Siri Lindberg

Lilienwinter


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sicher nur sehen, ob bei euch Armeen aufmarschieren oder nicht, fügte Koriónas hinzu.

      Kiéran stützte den Kopf in die Hände und massierte seine Schläfen. „Wenn wir Pech haben, sieht er das sogar. Schließlich habe ich die ganze letzte Woche damit verbracht, das Maul aufzureißen und landauf, landab Leute zu warnen.“

      „Stimmt, und die Priester des Schwarzen Spiegels bereiten sich bestimmt vor ... aber welcher der großen Fürstenhöfe hat bisher auf deine Botschaften reagiert?“ Jerusha klang skeptisch. „Doch nur der aus Kalamanca, richtig?“

      Er nickte. „Genau. Und die haben sowieso kaum Truppen. Aus Benaris habe ich noch keine Antwort, in Khelgardsland wird gerade erst ein neuer Regent bestimmt, im Moment fühlt sich niemand zuständig, und Fürst Ceruscan aus Yantosi hat vermutlich kein Interesse mehr daran, meine Nachrichten zu öffnen ...“

      „Weil du sein Angebot abgelehnt hast, in seine Leibwache einzutreten?“

      „Nicht nur das. Ich habe ihm auch auf den Kopf zugesagt, dass seine Lieblings-Heilerin ein Anderwesen ist und sich offenbar an seinem Hof eingeschlichen hat. Du hättest ihn sehen sollen. Er war wütend wie ein angestochener Keiler, aber nicht auf seine Heilerin, sondern auf mich!“

      So viele Einwände. Koriónas Stimme war sanft. Aber seid ehrlich, welche Wahl habt ihr denn? Es ist vielleicht eure einzige Chance, einen Krieg zu verhindern. Aus irgendeinem Grund vertraut euch Qedyr. Macht was draus!

      „Na gut“, sagte Kiéran – er wusste, dass der Drache Recht hatte. „Ich hoffe, sie schicken als Eskorte ein paar Leute, die schon mal in Ouenda waren. Sonst fallen wir mit denen auf wie eine Herde blauer Schafe auf dem Marktplatz.“

      Jerusha seufzte. „Ja, leider. Colmarél ist ein netter Kerl, aber was der hier bräuchte, ist kein Führer, sondern ein Kindermädchen.“

      Koriónas hatte zugehört, aber nichts gesagt. Seine Augen schienen in die Ferne zu blicken, ohne etwas zu sehen. Er zuckte merklich zusammen, als Jerusha ihn ansprach. Was war mit ihm los, bedrückte ihn etwas?

      Auch Jerusha schien aufgefallen zu sein, dass Koriónas abwesend wirkte. „Was ist los, alter Freund? Alles in Ordnung?“, fragte sie ihn und strich mit der Hand über seine Vorderpranke.

      Der Wind weht scharf und kühl in dieser Nacht, entgegnete der Drache.

      „Ja, das stimmt – danke, dass du trotzdem gekommen bist, um uns beizustehen“, sagte Jerusha. Koriónas sandte ihnen ein Abschiedsgruß, dann griffen seine Flügel, groß wie die Segel einer Karavelle, in die Luft, seine Hinterbeine stießen sich kraftvoll vom Boden ab und katapultierten seinen Leib dem Himmel entgegen.

      Jerusha wickelte sich fröstelnd den Umhang enger um ihren Körper. „Ich finde, das klang irgendwie rätselhaft, findest du nicht? Kühl ist es zwar schon, aber so stark ist der Wind nicht.“

      Auch Kiéran war das aufgefallen. „Was auch immer los ist, anscheinend will er nicht darüber reden. Besser, ihn nicht zu drängen.“ Er nahm Jerusha in die Arme, um ihr etwas von seiner Wärme abzugeben, doch so richtig erfolgreich war er damit nicht, es waren zu viele Schichten feuchter Wolle zwischen ihnen.

      Nachdem sie alle Spuren des Drachenbesuchs beseitigt hatten, beeilten sie sich, in die Kate zurückzukommen und ein Feuer im Kaminofen in Gang zu bringen. Bei Mondaufgang des nächsten Tages sagten sie ihrem Besucher aus Khorat, was sie entschieden hatten – dass sie dem König den Gefallen mit dem größtem Vergnügen tun würden und sich schon auf seinen Besuch in Ouenda freuten. „Das ist herrlich“, freute sich der junge Elis. „Dann kann es schon bei Rhovei – so nennen wir den Sichelmond – losgehen, das ist ein guter Zeitpunkt für den Beginn einer Reise. Ich freue mich schon.“

      Kiéran schwante Böses. „Wie viele Eliscan werden denn mit dem König herkommen?“, fragte er, und Colmaréls Gestalt leuchtete vor lauter Begeisterung hell wie die Sonne. „Drei“, erwiderte er. „Der König, eine Leibwächterin ... und ich!“

      „Großartig“, sagte Kiéran und lächelte freundlich.

      Allmählich wurde er richtig gut im Lügen.

      Abschied

      In zwei Wochen sollte die Reise beginnen. Jerusha graute davor, dass sie auf der Tempelbaustelle Bescheid sagen musste, dass sie so bald nach der Rückkehr von ihrer letzten Reise erneut aufbrechen musste. Also brachte sie es am nächsten Tag hinter sich. Wie erwartet war Goram TeRulius, der Erste Baumeister, außer sich vor Wut. „Du treuloses Stück Käferdung! Wie stellst du dir das vor? Der Tempel wird in genau einem Jahreslauf geweiht, und was ist, wenn dein Xatos dann halbfertig herumsteht, hä?“ Er war so aufgebracht, dass sein wilder dunkler Bart sich zu sträuben schien.

      „Er wird fertig sein“, sagte Jerusha fest und bat die Göttin Shimounah darum, dass sie dieses Versprechen würde halten können. Wenn ein Baumeister schlecht über eine Bildhauerin redete, brauchte diese nicht zu hoffen, jemals wieder interessante Aufträge zu bekommen.

      Goram ließ den Fäustelhammer auf einen Arbeitstisch fallen und klopfte sich die Hände ab, dass es staubte. „Wie lange wirst du denn überhaupt weg sein, und wohin soll´s gehen? Wirst du mit deinem Geliebten die Blütenküste entlangflanieren oder was? Ein hoher Offizier ist er, habe ich gehört, ein Terak Denar.“

      Aha, also hatte Goram von Kiérans Besuch auf der Tempelbaustelle erfahren! Es war ein Fehler gewesen, Kiéran nicht offiziell vorzustellen, das hatte sie jetzt davon.

      Es schüchterte Jerusha nicht ein, dass Goram so ärgerlich war, im Gegenteil, so langsam entzündete sich ihre eigene Wut. „Nein, Goram“, schleuderte sie zurück. „Wir werden nicht die Blütenküste entlangflanieren, wir werden versuchen, einen Krieg zu verhindern! Damit dieser miese, kleine Tempel nicht zu Rauch und Asche wird mitsamt allen Ornamenten darin!“

      Das bremste Goram, einen Moment lang blickte er sogar verblüfft drein. „Ach wirklich?“, brummte er. „So schlimm steht es? Woher weißt du das?“

      „Glaub mir, ohne guten Grund würde ich meine Arbeit nie unterbrechen – du weißt, was mir dieser Xatos bedeutet“, sagte Jerusha etwas besänftigt.

      Der Erste Baumeister grinste verschmitzt. „Ja, Mädel, und seit gestern weiß ich auch wieso. Immerhin hast du dich nicht in einen hässlichen Gnom verguckt, das hätte nicht gepasst.“

      Jerusha stöhnte. Also war die Ähnlichkeit schon gestern einigen aufgefallen, wie peinlich. Aber das war wohl nicht zu verhindern gewesen, Kiéran hatte sie gewarnt.

      Für Goram war das Gespräch anscheinend beendet, er schlug ihr auf die Schulter, brummte ein „Cerak leite dich!“ und ging wieder an die Arbeit.

      Das war ja nochmal glimpflich ausgegangen. Allerdings war Jerusha noch nicht klar, wovon sie in der Zeit, in der sie unterwegs war, ihre Familie ernähren sollte – einen Lohn würde sie natürlich nicht erhalten, ihre Mutter verdiente als Wäscherin wenig und Liri sollte auf keinen Fall die Schule hinwerfen, um eine Arbeit anzunehmen. Natürlich, Kiéran ist nicht arm, schließlich stammt er aus einem einflussreichen Clan, ging es ihr durch den Kopf. Aber ich würde ihn niemals darum bitten, mir Geld zu geben, das wäre zu demütigend. Wie hatte Kiéran es bei ihrer ersten Begegnung ausgedrückt? „Ich glaube, Ihr leidet an der gleichen Krankheit wie ich – zuviel Stolz.“ Ja, das stimmte, und sie kannte keine Heilung dafür.

      Jerusha arbeitete besonders hart an diesem Tag, um auszugleichen, dass sie ihre Arbeitsgefährten schon bald im Stich lassen würde. Völlig erschöpft ritt sie lange nach Sonnenuntergang auf Louc, den sie von Kiéran geliehen hatte, nach Hause.

      Am liebsten hätte sie sich gleich ins Haus geschleppt, doch das ging nicht, erst musste sie sich um die Nachtlilien kümmern. Alle paar Tage brauchten sie Wasser mit einer Prise Asche als Dünger darin, damit sie keine welken Stellen bekamen. Also ritt Jerusha gleich weiter zum Hof ihrer Familie, einem niedrigen, aus Feldsteinen gemauerten Gebäude. Dort brannte anscheinend ein Feuer im Kamin, und Jerusha sog die klare, kalte Luft ein, die