Siri Lindberg

Lilienwinter


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ein Pferd, wie man in Loreshom noch keins gesehen hat.“

      Nebeneinander schlenderten sie über den Markt, und Jerusha hielt Ausschau nach einem Tier, das ihr gefiel. Kiéran hoffte inständig, dass sie ihn trotzdem rechtzeitig warnte, bevor er in einen Stapel Strohballen hineinlief. Peinliche Situationen hatte er schon genügend überstehen müssen, seit er blind geworden war.

      „Schau mal, ob du ein Pferd aus der Zucht von Tinad´alshar findest“, meinte er. „Die sind nicht zu schlagen, was Schnelligkeit und Ausdauer angeht. Und beides werden wir auf so einer Reise brauchen.“

      Er vermisste seinen schwarzen Hengst Reyn mehr denn je, das Mistvieh war ihm sehr ans Herz gewachsen. Ob Charis überhaupt schaffte, es ihm vor dem Aufbruch zurückzubringen? Oder, noch schlimmer, würde sie Reyn mit Hilfe seiner Vollmacht aus Cyr abholen und dann einfach verschwinden? Bin ich ein Trottel gewesen, ihr zu vertrauen? Warum habe ich eigentlich gedacht, dass sie tun würde, worum ich sie bitte? Wahrscheinlich, weil sie sich gemeinsam mit Tarxas so rührend um mich gekümmert hat in dieser unerträglichen Zeit nach Santiagos Tod, als ich dachte, dass Jerusha mich verraten hat.

      „Die hier macht einen guten Eindruck, und es ist eine Fuchsstute, so wie Amadera.“ Jerusha seufzte tief. Sie fragte den Verkäufer nach dem Preis, und währenddessen versuchte sich Kiéran mit den Händen ein Bild davon zu machen, ob das Pferd etwas taugte. Edler Kopf, lange Mähne – klar, das sah gut aus, so etwas mochten Frauen – doch die Beine gefielen ihm nicht, die vordere Fessel fühlte sich sogar ein wenig warm an, konnte sein, dass mit der Sehne etwas nicht stimmte.

      „Kein gutes Geschäft“, sagte Kiéran, und sie gingen weiter. Als nächstes begeisterte sich Jerusha für einen Apfelschimmel, doch Kiéran schüttelte den Kopf. „Ein Schimmel? Vergiss es. Stell dir vor, du bist mit deinen Leuten gerade im Wald und willst möglichst nicht gesehen werden – nur leider hast du ein Pferd, das jeder ruckzuck entdeckt ...“

      „Aber wir haben bald Winter, und wenn Schnee liegt, ist ein weißes Pferd sehr gut getarnt“, widersprach Jerusha, sie klang enttäuscht.

      „Ja, aber was ist, wenn wir durch Yantosi reisen müssen?“, wandte Kiéran ein. „Dort wird dir der Gaul unter dem Hintern weg beschlagnahmt, weil dort nur Richter weiße Pferde besitzen dürfen.“

      „Stimmt“, sagte Jerusha, und danach lange nichts mehr. Sicher dachte sie jetzt an diesen Bastard, den Gerhan KaoRenda und was er ihr angetan hatte. Es tat Kiéran leid, dass er sie daran hatte erinnern müssen; auch er hielt kaum aus, daran zu denken. Wahrscheinlich war sie jetzt außerdem wütend auf ihn, weil er ihr den Spaß an jedem Pferd verdarb, das ihr gefiel. Ab jetzt halte ich den Mund, außer sie will einen Ackergaul erstehen, der keine Chance hat, mit den leichtfüßigen Eliscan-Pferden mitzuhalten!

      Er hörte, wie ihre Schritte sich beschleunigten. „Das da vorne“, sagte sie. „Das ist das Richtige.“

      „Woran siehst du das?“, fragte Kiéran alarmiert, weil sie dem Vieh anscheinend nicht mal auf die Zähne geschaut hatte.

      „Weil es ein Eliscan-Pferd ist“, sagte Jerusha, und Kiéran schnappte nach Luft. „Es ist was ...?!“

      „Keine Sorge“, sagte sie und kicherte. „Nein, ein echtes ist es natürlich nicht. Aber es sieht genauso aus. Lange Beine, zierliche Hufe, aufmerksamer Blick, stolze Haltung, du weißt schon.“

      Langsam beruhigte sich Kiéran wieder. „Welche Farbe? Nicht weiß, oder?“

      „Du spinnst wohl, ich nehme doch kein weißes Pferd!“ Jerusha klang empört, sie bekam das ziemlich echt hin.

      Kiéran grinste. „Niemals würdest du sowas tun, ich weiß.“

      „Es ist eine isabellfarbene Stute, so nennt man das doch, oder? Hellbraun, mit blonder Mähne und Schweif. Perfekt getarnt! Wenn mir die im Herbstwald wegläuft, finde ich sie nie wieder.“

      Sie hatte schon begonnen, den Verkäufer zu befragen. Doch auch ohne dessen Auskünfte hätte Kiéran rasch gemerkt, dass die Stute aus der Zucht von Tinad´alshar stammte. Ihre Beine fühlten sich an, als seien sie aus Stahl. Sanftmütig war sie außerdem; während Kiéran ihre Hufe abtastete, knabberte sie nur leicht an seinem Hemdkragen. „Braves Mädchen“, murmelte Kiéran und klopfte ihr den Hals. Reyn hätte ihm in der gleichen Situation das halbe Hemd zerfetzt.

      Der Verkäufer wollte zwei Silber und fünf Dag, doch Jerusha handelte ihn gnadenlos auf zwei Silber herunter. Kiéran lächelte in sich hinein. Nein, eine Verschwenderin würde sie in diesem Leben nicht mehr werden.

      Nachdem Jerusha eine Proberunde auf der Stute geritten war, fragte Kiéran den Verkäufer: „Wie sieht´s mit ihrem Stammbaum aus?“

      „Sie heißt Dola und stammt von Diamy aus der Riikion“, bekam er zur Antwort, dann ratterte der Verkäufer die Namen ihrer sämtlichen Vorfahren bis in die 10. Generation herunter. Kiéran erkannte ein paar und nickte zufrieden.

      „Wir nehmen sie“, verkündete Jerusha. „Aber Dola ist kein schöner Name, ich werde sie Damaris taufen. Irgendwann habe ich mal eine Geschichte gehört, in der jemand so hieß.“

      Kiéran wettete, dass der Verkäufer jetzt ziemlich blöd dreinblickte. Stumm händigte er Jerusha etwas aus, wahrscheinlich den Kaufvertrag und eine Schriftrolle mit dem Stammbaum. Dankend nickte Kiéran ihm zu, dann führten sie ihre Neuerwerbung zu einem Stand mit Lederwaren, um gleich noch Sattel, Zaumzeug und Satteltaschen zu erstehen.

      ***

      Und dann, nach vielen Vorbereitungen, war es soweit. Der Sichelmond stand am Himmel, in dieser Nacht würden sie aufbrechen – sie hatten versucht, so viel wie möglich am Tag zu schlafen, um später durchzuhalten. Jerushas Herz klopfte. Würden der König und die anderen Eliscan überhaupt am Treffpunkt sein, so wie vereinbart? Vielleicht hatte Qedyr es sich noch einmal anders überlegt, ob er wirklich das Risiko eingehen wollte, mit ihnen durch Ouenda zu reisen.

      Sie prüfte zum dritten Mal, ob sie auch alles richtig gepackt hatten – Proviant, Sachen zum Wechseln, ihren neuen Umhang aus leichter, aber warmer Wolle, ein Reise-Medicum, Bildhauerwerkzeug und vieles andere mehr. Auch ihren Bogen aus Eschenholz und zwei Dutzend selbst gefertigte Pfeile würde Jerusha mitnehmen. Eine richtig gute Schützin werde ich zwar nicht mehr, dazu sind meine blöden Augen einfach zu schwach. Aber ich werde den KiTenaros auch keine Schande machen!

      Dann war es Zeit, sich zu verabschieden. Ihrer besten Freundin Kianna hatte sie schon am Nachmittag schweren Herzens Lebewohl gesagt, nun war ihre Familie dran. Gemeinsam gingen sie und Kiéran hinüber zum Hof der KiTenaros. Liri schlang die Arme um Jerushas Hals.

      „Ich werde wieder auf die Nachtlilien aufpassen, das schwöre ich. Jeder, der ihnen schaden will, bekommt einen Pfeil zwischen die Rippen!“

      „Na klar.“ Jerusha lächelte. Das hatte ihre Schwester auch bei ihrem ersten Abschied versprochen, doch sie bezweifelte stark, ob sie die Drohung wahr machen würde. Liri brach ja schon in Tränen aus, wenn sie einen Hasen für den Kochtopf schießen sollte.

      „Versprichst du mir, dass du regelmäßig in die Schule gehst?“, flüsterte Jerusha ihr ins Ohr. „Nicht schwänzen, auch wenn du noch so gerne mit dem Bogen üben würdest, in Ordnung?“

      „Versprochen“, flüsterte Liri zurück. Dann umarmte sie auch Kiéran. „Xatos schütze dich!“

      „Ich hoffe, er findet Zeit dazu“, sagte Kiéran und lächelte schief.

      Der Abschied von ihrer Mutter war weniger gefühlvoll. „Kommt bald zu uns zurück, ihr beiden“, sagte Myrial zu ihnen, bevor sie sie umarmte. Ihre Berührung war leicht wie ein Windhauch. Kraftlos. Jerusha musste an ihre Großmutter Kala denken, und merkte, dass sie sie vermisste. Wie gut, dass wenigstens Kala noch ihren Frieden gefunden hatte. Was kann ich tun, damit auch Mutter neuen Lebensmut gewinnt?, ging es ihr durch den Kopf. So bitter es ist, wahrscheinlich nichts.

      Dann ritten Jerusha und Kiéran los. Damaris tänzelte frohgemut voran, gehorchte aber Jerushas leichtestem Schenkeldruck, es fühlte sich fast wie Gedankenübertragung