspuff ist zugeklebt und der Motor springt nicht mehr an. Den Auspuff kannst du wegwerfen.“

      „Das macht doch nichts, wenn das solche Ferkel sind.“

      „Anna, es könnte ja sein, dass es gar nicht stimmt mit dem Kinderpornokram“, gab Valerie zu bedenken.

      „Das ließe sich doch leicht rausfinden. Sobald einer anruft und meldet, dass sein Auto zerkratzt wurde, wird die Wohnung auf den Kopf gestellt, das volle Programm, Computer und so, ratzfatz.“

      „Genau“, sprang Thore Anna bei. „Das wäre doch kein Problem.“

      Gesine starrte beide entgeistert an und schüttelte den Kopf.

      „Wie stellt Ihr Euch das vor? Wir sind hier nicht in irgendeiner Bananenrepublik. Was ist denn, wenn es gar nicht stimmt und sich jemand einen üblen Scherz erlaubt? Außerdem, den Richter möchte ich sehen, der dafür einen Durchsuchungsbeschluss unterschreibt.“

      „Auch wenn es tatsächlich stimmen sollte, was ich nicht glaube, ist es nicht in Ordnung, dass jemand Selbstjustiz betreibt.“

      „Warum sollte es nicht stimmen, Valli?“

      „Weil ich mir nicht vorstellen kann, woher diese Täter die Daten der Pädophilen herbekommen haben sollen.“

      „Was waren das denn überhaupt für Leute, ich meine die geschädigten Autobesitzer?“, wollte Thore von Gesine wissen.

      „Ganz normale Bürger, es gibt keinerlei Erkenntnisse über sie, soweit ich weiß.“

      „Da haben wir es doch, das allein ist doch schon verdächtig genug“, triumphierte Anna. „Der Täter in der Maske des Biedermannes. Und ihr redet von Selbstjustiz. Es ist doch längst überfällig, dass etwas geschieht. Der Staat hat doch anscheinend gar kein Interesse daran, seine Bürger zu schützen.“

      Thore zwirbelte mit der rechten Hand seinen immer grauer werdenden Schnurrbart, bevor er weiter für Anna Partei ergriff.

      „Da hat Anna recht. Es wird immer und überall vom Täterschutz, vom Schutz seiner Persönlichkeitsrechte geschwafelt, aber wer kümmert sich um den Opferschutz? Private Organisationen wie der weiße Ring, das war's dann aber auch bald.“

      „Ok, das ist wirklich ein Problem. Aber das Gewaltmonopol kann doch nur in staatlichen Händen bleiben. Wer sonst könnte diese Aufgabe übernehmen? Und außerdem, die Leute können nur illegal an die Daten gekommen sein. Wie willst du denn als normaler Internetuser über die IP-Adresse eines anderen Users an dessen Personaldaten herankommen und dann auch noch herausbekommen, was der für ein Auto fährt?“

      Valeries Einwand ließ die Runde verstummen, Anna und Thore schauten sich achselzuckend an.

      „Genau diese Frage werden sich die Kollegen auch stellen. Ich denke, wenn sich die Fälle weiter häufen, wird es bald eine Ermittlungsgruppe dafür geben. Und jetzt lasst uns mal das Thema wechseln.“

      Gesine klatschte energisch in die Hände.

      „Ich habe im Büro genug um die Ohren, da muss ich mir nicht auch noch den Feierabend mit diesem unappetitlichen Thema verderben.“

      Kapitel 7

      Der Mechaniker im Blaumann stand neben der geöffneten Motorhaube und wischte sich mit einem ölverschmierten Putzlappen die Hände notdürftig sauber, als Ronald Leuschner durch den Seiteneingang die kleine Werkstatt betrat. Neben dem Wagen lagen ausgebaute Teile verstreut auf dem Fliesenboden.

      „Und? Wie sieht es aus?“

      Mit dem Kopf nickte er in Richtung Motorraum, er befürchtete das Allerschlimmste.

      „Schlecht. Wie wir es vermutet haben. Die Ölpumpe hat den Geist aufgegeben, die muss erneuert werden. Durch die fehlende Ölversorgung hat sich die Läuferwelle des rechten Turboladers festgefressen. Der Lader muss auch erneuert werden.“

      Leuschner verdrehte die Augen und trat nervös von einem Bein auf das andere. Blitzschnell überschlug er seine derzeitige finanzielle Situation.

      „Kriegt ihr dafür gebrauchte Teile? Ich habe keine Lust, in die alte Karre mehr reinzustecken, als sie wert ist.“

      „Das dürfte kein Problem sein, aber billig wird es deswegen trotzdem nicht. Um den Turbolader auszutauschen, muss der Motor samt Getriebe raus.“

      „Sieh zu, dass es so billig wie möglich wird, eine Rechnung brauche ich nicht, aber das weißt du ja.“ Der Mechaniker winkte ab und wandte sich wieder der in die Jahre gekommenen Luxuslimousine zu, während Leuschner gedankenverloren nach draußen ging.

      Auf dem Schotterparkplatz vor der kleinen, freien Autowerkstatt parkte sein weißer Firmenwagen. Bei dem alten Golf waren die Rücksitze ausgebaut und die hinteren Fensterscheiben blickdicht in Wagenfarbe zugeklebt, damit der Wagen eine kostengünstige Lkw-Zulassung bekommen konnte. Das Fahrzeuginnere wirkte wie eine rollende Müllhalde. Hinten lag Arbeitsmaterial zwischen Werkzeug und leeren Kartons, auf dem Beifahrersitz und davor auf dem Fußraum waren Geschäftsunterlagen verteilt, dazwischen blinkte hier und da eine leere Getränkedose oder zerknüllte Alufolie.

      Bedrückt setzte sich Leuschner in das Auto, seine Zähne knabberten an der Unterlippe, Schweißperlen standen ihm auf der Stirn. Wie in Trance fuhr er nach Hause und parkte den Wagen an der Straße vor dem kleinen, älteren Reihenhaus. Der Vorgarten wirkte ungepflegt, Unkraut trieb zwischen der spärlichen Bepflanzung und den altmodischen Waschbetonplatten heraus.

      Auch das Haus