Siri Lindberg

Lilienwinter


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hier, eine bessere Antwort gab es nicht. Kiéran war so bewegt, dass er kaum zu sprechen wagte.

      Es war der König, der schließlich das Schweigen brach. „Kiéran SaJintar“, sagte er, und es war Kiéran, als höre er seinen Namen das erste Mal, so fremdartig und melodisch klang er, wenn Qedyr ihn aussprach. „Jerusha KiTenaro. Ich muss mich daran gewöhnen, euch so zu nennen, wie es in eurer Welt üblich ist. Sonst merkt jeder, dass wir nicht von hier sind.“ Irgendwie wusste Kiéran, dass er jetzt lächelte.

      Kiéran fiel gerade noch rechtzeitig das Eliscan-Wort für Majestät wieder ein. „Thybrelis, es ist uns eine Ehre, Euch durch Ouenda zu geleiten, und am besten nennen wir uns ab jetzt einfach beim Erstnamen, wenn Ihr einverstanden seid.“

      Der König nickte leicht und bedeutete seinen beiden Begleitern mit einer Geste vorzutreten. „Rawelha“, stellte er die Frau vor, die wohl seine Leibwächterin war; sie war etwas größer als der König und ihre Gestalt hatte für Kiérans neue Augen einen hellen, fast silbrigen Glanz. „Colmarél“, sagte Qedyr, und auch sein zweiter Begleiter trat jetzt vor, Kiéran erkannte ihn an dem rotgoldenen Schimmer seiner Erscheinung.

      Jerusha räusperte sich. „Gi sa wyín, ardesh k´ion“, sagte sie. „Sprecht ihr alle Ouén? Es würde Verdacht erregen, wenn wir uns in Alter Handelssprache unterhalten.“

      „Natürlich.“ Qedyr neigte den Kopf. „Dieser Gedanke kam uns auch, deshalb habe ich Rawelha für die Begleitung ausgewählt – sie beherrscht mehrere Sprachen ...“

      „ ... und ich habe Tag und Nacht gelernt“, mischte sich Colmarél eifrig ein. Zu Kiérans Überraschung duldete es Qedyr, dass sein jüngerer Begleiter ihn unterbrach, er beachtete es einfach nicht und sagte: „Wir haben alte Schriften studiert und unsere Kundschafter in euren Reichen befragt, damit es uns gelingt, nicht aufzufallen. Haben wir passende Kleidung gewählt?“

      Fragend blickte Kiéran zu Jerusha hinüber, er selbst sah solche Details ja nicht mehr. An Jerushas Stimme hörte er, dass sie sich das Lachen verbeißen musste. „Fast. Rawelha ... diese Lederkappe tragt Ihr falsch herum. Colmarél, die Haare offen zu tragen, ist in diesem Fürstentum Frauen vorbehalten, besser Ihr bindet sie hinten zusammen. Und ach ja, Euer Pferd. Rawelha ... ich fürchte, wir müssen es ein bisschen färben. Sonst wird es Aufsehen erregen, denn schwarze Pferde mit weißer Mähne gibt es bei uns nicht.“

      „Färben?“, fragte die Leibwächterin, ihre Stimme klang leise und etwas eingeschüchtert, mädchenhaft. Doch wenn man ihr den Schutz des Königs anvertraut hat, muss sie eine außergewöhnliche Kämpferin sein. Kiéran beobachtete sie, doch solange er sie nicht in der Bewegung sah, fiel es ihm schwer, ihre Fähigkeiten einzuschätzen. Wenn sie ebenso schnell ist wie Silmar, könnte sie mich wahrscheinlich in ein paar Minuten erledigen.

      „Das mit dem Färben ist nicht so schwierig wie es klingt“, versicherte ihr Jerusha rasch. „Bei unserem nächsten Rastplatz bereiten wir einen Sud aus Nussschalen zu, der verwandelt das Weiß in ein dunkles Braun.“

      „Wir werden ohnehin behaupten, dass ihr aus Elisondo seid, es ist also nicht weiter schlimm, wenn ihr anderen Leuten etwas ausländisch vorkommt“, meinte Kiéran. „Elisondo ist so weit weg, dass kaum einer weiß, wie die Leute dort leben. Man traut ihnen alle Merkwürdigkeiten zu.“ Von den verschiedenen Ländern, in denen er als Sohn eines Gesandten gelebt hatte, konnte er sich an Elisondo am klarsten erinnern, und es waren gute Erinnerungen.

      „Ah ja, Elisondo, das Land der blauen Wolken – es ist beliebt bei unsereins“, sagte Qedyr, er klang erfreut.

      „Umso besser“, übernahm Jerusha wieder das Wort. „Nun zu unserer Reiseroute – wohin wollt ihr? Kennt ihr die Namen von Orten, an denen die Menschen angeblich den Krieg gegen euch vorbereiten?“

      „Ja“, sagte Colmarél und holte etwas aus seinem Umhang, wahrscheinlich eine Schriftrolle. Jerusha las halblaut vor, was darauf stand: „Oordak, nahe dem Wald von Atordar.“

      „Dort wurden, so sagt man, vor einem Jahreslauf vier Eliscan von Menschen angegriffen und schwer verletzt“, sagte Qedyr, er klang sehr ernst.

      Wieder Jerushas Stimme, sie las den zweiten Punkt vor. „Uming, an der Grenze zwischen Benaris und Yantosi. Was soll dort passiert sein?“

      „Dort sammeln sich Berichten nach Bewaffnete und üben den Kampf gegen Eliscan. Doch wir wissen nicht genau, ob wir diesen Berichten vertrauen können.“

      Nur mit äußerster Selbstbeherrschung schaffte es Kiéran, seine gleichmütige Miene beizubehalten. Xatos´ Rache, hoffentlich stimmte das alles wirklich nicht. Dass ein wütender Mob über Leute herfiel, die für Anderweltler gehalten wurden, konnte passieren ... und was war, wenn in Uming tatsächlich Manöver stattfanden? Vielleicht waren es die Priester des Schwarzen Spiegels, die sich dort auf den schlimmsten Fall vorbereiteten. Das einzige, was ihm Hoffnung gab, war die Lage des Ortes. Nahe der Grenze zweier Fürstentümer ... das kann ich mir nicht wirklich vorstellen, welcher Regent würde das tun? Er riskiert doch, seinen Nachbarn gegen sich aufzubringen ... außerdem ist das Ganze zu weit im Westen, und die Bedrohung kommt aus Richtung Khorat, aus dem Osten ...

      Wieder Jerushas Stimme, sie las den dritten Punkt vor. „Ger Iena, in Yantosi.“

      „Dort rüstet man für den Krieg, heißt es“, ergänzte Qedyr.

      Ger Iena, die Burg von Fürst Ceruscan! Kiéran stöhnte innerlich, er hatte gehofft, dass sein Weg ihn nie mehr dorthin führen würde. Doch wie es schien, war diese Hoffnung vergebens gewesen. War das ein schlechter Scherz der Götter, Xatos´ Rache für die Statue, an der Jerusha arbeitete?

      Nein, wahrscheinlich einfach Pech.

      ***

      Schon während sie vorlas, hatte Jerusha rasch im Kopf überschlagen, welche Entfernungen sie auf dieser Reise würden überwinden müssen. Ein wenig zweifelnd wandte sie sich an den König. „Diese Reise wird sicher Wochen dauern, kann Euer Volk Euch denn so lange entbehren?“

      Qedyr lächelte. „Meine Frau Célafiora regiert ohnehin gemeinsam mit mir, jetzt muss sie eine Weile alleine klarkommen, ich denke, das ist machbar.“

      „Dann los“, sagte Kiéran. „Wir haben keine Zeit zu verlieren.“

      Sie ritten hintereinander, Jerusha voran – sie hatte Kompass und Karte, deshalb würde es ihre Aufgabe sein, sie ans Ziel zu bringen. Hoffentlich lotse ich uns in die richtige Richtung, ging es ihr durch den Kopf. Es fehlt gerade noch, dass wir irgendwo ganz anders landen, nur weil ich einen miesen Orientierungssinn habe!

      „Wenn wir die ganze Nacht reiten, gelangen wir morgen schon zur Grenze nach Benaris“, kündigte sie an, und ihre Gäste nickten und lächelten. Jerusha war so aufgeregt, dass sie sich nicht einmal müde fühlte. Das kam erst später, als die Sonne schon wieder aufgegangen war und immer höher stieg. Als sie gerade durch ein dünn besiedeltes Waldgebiet ritten, beschloss Jerusha, eine Rast vorzuschlagen. Die Eliscan wirkten nicht im Geringsten müde, das lag vermutlich daran, dass sie kaum Schlaf brauchten. Doch sie stimmten höflich zu, Pause zu machen und eine Kleinigkeit zu essen.

      Eifrig half Colmarél, Bruchholz für ein Feuer zusammenzutragen. „Es ist so aufregend, hier unterwegs zu sein“, schwärmte er. Als Jerusha ihn anblickte, fiel ihr etwas auf, das ihr auf einen Schlag die Stimmung verdarb – die Eliscan blinzelten nicht! Das hatte sie völlig vergessen.

      „Verdammt – ihre Augen“, flüsterte sie Kiéran zu, und ihr Gefährte seufzte. „Rattendreck, ich habe auch nicht daran gedacht. Wird schon gehen, man bemerkt es nur, wenn man ihnen längere Zeit ins Gesicht schaut.“

      Jerusha brühte einen Cayoral auf, während Kiéran ein einfaches Mahl aus Brot und Käse vorbereitete. Auch die Eliscan packten Proviant aus und boten es ihnen an. „Was ist das?“, fragte Jerusha neugierig, als Qedyr ihr eine Art grünes Stäbchen reichte.

      „Eingelegte Schilfsprossen, bei Halbmond geerntet“, sagte Qedyr und nippte vorsichtig an seiner Tasse mit Cayoral. „Ah, ein Gewürztee! Sehr schmeckhaft.“