Siri Lindberg

Lilienwinter


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hängenden Schultern im Gang, während eine Küchenmagd dabei war, die Schweinerei aufzuwischen. Jerusha hatte erwartet, dass die Magd ihn auszanken würde wegen der zusätzlichen Arbeit, doch weit gefehlt – die Küchenmagd konnte kaum die Augen von ihm lassen. Was leider dazu führte, dass sie das unschöne Produkt seines Magens eher verteilte als entfernte. Dabei plapperte sie unaufhörlich. „Sowas kann ja mal passieren, hoher Herr, mir ist das auch schon mal widerfahren, beim letzten Frühlingsfest – die Bowle, ach, die Bowle, die hat mir einfach den Rest gegeben! Also grämt Euch nicht, und ich bin übrigens Agnes aus dem Clan YaCidor und…“

      „Entschuldigt, der hohe Herr muss jetzt leider gehen“, sagte Jerusha und zog den Elis am Ärmel davon.

      „Cetha Erieth, beim süßen Licht des Mondes, diese Frau war sehr freundlich zu mir“, meinte Colmarél halb verblüfft, halb geschmeichelt.

      „Ja, und als nächstes hätte sie dir wahrscheinlich einen Heiratsantrag gemacht“, sagte Jerusha trocken. „Du wirkst vornehm, und Eliscan sind nun mal schöner als Menschen, weißt du?“

      „Du meinst, sie fand mich schön?“

      Jerusha musste lächeln. „Ja, natürlich. Du bist nun mal ein gutaussehender Mann.“

      Fast staunend blickte Colmarél sie an, und Jerusha begriff. In einer Welt, in der jeder groß war und harmonische Gesichtszüge aufwies, war gutes Aussehen nichts Besonderes, es fiel höchstens auf, wenn jemand wie Qedyr vom Ideal abwich. Für die Eliscan musste Ouenda ein Reich von hässlichen Gnomen sein!

      Colmarél wandte sich halb um und blickte zu der Küchenmagd zurück, doch Jerusha dachte nicht daran, ihn loszulassen, und zog ihn weiter. Es hat gerade noch gefehlt, dass es in diesem kleinen Gasthof im Nirgendwo amouröse Verwicklungen zwischen Menschen und Anderwesen gibt!

      Schließlich kehrten sie zurück in die Gaststube, obwohl es nicht ganz leicht war, Colmarél dort hinein zu befördern, er stemmte die Füße gegen den Boden wie ein bockiges Maultier. Jerusha gab ihm einen leichten Schubs. „Schau am besten nicht hin“, raunte sie ihm zu, damit ihm vom Anblick des Spanferkels nicht schon wieder schlecht wurde, und führte ihn zum Tisch, an dem es sich die anderen bequem gemacht hatten.

      Gerade näherte sich ihnen der Wirt. „Wohlstand dem Clan…“

      „… und Wohlstand dem Earel“, ergänzte Qedyr, was der Wirt mit einem verblüfften Blick quittierte.

      „Er meint natürlich Treue“, mischte sich Kiéran ein. „Entschuldigt meinen Begleiter, er kommt aus dem fernen Elisondo und ist noch nicht so vertraut mit unseren Gebräuchen.“

      Auf dem Gesicht des Wirts zeichnete sich ein breites Grinsen ab. „Ach, ich fand den Gruß passend – der Earel meines Clans ist klingender Münze sehr zugetan. Was darf es denn für euch sein heute Abend?“

      Obwohl Jerusha furchtbar gerne ein Stück Spanferkel gehabt hätte, verzichtete sie darauf, um die Magennerven ihrer Begleiter zu schonen. Kurzerhand bestellte Kiéran Kürbisauflauf mit Rahm und Nüssen für alle, dann atmete er tief durch und warf einen Blick in die Runde.

      Colmarél lächelte schief, er war noch immer blass und vermied, zur Feuerstelle zu blicken. „Ganz schön in den Schlamm gesetzt haben wir das, nicht wahr?“, sagte er. „Wenigstens den Gruß hätten wir richtig hinbekommen können.“

      „Das war nicht weiter schlimm“, sagte Kiéran ruhig. „Aber ihr hättet uns nicht davonreiten dürfen. Nicht nur um euretwillen. Was wäre gewesen, wenn wir eure Hilfe gebraucht hätten?“

      Jerusha hielt den Atem an. Wie würden die Eliscan reagieren? Gerade hatte Kiéran ihren König ganz offen zurechtgewiesen.

      Doch die drei Eliscan blickten nicht gekränkt drein, nur betroffen.

      „Das ist richtig“, sagte Qedyr schließlich. „Eine Gruppe, die Mitglieder achtlos zurücklässt, ist keine gute Gruppe. Verzeiht uns.“

      „So sei es“, erwiderte Kiéran förmlich, und Jerusha nickte.

      Immerhin, der Auflauf und das Gewürzbier schmeckten den Eliscan. Nach dem Mahl war es Zeit, mit den Nachforschungen zu beginnen. Jerusha liess sich von den Eliscan noch einmal genau erklären, wann, wo und mit wem der Zwischenfall angeblich stattgefunden hatte, dann winkte sie den Wirt zu ihrem Tisch und erkundigte sich: „Könnt Ihr uns sagen, ob es hier in Oordak vor nicht allzu langer Zeit einen Zwischenfall gab? Einen Zwischenfall, bei dem vier Reisende verletzt wurden?“

      Der Wirt schüttelte ohne Zögern den Kopf. „Ghalils Schande, nein, das hätte ich sicher gehört. Was ist denn mit den Reisenden passiert, wurden sie ausgeraubt?“

      „Angeblich wurden sie von Dorfbewohnern angegriffen.“

      „Also, das kann ich mir nun wirklich nicht vorstellen! Wir leben doch hier an der Handelsstraße, wir sind gewöhnt, dass Fremde durchreisen. Wovon sollen wir leben, wenn wir sie vergraulen?“

      Jetzt mischte sich Qedyr höflich ein. „Aber so etwas kommt vor. Man streitet sich, ein Wort gibt das andere, und zu den harten Worten kommen Taten, die man nachher bereut.“

      Ratlos hob der Wirt die Schultern. „Natürlich, wem sagt ihr das, gerade die jungen Burschen können laut und heftig werden, wenn sie dem Met zugesprochen haben. Ich werfe jede Woche einige von ihnen raus. Aber gleich vier Reisende… nein, das hätte ich sicher erfahren, mir und den Meinen kommt viel von dem zu Ohren, was in Oordak vorgeht.“

      „Ich verstehe“, sagte Qedyr ruhig. „Wir danken Euch, Wirt.“

      Nachdem sie wieder allein waren, sahen sie sich alle fünf gegenseitig an, einen Moment lang herrschte Schweigen am Tisch. Dann stand Jerusha auf. Nächste Runde der Nachforschungen! „Ich versuche, mit den Bauern dort zu reden, die wohnen sicher in der Gegend und wissen womöglich etwas.“ Sie holte ihren halb getrockneten Umhang und nutzte dabei die Gelegenheit, mit den Männern ins Gespräch zu kommen. Nachdem sie eine Weile mit ihnen geplaudert und gescherzt hatte, wurde sie ihre Fragen los. Wieder gab es keinen Hinweis darauf, dass hier Anderwesen beinahe gelyncht worden waren. Rawelha, die sich als Zeugin des Gesprächs zu ihr gesellt hatte, lauschte aufmerksam.

      „Wir hören uns morgen nochmal in Oordak um“, sagte Kiéran. „Dann sollten wir endgültig Klarheit haben.“

      Doch die Stimmung der Eliscan war schon jetzt deutlich entspannter als zuvor, sie glaubten wohl nicht mehr daran, dass das Ereignis stattgefunden hatte. Sie plauderten bis zu später Stunde und wirkten noch frisch wie eh und je, doch als Jerusha verstohlen gähnte, reagierten die Eliscan sofort.

      „Zeit, die Zeche zu begleichen und unsere Zimmer in Augenschein zu nehmen“, sagte Qedyr und winkte den Wirt heran, als habe er so etwas schon tausendmal gemacht. „Wir bleiben zwei Nächte, guter Mann.“

      Zum Glück sah Jerusha rechtzeitig, dass der Eliscan-König ein Goldstück aus der Tasche zog und auf den Tisch legte. Rasch stellte sie ihren Krug darauf, bevor der Wirt es sah, und zog selbst ein paar Kupfermünzen aus ihrer Börse, mit denen sie die Zimmer zahlte.

      „Was war das denn?“, fragte Kiéran verwirrt, als der Wirt davongewatschelt war. Münzen blieben seinen neuen Augen verborgen.

      „Unsere neuen Freunde haben versucht, das ganze Gasthaus zu kaufen“, berichtete Jerusha vergnügt, und die Eliscan machten große Augen. Jerusha schob ihnen das Gold wieder zu. „Das müssen wir irgendwann in einem größeren Ort wechseln. Hier würde es zu viel Aufsehen erregen.“

      „Sehr erstaunlich. Dabei haben wir uns bemüht, Münzen aus Ouenda zu beschaffen, um nicht aufzufallen.“ Qedyr drückte das Gold Jerusha in die Hand. „Hier, bitte nehmt das – natürlich tragen wir die Kosten der Reise.“

      „Ich danke Euch!“ Ehrfürchtig drehte Jerusha das weiche Metall in den Fingern. Sie hatte noch nie eine Goldmünze in der Hand gehabt und war verblüfft, wie schwer sie war. Sorgfältig steckte sie sie ein.

      Und dann – endlich wieder allein mit Kiéran, so lange hatte sie sich nach diesem Moment gesehnt.