Kendra Li

The One Eyed Bandits


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runzelt die Stirn und versucht den Gedanken an ihre Mutter schnell abzuschütteln. Sie sieht aus dem Fenster und betrachtet die hell gestrichenen Häuser mit ihren gepflegten Vorgärten.

      In dieser Gegend ist die Zeit irgendwie stehen geblieben. Weibliche Emanzipation oder Scheidung sind Schlagworte, die keiner hier zu kennen scheint. Man beschäftigt sich vielmehr mit der Pflege des eigenen Gartens oder man verabredet sich zum Einkaufen.

      Es gibt sogar einen alljährlichen Kuchenbackwettbewerb. Jade`s Mutter gewinnt ihn fast jedes Jahr.

      Es klingelt und Jade schreckt aus ihren Gedanken hoch.

      „Mein Handy,“ sagt Lillian und drückt auf die Freisprechanlage. „Hi Mum.“

      „Hallo, mein Schatz.“ Nina Clark`s Stimme füllt das Innere des Wagens. „Hör zu, ich muss dich um einen Gefallen bitten.“

      „Was gibt`s denn Mum?“

      „Oben im Schlafzimmer habe ich mein Kostüm liegen lassen. Das wollte ich heute Nachmittag noch in die Reinigung bringen. Ich hab`s ganz vergessen. Eine echte Katastrophe, denn ich brauche dieses Kostüm ganz dringend für Freitag Abend. Die Dinner-Party, du weißt schon. Könntest du vielleicht.....?“

      „Bin schon unterwegs, Mum.“ Lil verdreht die Augen und wirft ihrer Freundin einen vielsagenden Blick zu. Jade sieht grinsend aus dem Fenster.

      „Du bist ein Engel, mein Schatz. Bis heute Abend.“

      „Ja, bis später.“ Lillian drückt den Knopf und stöhnt. „Oh Mann, jetzt kann ich zu Hause dieses blöde Kostüm abholen und den ganzen Weg wieder zurück fahren.“ Sie seufzt. „Macht es dir was aus, wenn ich dich bei mir zu Hause schon raus lasse?“

      „Nein, natürlich nicht.“ Jade winkt ab. „Ich laufe gerne den Rest. Ein bisschen frische Luft wird mir gut tun.“

      „Prima. Ich danke dir,“ sagt Lillian erleichtert.

      Jade schlendert etwas lustlos. Sie hat es nicht gerade eilig nach Hause zu kommen.

      Ihre Mutter würde sie nur wieder bombardieren mit Nichtigkeiten aus ihrem Alltag.

      Was noch? Ach ja. Ein entnervter Vater erwartet sie, der irgendwie vom Weg abgekommen ist. Den ganzen Tag sitzt er in seinem Arbeitszimmer und heftet irgendwelche Dokumente ab. Er ist ein erfolgreicher Anwalt, doch nichtsdestotrotz todunglücklich.

      Jade streicht sich seufzend die Haare aus dem Gesicht. Dabei atmet sie kleine weiße Wölkchen aus. Verwirrt fasst sie sich an die Lippen und erst jetzt wird ihr bewusst, wie kalt es auf einmal geworden ist. Vor wenigen Minuten noch schien die Sonne und die Temperatur maß um die zwanzig Grad. Doch nun kriecht eisige Kälte durch ihre Jacke und in ihre Kleidung. Sie fröstelt und legt den Kopf in den Nacken. Der Himmel ist jetzt dicht bewölkt und grau.

      Hinter den Bäumen kann sie den Friedhof erkennen, der im seichten Nebel liegt. In der Ferne kräht ein Rabe. Unheimlich. Doch noch unheimlicher findet sie die ungewöhnliche Stille, denn nichts rührt sich in der ganzen Nachbarschaft. Die Gegend scheint auf einmal wie ausgestorben.

      Was geht hier vor?

      Jade fühlt sich mit einemmal beobachtet. Beklommen sieht sie sich um.

      Sie zwingt sich langsam einen Fuß vor den anderen zu setzen und ihre Augen suchen hektisch die Gegend ab, doch sie kann nichts Auffälliges entdecken. Nach einer Weile fängt sie an zu laufen, immer schneller, bis sie schließlich rennt.

      Ein lautes Knacken lässt sie ängstlich aufhorchen. Ihre Lungen fangen jetzt an zu brennen. Die Strecke nach Hause ist ihr noch nie zuvor so lange vorgekommen. Immer wieder wirft sie einen Blick über die Schulter, doch es ist niemand zu sehen.

      Nach einer Weile wird ihr bewusst, dass etwas nicht stimmt. Das Haus ihrer Eltern scheint nie in Sicht zu kommen. Wie kann das sein? Ist sie in ihrer Panik etwa schon daran vorbeigerannt?

      Sie verlangsamt ihren Schritt und atmet heftig. Dann dreht sie sich rasch um und ihr Blick gleitet über die Häuser in der Umgebung. Nein. Daran liegt es nicht.

      Sie will weiter gehen und übersieht dabei einen auf dem Gehweg liegenden Steinbrocken. Jade stolpert vornüber. Instinktiv reißt sie die Hände hoch, um sich abzufangen. Sie bekommt den Mast einer Straßenlaterne zu greifen und kann sich dadurch gerade noch rechtzeitig vor einem Sturz bewahren. Mit klopfendem Herzen richtet sie sich wieder auf. Ihr Atem geht unregelmäßig.

      Plötzlich vernimmt sie ein neues Geräusch. Sie horcht.

      Sind das Schritte, die durch die Stille hallen? Jade hält den Atem an, obwohl ihre Lungen brennen und nach Sauerstoff schreien.

      Sie wittert Gefahr. Von ihrem Instinkt getrieben rennt sie los, so schnell sie kann. Hin und wieder wirft sie ängstlich einen Blick über die Schulter, doch ihr Verfolger bleibt weiterhin unsichtbar.

      Und trotzdem meint sie den Hauch seines Atems im Nacken zu spüren.

      Abermals wirft sie einen panischen Blick zurück. Als sie den Kopf wieder nach vorn dreht, ist es bereits zu spät, um abzubremsen. Sie rammt direkt in jemanden hinein und fängt lauthals an loszuschreien.

      „Hey,“ ruft eine tiefe Stimme. „Jade, ich bin es.“

      Doch Jade hört nicht. Sie schlägt nur wie wild um sich, kratzt und beißt.

      „Jade!“

      Sie hebt den Kopf und hält unmittelbar inne. Ein grünes Augenpaar mustert sie besorgt. Sie keucht und reißt ungläubig die Augen auf.

      „Du?“ haucht sie atemlos. „Du...was machst du denn hier?“ Ihre Stimme zittert und sie fährt sich nervös mit der Zunge über die Lippen.

      „Geht es dir gut?“ Er legt sanft die Hand auf ihre Schulter.

      „Nein,“ sagt sie jetzt. „Nein, es geht mir nicht gut.“

      „Tut mir leid,“ sagt er leise. „Ich wollte dich nicht erschrecken.“

      „Das hast du aber.“ Sie fühlt sich schrecklich. Wie unangenehm! Sie hat sich in ihrer Panik vor ihm zum Affen gemacht. Was mag er jetzt nur von ihr denken? Sie hebt den Kopf und mustert ihn.

      Seit gestern hat sie diesen attraktiven Fremden nicht mehr aus dem Kopf bekommen. Sie hat sich gefragt, ob sie ihn jemals wieder sehen wird. Und nun steht er auf einmal vor ihr. Völlig unerwartet und plötzlich. Und wie beim letzten Mal raubt seine Nähe ihr den Atem.

      „Wie war nochmal dein Name?“ fragt sie, um wieder etwas Normalität in die Situation zu bringen.

      „Damon.“

      „Richtig. Damon.“ Sie fährt sich nervös durch die Haare. „Hör mal Damon, bist du mir gerade gefolgt?“ Ihre Stimme klingt heiser und sie räuspert sich.

      „Ja.“

      „Wie bitte?“ Jade ist entsetzt. Ist Damon etwa ein brutaler Serienkiller, der jungen Mädels auflauert, um ihnen die Kehle aufzuschlitzen? Beklommenheit macht sich in ihr breit.

      „Du musst keine Angst vor mir haben,“ sagt Damon amüsiert.

      „Ach nein?“ Es ist offensichtlich, dass sie an seinen Worten zweifelt. „Warum nicht?“

      „Weil kein Grund dafür besteht.“

      „Das behauptest du,“ meint sie mit einem ironischen Unterton in der Stimme.

      „Ich wollte mich nur bei dir entschuldigen.“

      „Entschuldigen?“ Jetzt ist sie verwirrt. „Wofür?“

      „Ich bin gestern relativ schnell verschwunden, als es dir so schlecht ging.“

      „Ja,“ sagt sie. „Ich dachte schon, es lag an mir.“ Sie lächelt schüchtern.

      „Es lag nicht an dir, soviel sei dir versichert.“

      „Okay.“ Eine kurze Pause entsteht. „Woran lag es dann?“ wagt sie jetzt